Süddeutsche Zeitung

USA:Präsident gnadenlos

Noch einmal missbraucht Donald Trump seine Macht - und begnadigt weitere Gefolgsleute. Die Frage ist nun: Geht er so weit und spricht sich vorsorglich selbst von jeder Schuld frei? Das wäre ohne Vorbild.

Kommentar von Stefan Kornelius

Donald Trump verließ am Mittwoch das Weiße Haus, er lief über den Südrasen zum Hubschrauber, der ihn auf den Weg in die Weihnachtspause nach Florida bringen sollte. Im letzten Moment drehte sich der Präsident um, reckte in seiner albernen Revolutionsgeste die Faust empor, als wolle er Washington, dem Kongress und seinem Amtssitz noch einmal das Motto der vergangenen vier Jahre entgegenschleudern: ich gegen Euch.

Ich gegen Euch scheint sich in den letzten vier Wochen dieser Präsidentschaft zu einer veritablen Blockade- und Zerstörungsoffensive auszuweiten. Niemand hat erwartet, dass Trump das Amt still und demütig verlassen würde. Nun aber nutzt der Präsident selbst die feinsten Lücken, die das Gesetz ihm bietet.

Trumps Haushaltsblockade ist das eigentliche Ärgernis, das viele Amerikaner treffen, Leben kosten und Existenzen ruinieren wird. Vier Wochen ohne Staatshilfe inmitten der Pandemie können den USA ökonomisch langfristig heftig schaden. Hingegen eignen sich die 29 jetzt ausgesprochenen Begnadigungen besser für die bei Trump längst bekannte Empörung über Moral und Verwerflichkeit dieses Präsidenten. Wer noch einmal den schurkenhaften Charakter, die Halbseidenheit und den Schattentypen Trump spüren möchte, der muss sich die Liste der Typen anschauen, die der Präsident offenbar vor dem Spiegel und mit Blick auf seine eigene Person aufgeschrieben hat: Paul Manafort, Roger Stone, die vier Blackwater-Killer, den Vater von Schwiegersohn Jared Kushner, der seiner eigenen Schwester ein kompromittierendes Erpressungsvideo über deren Mann zukommen ließ. Wer in dieser Gesellschaft lebt, für den gilt keine Moral.

Die zentrale Frage aber ist nun: Wie weit wird es Trump treiben mit seinen Begnadigungen? Längst hat er die übliche Praxis verlassen, wonach sich ein Präsident auf Begnadigungs-Empfehlungen eines Staatsanwaltes aus dem Justizministerium stützt - freilich nach von ihm vorgegebenen Kriterien.

Trumps ultimativer Begnadigungsfall wäre: Donald Trump selbst. Neben den vielen Zivilklagen, die gegen ihn bereits anhängig sind, ist nach Ende der Amtszeit eine gewaltige Klagewelle zu erwarten. Vor allem die Corona-Politik könnte Anlass sein, den Präsidenten wegen seiner Fahrlässigkeit zur Rechenschaft ziehen zu wollen. Jenseits der sichtbaren Politik ist es auch nicht unwahrscheinlich, dass diese Präsidentschaft in Geschäfte verwickelt war, die strafrechtlich von Belang sind - Bestechung, Begünstigung, Bereicherung.

Trump kann auf dem Weg aus dem Weißen Haus noch viel Schaden anrichten. Am Ende wird wohl der Supreme Court entscheiden, sollte er sich die ultimative Freisprechung selbst genehmigen. Der Fall wäre ohne Vorbild: Noch nie hat sich ein Präsident selbst begnadigt, noch nie kam es zu einer Anklage gegen einen früheren Amtsinhaber. Für Washington und die USA wäre es freilich schon ein Segen, würde Trump aus seinem Weihnachtsausflug nach Florida nicht mehr ins Weiße Haus zurückkehren. Die gereckte Faust wäre ein geeigneter Abschiedsgruß.

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