Ukraine-Affäre:Nur Schulterzucken über den Trump-Zirkus

Donald Trump

US-Präsident Trump gerät durch die Ukraine-Affäre immer stärker in Bedrängnis.

(Foto: Carolyn Kaster/AP)
  • Die Affäre um US-Präsident Trumps Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskij ist für die Ukrainer nur am Rande von Interesse.
  • Ein weit größeres Thema ist die Rolle des Oligarchen Ihor Kolomojskij, eines Milliardärs mit Energiefirmen, der Selenskij mit ins Amt hievte.
  • Eine Weiterung des Trump-Skandals trifft jedoch auch die Ukraine: Am Freitag legte der bisherige Ukraine-Sonderbeauftragte Volker sein Amt nieder.

Von Florian Hassel, Warschau, Warschau

Als Kiews führendes Wochenmagazin Nowoje Wremja Ukrainer zum Thema der Woche interviewte, fragte es weder nach US-Präsident Donald Trump noch nach Hunter Biden, dem Sohn des ehemaligen US-Vizepräsidenten und Trump-Konkurrenten Joe Biden. Stattdessen wollten die Journalisten wissen, was ihre Landsleute von Ihor Kolomojskij halten: dem ukrainischen Oligarchen, der Präsident Wolodimir Selenskij mit ins Amt brachte und dessen Einfluss auf Präsident und Parlament in der Ukraine auch nach Veröffentlichung des Telefonats zwischen Trump und Selenskij ein bedeutsameres Thema ist als der als fern empfundene Skandal in Washington.

Eine Weiterung des Trump-Skandals trifft auch die Ukraine: Am Freitag legte der bisherige Ukraine-Sonderbeauftragte Kurt Volker, ein hoch angesehener Karrierediplomat, sein Amt nieder. Volker hatte in den vergangenen zwei Jahren versucht, über ein Ende des weitergehenden Krieges in der Ostukraine mit Wladislaw Surkow zu verhandeln, dem engen Ratgeber von Russlands Präsidenten Wladimir Putin und Aufseher über die Moskauer Marionettenregime in der Ostukraine. Die Gespräche blieben ohne Erfolg. Gleichwohl galt Volker ukrainischen Politikern als Vertreter ihrer Interessen in der Trump-Administration - auch, weil er offen die russische Dominanz in Verwaltung und Militär in den "Volksrepubliken" im Donbass ebenso ansprach wie er detailliert mangelnde Moskauer Gesprächsbereitschaft schilderte.

Für die Ereignisse um Hunter Biden dagegen haben die Ukrainer nur ein Schulterzucken übrig. Biden jr, Anwalt und Lobbyist, war von April 2014 bis April 2019 Aufsichtsrat beim ukrainischen Gasförderer Burisma Holdings. Für seine Arbeit, für die Biden jr. angeblich nur wenige Male im Jahre in Kiew war und zudem an internationalen Energiekonferenzen teilnahm, wurde er der New York Times zufolge mit bis zu 50 000 Dollar monatlich üppig entlohnt.

Kein Beleg für irgendein anrüchiges oder gar illegales Verhalten von Hunter Biden

Burisma gehört dem ukrainischen Ex-Umweltminister und heutigen Oligarchen Mikola Slotschewskij, der Biden wohl kaum wegen dessen Kenntnis des Gasmarktes einkaufte, sondern weil er von ihm Lobbyarbeit in Washington oder sich durch die Beschäftigung des Sohnes des US-Vizepräsidenten (der Vater Joe bis 2017 war) politischen Schutz erhoffte. Biden jr. war nicht der einzige ausländische Burisma-Aufsichtsrat mit politischen Verbindungen: Polens Ex-Präsident Alexander Kwaśniewski ist seit April 2014 Burisma-Aufsichtsrat.

Der Aufsichtsratsjob von Biden jr. für eine ukrainische Firma, unter einem umstrittenen Besitzer, und dies zu einer Zeit, als Vater Joe auch die Ukraine-Politik von Präsident Barack Obama maßgeblich formulierte, zeugte kaum von politischem Gespür beider Bidens. Bis heute sind allerdings weder in der Ukraine noch in den USA irgendwelche Belege dafür aufgetaucht, dass Biden jr. versuchte, bei seinem Vater oder irgendjemandem sonst in den USA zugunsten von Burisma beziehungsweise Oligarch Slotschewskij zu intervenieren. Ebenso wenig fehlt jeder Beleg für irgendein anrüchiges oder gar illegales Verhalten von Hunter Biden als Burisma-Aufsichtsrat.

Gegen Burisma-Eigentümer Slotschewskij wurde in der Ukraine wegen des Verdachts auf illegale Bereicherung und Amtsmissbrauch in seiner Ministerzeit unter dem hoch korrupten Präsidenten Wiktor Janukowitsch ermittelt. Gegen seine Firma Burisma liefen Ermittlungen etwa wegen des Verdachts auf Geldwäsche. Der Kyiv Post zufolge gab es seit 2014 vier Strafermittlungen gegen Slotschewskij oder Burisma-Firmentöchter. Keine Ermittlung wurde zu Ende geführt, was bei Ermittlungen gegen reiche Oligarchen in der Ukraine auch nach der Maidan-Revolution 2014 die Regel ist. Slotschewskij und Burisma bestritten alle Vorwürfe.

In England fror die Regierungsbehörde für schweren Betrug (Serious Fraud Office) im April 2014 - zur Zeit der Übernahme des Burisma-Aufsichtsratsmandates durch Biden jr. - in London Slotschewskij-Konten mit 23,5 Millionen Dollar wegen des Verdachts auf Geldwäsche ein. Danach aber bekamen die englischen Ermittler allerdings keinerlei Hilfe aus Kiew, was der englische Botschafter sogar öffentlich beklagte - ein englisches Gericht hob die Beschlagnahme daraufhin im Januar 2015 auf.

Ende 2015 hatten ukrainische Reformer seit Monaten Schochins Entlassung verlangt

In der Ukraine steht der Generalstaatsanwalt in der Regel dem jeweiligen Präsidenten nahe und ist Vorgesetzter aller ukrainischen Staatsanwälte. Seit 2014 hat keiner der seitdem vier Generalstaatsanwälte einen einflussreichen Oligarchen oder Politiker nach einem massiven Skandal vor Gericht gebracht. Das galt auch für Wiktor Schochin, Generalstaatsanwalt von Februar 2015 bis April 2016, der sowohl ukrainischen Reformern wie in Kiew stationierten Diplomaten zufolge etliche brisante Ermittlungen ausbremste.

Es war dieser Generalstaatsanwalt, den Joe Biden, damals US-Vizepräsident, bei einem Besuch in Kiew Anfang Dezember 2015 gefeuert sehen wollte und dafür auch mit dem Einfrieren von US-Kreditgarantien von 1 Milliarde Dollar drohte. Allerdings fehlt jeder Beleg dafür, dass dies in irgendeinem Zusammenhang mit Ermittlungen Schochins gegen Burisma oder gar Biden jr. stand. Die Kyiv Post fand keinerlei Anzeichen dafür, dass Schochin überhaupt aktiv gegen Burisma ermittelte. Ebenso fehlt jeder Beleg dafür, dass je gegen Biden jr. ermittelt wurde. Ende 2015 hatten ukrainische Reformer schon seit Monaten Schochins Entlassung verlangt. Auch der Internationale Währungsfonds, die Europäische Union und andere Regierungen sollen wegen Schochins Untätigkeit oder seines aktiven Bremsens von Ermittlungen seine Entlassung verlangt haben.

Nachdem Schochin schließlich im April 2015 gefeuert wurde, führte auch der nächste Generalstaatsanwalt Jurij Luzenko die Ermittlungen gegen Burisma und Slotschewskij zu keinem vor Gericht verwerteten Ende. Luzenko erwarb sich wegen seiner Untätigkeit nicht nur im Burisma-Fall, sondern auch in allen anderen schlagzeilenträchtigen Ermittlungen schnell einen ebenso schlechten Ruf wie seine Vorgänger - und wurde kürzlich vom neuen Präsidenten Wolodimir Selenskij gefeuert.

Präsident Selenskij wird nach den ersten Monaten im Amt einer Mitte September veröffentlichen Umfrage zufolge von 71 Prozent der Ukrainer unterstützt - dies ist die höchste Zustimmung für einen ukrainischen Präsidenten seit Ende der Sowjetunion. Bisher gibt es keine Umfragen dazu, ob sich der Skandal um das Telefongespräch zwischen Trump auf Selenskijs Popularität auswirkt. Wahrscheinlich ist dies nicht. Ukrainer interessieren sich deutlich mehr für Selenskijs politischen Blitzstart mit zahlreichen zumindest optisch gut aussehenden Gesetzen (etwa zur Abschaffung der Immunität von Parlamentariern vor Strafverfolgung), die Selenskij dem neuen Parlament verordnete, das von seiner Partei "Diener des Volkes" mit absoluter Mehrheit dominiert wird.

Kolomojskij half Selenskij mit stundenlanger Berichterstattung im Wahlkampf mit ins Amt

Ein weit größeres Thema als der für Ukrainer nebensächliche Biden-Sohn ist die Rolle des Oligarchen Ihor Kolomojskij, eines Milliardärs mit Energiefirmen, eigener Fluglinie und 1+1, dem meistgesehenen Fernsehsender der Ukraine. Kolomojskij half Selenskij mit stundenlanger Berichterstattung im Wahlkampf mit ins Amt, Kolomojskijs Anwalt Andrij Bohdan spielte eine erhebliche Rolle im Selenskij-Wahlkampfstab.

Heute ist Bohdan Leiter der Präsidialverwaltung und der wohl zweitmächtigste Mann der Ukraine. Am 10. September traf sich Kolomojskij bereits zum zweiten Mal mit Präsident Selenskij und Bohdan. Zudem kommen bis zu acht Parlamentarier der Selenskij-Partei aus dem Umkreis Kolomojskijs und sitzen im Parlament in wichtigen Ausschüssen, etwa zur Medienregulierung und Banken.

Der letzte Ausschuss ist von besonderer Bedeutung. Bis Ende 2016 gehörte Oligarch Kolomojskij die PrivatBank, die nach Kundenzahl größte Bank der Ukraine. Recherchen der Nationalbank und der Detektivagentur Kroll zufolge bedienten sich Kolomojskij und dessen Geschäftspartner mittels ungesicherten Krediten an ihre eigenen, im Ausland registrierten Firmen so ungeniert, dass bei der PrivatBank schließlich ein Loch von 5,5 Milliarden Dollar klaffte und die vor dem Zusammenbruch stehende Bank verstaatlicht werden musste. Es war einer der größten Bankenskandale überhaupt.

Doch Ermittlungen oder Gerichtsverfahren gegen Kolomojskij&Co, die alle Vorwürfe bestreiten, kamen nicht vom Fleck. Als sich in der Ukraine im Frühjahr 2019 der Wahlsieg des von ihm geförderten Selenskij abzeichnete, kehrte Kolomojskij aus seinem selbstverordneten Exil in Israel in die Ukraine zurück. Von einem Kiewer Bezirksgericht, das für anrüchige Entscheidungen bekannt ist, erlangte Kolomojskij ein Urteil, demzufolge die Verstaatlichung seiner Bank rechtswidrig gewesen sei - und das, obwohl Kolomojskij die ukrainische Regierung seinerzeit selbst in einem Brief an das Kabinett um die Verstaatlichung gebeten hatte.

Der weitere Umgang mit der PrivatBank und Kolomojskij durch die Selenskij-Administration gilt für ukrainische Reformer und westliche Partner gleich aus mehreren Gründen als Testfall. Die ehemalige Nationalbankchefin Walerija Hontarewa, die 2016 die Verstaatlichung der Kolomojskij-Bank vorantrieb und zur Zeit in London als Gastdozentin lehrt, wurde dort am 26. August von einem Auto angefahren und schwer verletzt.

Ebenso fehlt ein Untersuchungsausschuss zur PrivatBank-Affäre

Tage später wurde das Auto ihrer Tochter in Kiew angezündet, die Wohnung Hontarewas in Kiew von maskierten Bewaffneten gestürmt und wiederum einige Tage später Hontarewas Wochenendhaus in einem Vorort von Kiew in Brand gesteckt. Hontarewa beschuldigt den nicht für seine Zimperlichkeit bekannten Kolomojskij offen, hinter der "Terrorkampagne" gegen sie zu stehen. Dieser bestreitet jede Verantwortung. In der Ukraine haben die Behörden bisher keinerlei Erkenntnisse über die Angriffe auf Hontarewa und ihre Familie vorgelegt.

Reformer und Kiews westliche Partner sind zudem über die bisher vollständige Untätigkeit der Selenskij-Administration gegenüber Kolomojskij und im Fall des weiteren Schicksals der PrivatBank verärgert. Präsident Selenskij hat bisher kein einziges Gesetz angekündigt, das die Interessen der Oligarchen massiv berührt. Ebenso fehlt ein Untersuchungsausschuss zur PrivatBank-Affäre oder anderen Skandalen um die Oligarchen.

Selenskijs erst am 28. Mai ernannter Nationaler Sicherheitsberater Oleksander Daniljuk reichte am Donnerstag seinen Rücktritt ein, Nowoye Wremja zufolge wegen der wachsenden Rolle Kolomojskijs und dessen Ex-Anwalts Bohdan. Daniljuk war früher Finanzminister und galt nicht nur als Reformer mit untadeligem Ruf, sondern auch als eines der wenigen politischen Schwergewichte der neuen Selenskij-Administration.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) unterbrach unterdessen Kreditgespräche mit der ukrainischen Regierung - dem Infodienst Liga zufolge, weil die Selenksij-Regierung nicht bereit gewesen sei, die Rückgabe der PrivatBank an Kolomojskij auszuschließen und auf eine Schwächung des Anti-Korruptions-Büros NABU zu verzichten. Selenskij will künftig den Direktor dieser einzigen halbwegs unabhängigen Behörde im Kampf gegen Korruption selbst feuern und ernennen dürfen und hat dazu bereits ein entsprechendes Gesetz vorgelegt. Offiziell beklagte der IWF am Freitag "Mängel im gesetzgeberischen Rahmen, durchdringende Korruption und große Teile der Wirtschaft, die von ineffizienten Staatsunternehmen oder von Oligarchen kontrolliert werden". Bisher gebe es auch keinerlei "greifbare Resultate" bei der Korruptionsbekämpfung.

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