US-Beziehungen:Vorsicht, Disruption!

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Neue Verbindungen gesucht: Bereits im September bemühte sich Bundesaußenministerin Annalena Baerbock um Kontakte zum Trump-Lager – hier im Gespräch mit dem republikanischen Gouverneur von Texas, Greg Abbott (ganz rechts). (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Wie sich die Bundesregierung und ihre Diplomaten auf die Umgangsformen der neuen Herren in Washington einstellen.

Von Daniel Brössler, Berlin

Der fünfseitige Bericht aus der deutschen Botschaft in Washington stieß, als er vergangenen Dienstag im Kanzleramt eintraf, dort angeblich auf eher mittleres Interesse. Ihm sei nichts Ungewöhnliches aufgefallen, erinnert sich einer der Empfänger. In der diplomatischen Korrespondenz mit der Überschrift „Der US-Rechtsstaat unter Trump 2.0. Trumps Spielraum zur Neudefinition der verfassungsrechtlichen Ordnung“ widmet sich der deutsche Botschafter Andreas Michaelis der Frage, was die zweite Amtszeit von Donald Trump für die Demokratie und den Rechtsstaat in den USA bedeuten wird. Michaelis rechnet mit einer Agenda „der maximalen Disruption, des Aufbrechens etablierter politischer Ordnung und bürokratischer Strukturen“ und damit, dass Trumps Rachepläne „letztlich eine Neudefinition der verfassungsrechtlichen Ordnung“ mit sich bringen. Sensationell ist das nicht. So oder ähnlich wäre das auch der New York Times zu entnehmen.

Zum Politikum wurde die „VS – Nur für den internen Dienstgebrauch“ eingestufte Analyse des Botschafters, weil sie öffentlich geworden ist. Die Bild am Sonntag sowie die Nachrichtenagenturen Reuters und dpa zitierten am Wochenende aus dem Bericht. AfD-Chefin Alice Weidel, deren Partei vom Trump-Freund Elon Musk im Wahlkampf unterstützt wird, empörte sich am Montag auf X, Michaelis habe „jede diplomatische Grenze“ überschritten – was den falschen Eindruck erweckt, der Botschafter habe öffentlich gegen den amerikanischen Präsidenten polemisiert. „Diese Nachricht aus Washington ist in der Sprache eines politischen Aktivisten verfasst“, kritisierte auch Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz am Dienstag im Deutschlandfunk. Sie sei überdies „offensichtlich bewusst öffentlich gemacht worden“.

Der Sprecher von Außenministerin Annalena Baerbock erinnerte daran, dass die Einstufung „VS – Nur für den internen Dienstgebrauch“ erfolge, „wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte für unsere Interessen nachteilig sein kann“. Dahinter steht die naheliegende Einschätzung, dass die deutlichen Worte im Trump-Camp für Ärger sorgen werden.

Seit der Wahl war Kanzlerberater Plötner dreimal in Washington

Zu Beginn der zweiten Amtszeit Trumps wirft der Fall ein Schlaglicht auf die Qualen der deutschen Diplomatie und den deutschen Umgang mit dem Brachialpolitiker, der in den kommenden Jahren die Geschicke der Welt bestimmen wird. Trumps gebremste Sympathien für die Heimat seiner Vorfahren sind bekannt. Hinzu kommen Elon Musks Tiraden gegen Repräsentanten der Demokratie in Deutschland. Bundeskanzler Olaf Scholz nannte er einen Narren, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beschimpfte er als „undemokratischen Tyrannen“. Die Frage lautet, wie ein im Rahmen der Möglichkeiten vernünftiger Umgang mit Trump bewerkstelligt werden kann, ohne gegenüber einem erklärten Gegner der liberalen Demokratien allzu willfährig zu erscheinen.

Als Abgesandter des Kanzlers war dessen außenpolitischer Berater Jens Plötner seit der Wahl dreimal in Washington, um das Terrain zu sondieren – zuletzt in der vergangenen Woche. Am Donnerstag traf er zum zweiten Mal Trumps nationalen Sicherheitsberater Mike Waltz. In solchen Begegnungen und auch in bisher zwei Telefonaten des Kanzlers mit Trump seit dessen Wahl ist von der Feindseligkeit, wie sie Musk zelebriert, angeblich nichts zu spüren. Wenn es etwa um den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine geht, seien die Amerikaner ehrlich an der Lageeinschätzung der Deutschen interessiert. Was allerdings wenig an der Unsicherheit darüber ändert, mit welchen Launen und neuen Einfällen man es schon bald zu tun bekommen – und in welcher Weise das womöglich noch den Wahlkampf in Deutschland beeinflussen könnte.

Leicht fällt der Umgang mit Trump nur den Extremen. Die AfD freut sich über Schützenhilfe ihrer amerikanischen Gesinnungsgenossen, während Sahra Wagenknecht und ihre Leute leidenschaftlich auf die antiamerikanische Karte setzen. „Ami go home“, hieß es beim BSW-Parteitag. In der Mitte überwiegen die Grautöne. Nachdem Trump das zu Dänemark gehörende Grönland für die USA reklamiert und von den Nato-Partnern en passant fünf Prozent ihrer Wirtschaftskraft für Verteidigung eingefordert hatte, stellte sich Olaf Scholz als eine Art Frontmann der europäischen Selbstbehauptung vor die Kameras. „Die Unverletzlichkeit von Grenzen ist ein Grundprinzip des Völkerrechts“, proklamierte er und ließ wissen, der Verteidigungshaushalt werde auf Grundlage einer „detaillierten Bedrohungsanalyse“ aufgestellt.

In der deutschen Wirtschaft überwiegen die Sorgen

Unmittelbar vor der Inauguration stimmte Scholz dann wieder eher Flötentöne an. Mit Trump habe er „sehr freundliche und gute Gespräche“ gehabt, sagte er der Rheinischen Post. Die transatlantischen Beziehungen seien „für Deutschland und für Europa von größter Bedeutung“. Auf X postete der Kanzler: „Glückwunsch! Die USA sind unser engster Verbündeter und ein gutes transatlantisches Verhältnis ist stets Ziel unserer Politik.“ Noch bemühter um Trump klingt Unions-Kanzlerkandidat Merz. „Sollte das deutsche Volk mir ein Mandat für die Kanzlerschaft erteilen, wird es eine meiner Prioritäten sein, mit Ihnen auf ein neues Kapitel in unseren Beziehungen hinzuarbeiten“, schrieb er in einem handschriftlichen Gratulationsbrief zur Inauguration. Der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt folgte wie der AfD-Co-Vorsitzende Tino Chrupalla einer Einladung zur Amtseinführung nach Washington.

In der deutschen Wirtschaft überwiegen indes klar die Sorgen. Nach einer Umfrage des Branchenverbandes Bitcom gehen 95 Prozent der deutschen Unternehmen davon aus, dass sich die Präsidentschaft Trumps negativ für sie auswirken wird. Groß ist die Sorge vor den von Trump angedrohten Zöllen. „Eine Politik der Abschottung oder gar ein Handelskrieg würde nicht nur den internationalen Handel belasten, sondern auch die globalen Lieferketten und die Investitionsbereitschaft beeinträchtigen sowie Wohlstand vernichten“, warnte der Chef des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Dirk Jandura. In der Bundesregierung wird allerdings damit gerechnet, dass sich Trump in den gefürchteten Dekreten der ersten Tage zunächst einmal anderen Fragen zuwendet. Tatsächlich kam Europa in seiner Antrittsrede überhaupt nicht vor. Trump erwähnte zwar auch Zölle, vor allem aber widmete er sich der Grenze zu Mexiko, wo er den nationalen Notstand ausrufen wollte.

Negative Reaktionen auf den Botschafter-Bericht sollen aus Washington zunächst nicht eingegangen sein. Es sei gerade Aufgabe des Botschafters, klarzumachen, worauf sich Deutschland künftig einstellen müsse, verteidigte die Außenministerin ihren Diplomaten im ZDF. Solche Berichte müssten „ohne Schere im Kopf“ verfasst werden, ergänzte ihr Sprecher. Dennoch gilt, dass der Job von Michaelis kaum einfacher geworden ist bis zum Sommer. Dann geht er in Ruhestand.

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