Dokumente von Altkanzler Kohl:Begehrtes Altpapier

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Helmut Kohl reklamiert gemeinsam mit seiner zweiten Frau Maike Kohl-Richter die Dokumente aus seiner Kanzlerschaft für sich (hier die beiden im Jahr 2010 an Helmut Kohls 80. Geburtstag in Ludwigshafen-Oggersheim) (Foto: Ronald Wittek/dpa)

Helmut Kohl will sie, die Adenauer-Stiftung auch, das Bundesarchiv sowieso: Der Streit um die Akten des Altkanzlers zeigt, dass der Umgang mit politischen Nachlässen nicht geklärt ist. Was passiert dann erst mit Merkels SMS?

Von Jochen Arntz

Menschen machen Geschichte, sie machen sich dazu Gedanken und Notizen. Wenn sie ein öffentliches Amt bekleiden, dann betreiben sie Politik. Und wenn sie gar Bundeskanzlerin oder Bundeskanzler sind, dann betreiben sie nicht nur Politik, sondern machen am Ende dadurch Geschichte, dass sie das Leben von vielen Millionen Menschen lenken können, deren Biografien beeinflussen.

Helmut Kohl ist so ein Mann, der ein ganzes Land verändert hat. Er hat die beiden deutschen Staaten vereinigt, wer weiß, ob es einem anderen gelungen wäre, damals. Das ist sein Verdienst, neben manchem Makel. Kohl hat sich auch in jener Zeit vor 25 Jahren Gedanken und Notizen gemacht: auf Zetteln, in Aktenvermerken und in seinen Anmerkungen zu den Redemanuskripten des Kanzlers. Er hat das im Kanzleramt getan und zu Hause in seinem Bungalow in Ludwigshafen-Oggersheim.

Waren das private Aufzeichnungen und Notizen? Sicher nicht, er hat sie als Kanzler verfertigt. Waren nie private Bemerkungen dabei? Doch, bestimmt, denn auch ein Kanzler macht sich so seine Gedanken.

Aber Helmut Kohl hat sie wohl nicht als derart privat empfunden, dass er sie diskret zu Hause aufbewahren wollte. Nach seiner Kanzlerschaft hat er sein Handarchiv der Konrad-Adenauer-Stiftung, eine der CDU nahestehenden Einrichtung, übergeben - weil er sich selbst nicht als Privatmann, sondern immer als Staatsmann gesehen hat. Auch wenn er die Akten der Adenauer-Stiftung - ursprünglich wohl für eine begrenzte Leihfrist - wieder wegnahm, war doch allen Beteiligten klar, dass es sich nicht um private Tagebücher, sondern um Geschichtsdokumente der Bundesrepublik Deutschland handelt. Gerade deshalb wollte Kohl sie ja in seinem Bungalow haben, als er seine Memoiren schrieb - weil er die Erinnerungen eines Kanzlers der Bundesrepublik aufschreiben wollte. Und da beginnt das Problem.

Die Dokumente, die Kohl als Privatakten bezeichnet, sind keine privaten Dokumente

Die Dokumente, die Helmut Kohl heute für sich reklamiert und gemeinsam mit seiner zweiten Frau Maike Kohl-Richter behalten möchte, sind keine privaten Dokumente. Sie enthalten zwar sicher private Spurenelemente, und sollten Helmut Kohl diese heute stören, müsste er das Recht bekommen, persönliche Dinge zu beseitigen - bevor er die Akten der Adenauer-Stiftung zurückgibt. Das wäre ein Weg, die Dokumente für Historiker zu retten, für Wissenschaftler, die sich weniger dafür interessieren, bei welcher Bonner Reinigung Kohl seine Strickjacke abgab, sondern vielmehr dafür, wie er Michail Gorbatschow sah, als er damals mit ihm in der Strickjacke im Kaukasus verhandelte.

Aber wäre das schon der beste Weg? Eher nicht. Denn die Dokumente gehören nach einem modernen Staatsverständnis weder in Kohls Keller noch in die Archive der Adenauer-Stiftung. Helmut Kohl war ja nicht Kanzler der CDU, er war Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Und deshalb ist es nicht einsichtig, wieso seine Akten in den Archiven einer Parteistiftung lagern sollen. Die Akten Helmut Kohls gehören, wenn man es von seinem Amt her betrachtet, in das Archiv des Staates, dem er gedient hat. Sie gehören ins Bundesarchiv in Koblenz. Dort lagern auch die offiziellen Dokumente aus dem Bestand des Bundeskanzleramts seit der Gründung der Republik. Dort sollte man sich das ganze Bild der Geschichte machen können. Michael Hollmann, der Präsident des Bundesarchivs, sagt deshalb auch: "Alle Unterlagen, die in der Ausübung eines öffentlichen Amts entstanden sind, sind amtliche Unterlagen." Wie anders aber könnte man Kohls Redemanuskripte bewerten?

Und damit bekommt der Streit um Kohls Archiv - die Adenauer-Stiftung hätte die Akten gerne zurück, Kohl und seine Frau wollen sie behalten - eine größere Dimension. Es geht nicht nur um die Kämpfe in der Familie Kohl, um geistige Erbstreitigkeiten. Es geht darum, wie die Republik mit den Hinterlassenschaften ihrer Kanzler umgeht. Und da, das kann man schnell erkennen, überlässt sie viel den Parteien oder parteinahen Stiftungen. Anders als das zum Beispiel in den USA geregelt ist.

In der Bundesrepublik verfährt man nur im Fall des ersten Kanzlers so ähnlich, wie die Amerikaner es mit dem Erbe ihrer Präsidenten halten: In Erinnerung an Konrad Adenauer unterhält der Bund die Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus in Bad Honnef-Rhöndorf. Das Haus ist eine Gedenkstätte, in der sich auch der Nachlass Adenauers befindet. Ein Teil des privaten Nachlasses ist dort für die Öffentlichkeit einsehbar, ein anderer Teil nicht.

Auch Willy Brandt hat eine eigene Gedenkstiftung, die der Bund trägt. Aber sein eigentlicher Nachlass im Willy-Brandt-Archiv wird von einer der SPD nahestehenden Institution beherbergt, dem Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn. Auch Helmut Schmidt hat schon Dokumente und Aufzeichnungen aus den Jahren von 1946 bis 1997 dem parteinahen Archiv in Bonn überantwortet. Darunter auch Unterlagen aus seiner Zeit als Bundeskanzler.

Helmut Kohl ist übrigens nicht der einzige CDU-Altkanzler, der seine Akten der Adenauer-Stiftung überantwortet hat. Kurt Georg Kiesinger und Ludwig Erhard bedachten die konservative Parteistiftung in Sankt Augustin ebenfalls mit Teilen ihrer Nachlässe.

Nun kann man argumentieren, dass es ja letztlich vor allem darum geht, dass die Nachlässe gut gepflegt werden und öffentlich zugänglich sind. Aber es sagt doch schon einiges über diese Republik aus, dass die Parteien nicht nur die demokratischen Institutionen beherrschen, sondern am Ende auch noch die Hinterlassenschaften der Kanzler verwalten dürfen.

Bei Angela Merkel ist die Sache jetzt noch ein wenig unübersichtlich. Denn erstens ist nicht ganz klar, wie ihr bevorzugtes Kommunikationsmedium, die SMS, überhaupt archiviert werden soll und ob solche Kurzmitteilungen irgendwann nachlassfähig werden. Aber zweitens gibt es auch von ihr schon einen kleinen Nachlassbestand - selbstverständlich in der Adenauer-Stiftung am Rande der alten Bundeshauptstadt. Informiert man sich in der Zentralen Datenbank des Bundesarchivs über die verstreuten Nachlässe der deutschen Politiker, dann steht im Fall von Angela Merkel unter der Rubrik "Erschließungszustand" das wunderbare Wort: "Unerschlossen".

Das aber wird sich ändern. Und vielleicht kommt ja Angela Merkel als erste Bundeskanzlerin später zu der Einsicht, dass ihr Nachlass nicht in ein Partei-, sondern in ein Staatsarchiv gehört.

© SZ vom 04.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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