Sturm auf das Kapitol:US-Kongress hat Arbeit wieder aufgenommen

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Erschreckende Folgen einer zerstörerischen Präsidentschaft: Randalierer verbreiten ihren Hass in der Rotunde des US-Kapitols. (Foto: Saul Loeb/AFP)

Der noch amtierende US-Präsident hatte Zehntausende Unterstützer aufgefordert, den "Diebstahl" der Wahl zu stoppen. Danach dringen seine Fans in den Kongress ein. Im Umfeld der Randale hat es vier Tote gegeben.

Von Christian Zaschke, New York

Der US-Kongress hat in der Nacht seine Arbeit fortgesetzt, nachdem am Mittwoch Anhänger von Donald Trump das Kapitol gestürmt hatten. Den Sicherheitskräften gelang es nach einigen Stunden, die Aufrührer aus dem Gebäude zu drängen. Eine Frau wurde von der Polizei angeschossen. Sie erlag später ihren Verletzungen. Darüber hinaus seien drei weitere Todesfälle aus der Umgebung des Kapitols gemeldet worden, erklärte der Polizeichef von Washington, Robert Contee. Eine erwachsene Frau und zwei erwachsene Männer hätten "unterschiedliche medizinischen Notfälle" erlitten, die zu ihrem Tod geführt hätten.

Die Senatoren und Mitglieder des Abgeordnetenhauses haben kurz nach der Wiederaufnahme der Sitzung jeweils mit große Mehrheit einen ersten Einspruch gegen das Wahlergebnis zurückgewiesen. In der ansonsten gemeinsamen Sitzung von Senat und Repräsentantenhaus wird der Sieg des gewählten Präsidenten unter dem Vorsitz des amtierenden Vizepräsidenten noch einmal formal bestätigt, bevor der neue Anführer des Landes am 20. Januar vereidigt wird.

Einige abtrünnige Republikaner aber hatten angekündigt, Widerspruch gegen die Wahl erheben zu wollen. Im ersten jetzt zurückgewiesenen Einspruch ging es um das Wahlergebnis in Arizona. Der gewählte Präsident Joe Biden hatte den Swing-State im November gewonnen. Auch für Pennsylvania gab es einen Einspruch. Das Procedere kann sich bis weit in den Donnerstag ziehen. Am Ende wird Vizepräsident Mike Pence wie von ihm angekündigt von Amts wegen Biden zum Sieger der Wahl erklären müssen.

Die Trump-Anhänger hatten am Nachmittag Polizeibarrieren durchbrochen und Teile des Gebäudes geentert. Dutzende Randalierer drangen ins Innere des Kongresses ein, wo sie mit Trump-Fahnen paradierten. Die Sicherheitskräfte schienen überfordert zu sein. Mitglieder des Kongresses wurden aufgefordert, sich zu verbarrikadieren und sich Gasmasken aufzusetzen. Pence wurde im Kapitol an einen sicheren Ort gebracht.

Trump hatte seine Anhänger seit Wochen dazu aufgerufen, an diesem Mittwoch nach Washington zu kommen, um gegen das Wahlergebnis zu protestieren. Zehntausende waren diesem Aufruf gefolgt. Am frühen Nachmittag hielt Trump in der Nähe des Weißen Hauses eine Rede, in der er seine Anhänger aufstachelte und dazu aufforderte, zum Kapitol zu ziehen. Er stellte zunächst sogar in Aussicht, selbst vor das Kapitol zu kommen, zog dann aber doch die Sicherheit des Weißen Hauses vor.

Die Polizei setzte Tränengas im Inneren des Kapitols ein, um die Eindringlinge zu vertreiben. Einige Randalierer drangen ins Büro von Nancy Pelosi vor, der demokratischen Sprecherin des Repräsentantenhauses. Dort hinterließen sie auf ihrem Schreibtisch eine Botschaft: "Wir werden nicht nachgeben." Rund um das Gebäude drängte sich ein Mob von Trump-Anhängern und attackierte Polizeiwagen und schlug Fenster ein.

Diese Proteste sind die unmittelbare Folge davon, dass Trump seiner Basis seit zwei Monaten erzählt, in Wahrheit habe er die Wahl gewonnen. Zuletzt war seine Rhetorik schärfer geworden. Er hatte seine Anhänger dazu aufgerufen, "stark" zu sein und zu "kämpfen". Sie sollten "den Diebstahl stoppen". Es war wohl nur eine Frage der Zeit, wann Trumps Zündeln zu einer Eskalation führen würde. An diesem Mittwoch war es so weit.

Ein Tag, der in die Geschichte eingehen wird

Der designierte Präsident Biden wandte sich in einer Fernsehansprache ans Volk. Dies sei nicht das wahre Amerika, sagte er. "In den kommenden vier Jahren wird es unsere Aufgabe sein, Demokratie, Anstand, Ehre und Respekt wiederherzustellen." Zum Ende seiner Rede wandte er sich direkt an Trump und forderte diesen dazu auf, seine Anhänger zu stoppen.

Der Präsident meldete sich danach mit einem kurzen Video zu Wort, in dem er sich allerdings nicht um Deeskalation bemühte, sondern zunächst wiederholte, die Wahl sei ihm gestohlen worden. Auf der anderen Seite stünden "schlechte" und "böse" Menschen. "Ich weiß, wie ihr euch fühlt", sagt Trump, "aber ihr müsst jetzt nach Hause gehen." Sämtliche großen Social-Media-Dienste haben das Video inzwischen von ihren Plattformen gelöscht.

Dass seine Anhänger das Heiligtum der amerikanischen Demokratie gestürmt haben, erscheint wie ein logische Folge der Präsidentschaft von Donald Trump. Vier Jahre lang hat er seine Anhänger aufgewiegelt. Die letzten Tropfen gab er am Mittwoch ins Fass der Wut und des Wahns: Mit einer Rede vor seinen Anhängern, die selbst für seine Verhältnisse überreich mit Verschwörungsmythen und Lügen gespickt war.

Er wiederholte sich fortwährend und stellte Behauptungen in den Raum, die mehrmals widerlegt worden sind. Bisweilen ergaben seine Äußerungen schlicht keinen Sinn. An einer Stelle benutzte er das Wort "Bullshit", das seine Anhänger umgehend im Sprechchor wiederholten.

"Heute ist erst der Anfang", ruft Trump

"Heute ist nicht das Ende", rief Trump seinen Anhängern zu, "heute ist erst der Anfang". Diese feierten ihn unter anderem mit dem Sprechchor: "Wir lieben dich!" Dann versprach Trump, das Beste komme erst noch. Zudem versicherte Trump seinen Anhängern, sie ebenfalls zu lieben.

In seiner Rede hatte Trump seinen Vizepräsidenten Pence offen zum Verfassungsbruch aufgefordert - dieser solle in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Senats die Ergebnisse mancher Bundesstaaten nicht anerkennen. Fast zur gleichen Zeit erklärte Pence im Kongress, dass er nicht die Befugnis habe, die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl zurückzuweisen. Damit hatte er sich erstmals offen von Trump distanziert.

Eine gute Stunde später brach das Chaos sich Bahn, und Pence musste in Sicherheit gebracht werden. Auf dem Platz im Senat, von dem aus er die Sitzung geleitet hatte, saß kurz danach ein Anhänger Trumps und ließ sich grinsend fotografieren.

Es dauerte bis zum Abend, bis die Polizei schließlich in ausreichender Zahl Präsenz zeigte. Zudem rückte die Nationalgarde Washingtons aus, um die Lage wieder unter Kontrolle zu bringen. Die Bürgermeisterin von Washington, Muriel Bowser, verhängte ab 18 Uhr eine Ausgangssperre.

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