Österreich-Kolumne:Geschichten vom Donaustrand

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Badegäste auf einer Wasserrutschbahn im Donaustrandbad "Gänsehäufel" bei Wien, 1909. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Wien wäre nicht Wien, wenn nicht der Schmäh sogar im Freibad aus dem Lautsprecher rennen würde.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Ich war vor ein paar Tagen wieder mal in meinem Wiener Lieblingsbad, dem Gänselhäufel, einer Insel in der Alten Donau - dem für mein Gefühl schönsten Freibad Wiens. Dem Gänsehäufel habe ich vor knapp zehn Jahren auf der Seite Drei der SZ schon mal eine ausführliche Liebeserklärung gewidmet. Damals saß ein sehr alter Herr namens Karno Markovics immer hinten links, am Weststrand kurz vor dem Restaurant; er kam morgens, wenn das legendäre Strandbad öffnete, mit einer ledernen Aktentasche, in der seine Jause war, faltete seine Liege auseinander, streckte seinen braungebrannten, mageren Altherrenkörper darauf aus, und ging erst, wenn das Bad schloss. Das tat Markovics jeden Tag, an dem das Gänsehäufel in der Saison geöffnet ist; und er war hier, genauso wie ich, immer sehr glücklich - mit dem Unterschied, dass er regelmäßig neue Damen fand, die er bezirzen konnte.

Als ich jetzt aus dem Sommerurlaub im heißen Bayern in das sehr heiße Wien zurückkehrte, flüchtete ich vor der glühenden Stadt in das Gänsehäufel - nicht nur, um mich abzukühlen, sondern auch, um bei dieser Gelegenheit nachzuschauen, ob Karno Markovics noch an seinem Stammplatz saß. Aber er sonnte sich nicht mehr hinten links am Weststrand, tatsächlich war seine Lieblingsstelle gleich neben ein paar Quadratmetern Schilf irritierend leer an diesem Tag, an dem das Strandbad ansonsten überquoll von Menschen. Ich fürchte, das ist ein schlechtes Zeichen, er verpasste keinen Sommertag am Wasser; vielleicht gibt es ihn nicht mehr.

Was Markovics mir in jedem Fall voraushatte: Er blieb immer bis zur letzten Minute, bevor er zum Bus strebte, der ihn zu einer weiteren Gönnerin fuhr, die er beglücken und bei der er zudem wohnen durfte. Diesmal blieb ich stattdessen bis zum Schluss, es war halb acht, und in Deutschland hätte vermutlich eine barsche Stimme quer über das Gelände gebrüllt, die unmissverständlich dazu auffordert, sich nun aber schleunigst zu schleichen. "Wir schließen gleich."

Aber Wien wäre nicht Wien, wenn der Schmäh nicht sogar im Freibad rennen würde. Die Sonne war im Untergehen begriffen, ich packte gerade gedankenverloren mein feuchtes Handtuch und meinen Badeanzug ein, als zuerst, aufmerksamkeitsheischend, eine harmonische Tonfolge erklang und dann ein Lied: der vielleicht schönste Song der Band mit dem wunderbaren Namen 5/8erl in Ehr'n: "Badeschluss, es is vorbei, wo da Tag die Nacht begrüßt; Badeschluss, es is vorbei, weu da Andere kan Andern vermisst..." Die Stimmen so lieblich, die Melodie so zart, dass selbst kreischende Kinder und testosterongeschwängerte Teenagergruppen friedlich und selig lächelnd zum Ausgang zogen.

Der Herbst kommt früh genug, die Musik bleibt

Die Gruppe macht Wiener Soul; Jazz, Blues und Wiener Lied sind beigemischt, und wenn sie singen, mag man die Stadt noch ein bisschen mehr. Im Sommer, wenn die Politik auf Sommerfrische ist, ist das eh ein wenig leichter als sonst: Kanzler Karl Nehammer unterwegs auf Habt-mich-lieb-Tour, FPÖ-Chef Herbert Kickl, wenn er nicht gerade den Klimawandel leugnet und rhetorisch mit Putin kuschelt, im Gesäuse auf Bergtour, und Corona-Leugner, Rechtsextreme sowie andere identitäre Dauerdemonstrierer noch im Energiesparmodus. Der Herbst kommt eh früh genug, immerhin die Musik bleibt, und dann tröstet man sich mit dem, was 5/8erl in Ehr'n auch besingen: "Heit hea i dem Regen zua."

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