Süddeutsche Zeitung

Dokumente von Osama bin Laden:"US-Bevölkerung ermorden und bekämpfen"

  • Die CIA hat auf richterliche Anordnung hin Dokumente veröffentlicht, die 2011 bei der Tötung von Al-Qaida-Chef Osama bin Laden in seinem Versteck in Pakistan gefunden wurden.
  • In den Papieren offenbart sich die große Angst Bin Ladens vor Entdeckung. Er verbot seiner Familie sogar, einen Arzt aufzusuchen.
  • Die Dokumente zeigen auch, dass zehn Jahre nach dem Anschlag vom 11. September innerhalb des Terrornetzwerks große Uneinigkeit zwischen Bin Laden und seinen Kritikern herrscht, die auf Einzelkämpfer setzten.

CIA veröffentlicht Dokumente von Osama bin Laden

Bis zum Schluss wollte er die USA mit einer neuen, groß angelegten Attacke aus der muslimischen Welt vertreiben: Vier Jahre nach der Tötung von Al-Qaida-Chef Osama bin Laden haben die US-Geheimdienste mehr als hundert Dokumente freigegeben, die überraschende Einblicke in seinen Gemütszustand und seine Ziele gewähren und tiefe Risse in dem Terrornetzwerk zeigen. Die in Bin Ladens pakistanischem Versteck gefundenen Dokumente wurden am Mittwoch für die Öffentlichkeit freigegeben.

Der Fokus der Al-Qaida-Aktivitäten "sollte darauf liegen, die US-Bevölkerung und ihre Vertreter zu ermorden und zu bekämpfen", heißt es in einem Dokument, das die Nachrichtenagentur AFP vorab einsehen konnte. Die einzige Möglichkeit, die US-Außenpolitik zu beeinflussen, seien Angriffe, schreibt er an anderer Stelle. Dadurch sollten die USA gezwungen werden, "die Muslime in Ruhe zu lassen".

Die US-Spezialeinheit Navy Seals hatte bei ihrem Zugriff im pakistanischen Abbottabad am 2. Mai 2011 Tausende Dokumente gefunden. Auf richterliche Anordnung wurden mehr als hundert der Schriftstücke nun freigegeben. Dies habe nichts damit zu tun, dass der Journalist Seymour Hersh die offiziellen Angaben über die Ergreifung und Tötung Bin Ladens kürzlich in Frage gestellt habe, sagte CIA-Sprecher Ryan Trapani.

Texte über Deutschland

Unter den Dokumenten finden sich auch Texte mit Bezug zu Deutschland. Wer sie verfasste und an wen sie gerichtet waren, ist nicht bekannt. Ebenso unklar ist, in welcher Sprache die auf Englisch vorliegenden Papiere im Original verfasst wurden.

Enthalten sind darin auch allgemeine Informationen über die deutsche Wirtschaft und Einschätzungen politischer Äußerungen. Zum Beispiel heißt es, eine Aufforderung Wolfgang Schäubles aus dem Jahr 2008, alle europäischen Zeitungen sollten die Mohammed-Karikaturen einer dänischen Zeitung nachdrucken, habe Gewicht, da mit dem Axel-Springer-Verlag der größte Europas in Deutschland beheimatet sei. Von Diskussionen mit Deutschen über Juden und Palästina wird in den Dokumenten abgeraten. "Dies ist in Deutschland ein sehr sensibles Thema und wird unserem Ziel abträglich sein. Ich glaube, wenn wir angeben, dass wir an Deutschlands Seite stehen und nur im Sinn haben, sie aus Afghanistan herauszubekommen, werden sie unsere Position verstehen, so Gott will", heißt es darin.

Zu einem Rückzug der deutschen Soldaten aus Afghanistan soll auch der Ratschlag führen, Angst unter deutschen Journalisten zu erzeugen: "Aus Angst um ihr Leben, werden die Medien veröffentlichen was die Leute dazu bringt, diejenigen zu wählen, die die Truppen abziehen."

Ein paar Eckdaten der deutschen Wirtschaft und ihre Bedeutung in Europa lassen ahnen, dass al-Qaida nach Wegen suchte, Deutschlands Industrie zu schaden. Ein Boykott der deutschen Autoindustrie könne zu einem Verlust von Arbeitsplätzen, sinkenden Steuern und anderen Schäden führen, wird in den Dokumenten ausgeführt.

Bin Ladens große Angst vor Entdeckung

Die Angst, von US-Spionen in seiner Villa entdeckt zu werden, trieb Bin Laden zu äußerster Vorsicht. So gab er an seine Familie und sein Umfeld die Anweisung: "Unsere Sicherheitssituation erlaubt es nicht, zu Ärzten zu gehen. Also gebt acht auf eure medizinischen Bedürfnisse, vor allem eure Zähne." Als seine Frau Umm Hamsa von einer Iran-Reise zurückkehrte, musste sie ihre komplette Garderobe austauschen, aus Angst, es könnte eine Abhör-Wanze darin versteckt sein. "Da den Iranern nicht vertraut werden kann, könnte ein Chip in deine Sachen implantiert worden sein. "Ärger rief Bin Laden mit seinem Verbot an seine Adjutanten hervor, per E-Mail zu kommunizieren.

Uneinigkeit innerhalb von al-Qaida

Doch auch über die strategische Ausrichtung von al-Qaida wurde heftig gestritten. So forderte Bin Laden, die Terrorattacken sollten sich auf den größten Feind USA konzentrieren: "Wir sollten Einsätze gegen die Armee und Polizei in allen Regionen stoppen, außer im Jemen", schrieb er. Darin zeige sich seine Sorge, "eine Uneinigkeit des globalen Dschihads könnte den Niedergang der Bewegung einleiten", mutmaßt ein ranghoher US-Geheimdienstanalyst. Dass die Organisation al-Qaida im Irak, ein Vorläufer der Miliz Islamischer Staat (IS), einen Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten in dem Land anheizte, brachte Bin Laden und seinem damaligen Vize Ayman al-Zawahri scharfe Kritik ein.

Dass Bin Laden die in seinem Namen angerichteten "Skandale" und das Blutvergießen nicht verurteile, dafür werde er von Gott zur Rechenschaft gezogen werden, schrieb die Gruppe Dschihad- und Reformfront in einem Brief von 2007. "Wenn Du es noch kannst, ist es Deine letzte Chance, den Zusammenbruch des Dschihad im Irak aufzuhalten."

Heute hat der IS al-Qaida in den Schatten gestellt. Bin Ladens schwindender Einfluss zeigte sich auch in taktischen Differenzen. So warb Bin Laden in den Dokumenten bis zu seinem Tod für groß angelegte Terrorattacken. Einige seiner Stellvertreter finden dies hingegen angesichts der permanenten Gefahr durch US-Drohnen zu schwer zu organisieren. In einem schon vor Kurzem freigegebenen Dokument aus der damaligen Zeit wird Al-Qaida-Veteran Abu Mussab al-Suri mit der Haltung zitiert, kleinere Anschläge seien der bessere Ansatz. Er setzte sich mit seinem Konzept des "individuellen Dschihads" durch: Nach Bin Ladens Tod rief die neue Al-Qaida-Führung ihre Anhänger auf, als Einzelkämpfer Anschläge zu verüben.

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