Am Tag danach herrscht friedliche Schläfrigkeit in Brüssel. Im Nato-Hauptquartier empfängt Generalsekretär Jens Stoltenberg Herrn Bjarni Benediktsson. Das ist der Ministerpräsident von Island. EU-Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sind auf Reisen, beim G-7-Gipfel in Taormina. Der Wirbelsturm, der am Donnerstag durch die Stadt gezogen ist, hat keine auf Anhieb sichtbaren Spuren hinterlassen, doch die Folgen werden noch lange abzuarbeiten sein. Zwar hat der Besuch von Donald Trump in der politischen Metropole des Kontinents keine wirklich neue Lage geschaffen, wohl aber eine ganze Reihe von Illusionen hinweggefegt.
In unterschiedlicher Weise gilt das sowohl für die Europäische Union als auch für die Nato. Beide verbindet, dass sie sich nun erst einmal sammeln müssen. Bei der Nato begann Generalsekretär Stoltenberg damit gleich nach Trumps Abreise. Müde und trotzig hielt er im Presseraum die Stellung und behauptete, dass es sich tatsächlich von ein"sehr gutes Treffen" gehandelt habe. Und das obwohl Trump alle wesentlichen Erwartungen an die eigens für ihn ausgerichtete Party so rüde beiseitegewischt hatte - so wie er auch während des Treffens im neuen Hauptquartier den Ministerpräsidenten von Montenegro zur Seite schob.
Dabei waren die Erwartungen eigentlich schon recht bescheiden gewesen. Zum einen hätte man von Trump gerne ein Bekenntnis zu Sinn und Zweck der Nato gehört, also zur Beistandsklausel, die in Artikel 5 des Nordatlantik-Vertrags formuliert ist: "Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird." Im Wahlkampf hatte Trump dieses Versprechen zu einer Art Versicherungspolice degradiert, einzulösen nur nach bezahlten Prämien.
Zwar bezeichnet Trump die Allianz inzwischen nicht mehr als "obsolet", aber auf das eindeutige Bekenntnis zu Artikel 5 aber warteten die Verbündeten auch am Donnerstag vergeblich. Auch in der Rede vor dem neuen Hauptquartier beschimpfte Trump einen Teil der Verbündeten lediglich als säumige Schuldner. Stoltenberg versuchte sich dann in einer überraschenden Deutung: Der US-Präsident habe "sein Bekenntnis und das Bekenntnis der USA zur Nato, ... zu unserer kollektiven Verteidigung und den Sicherheitsgarantien nachdrücklich deutlich gemacht". Stoltenberg erläuterte das mit einer Argumentation, die zuvor schon Trumps Sprecher Sean Spicer den White-House-Reportern serviert hatte: Trump habe doch ein Mahnmal eingeweiht, das ausdrücklich dem nach den Terrorangriffen des 11. September 2001 erstmals aktivierten Artikel 5 gewidmet sei. Das sei doch "ein klarer Hinweis" auf das Bekenntnis zu eben jenem Artikel. Dieser Linie folgend bezeichnete auch der Nato-Generalsekretär die Einweihung des Mahnmals als "starkes Signal".
Gelten lassen wollte er auch nicht, dass die Zeremonie durch Trumps Pöbeleien verpatzt gewesen sein könnte. In seiner Forderung nach höheren Verteidigungsausgaben der Partner sei Trump "sehr offen" gewesen, aber dessen "direkte" Art kenne man bereits. Wiewohl das stimmt, war es ja gerade die Hoffnung im Hauptquartier und in den Nato-Hauptstädten gewesen, dass Trump zumindest in Verteidigungsfragen gebändigt werden könnte.