Süddeutsche Zeitung

Dokumentations-Schau:Vertriebenen-Stiftung stellt Pläne vor

Heikle Historie: Eine geplante Dauerausstellung soll die Geschichte der Zwangsumsiedlungen bereits vom Ersten Weltkrieg an zeigen - ohne Nazi-Verbrechen zu relativieren.

Franziska Augstein

Vor zwei Jahren hat der Bundestag die Einrichtung der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" beschlossen. Manfred Kittel wurde zum Stiftungsdirektor bestellt. Seither hat die von ihm geleitete Stiftung vornehmlich mit Streitereien von sich reden gemacht. Am Dialog mit Wissenschaftlern aus Deutschlands Nachbarstaaten haperte es: Die Historiker aus Polen und Tschechien zogen sich aus dem wissenschaftlichen Beraterkreis zurück.

Anläufe zu einer internationalen Tagung verliefen im Sand. Manfred Kittel, der in seiner Doktorarbeit mit vielen Ansichten des Bundes der Vertriebenen sympathisiert hat, sah sich von führenden Historikern kritisiert. Zur Frage, wie die Dauerausstellung aufgebaut werden soll, hat er in den vergangenen zwei Jahren so gut wie nichts gesagt.

Umso dringlicher wurde der Vortrag erwartet, den Kittel am Samstag auf einer Tagung im Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin gehalten hat. Die Tagung war dem Thema "Flucht, Vertreibung, ethnische Säuberung'" gewidmet. Ausgerichtet wurde sie vom DHM, der Stiftung sowie der in Luxemburg ansässigen Vereinigung historischer Museen. Kittels Vortrag blieb jedoch recht vage. Er erklärte dies damit, dass das fertige Konzept zuerst dem Stiftungsrat vorgelegt werden muss; dieser werde erst Ende Oktober tagen. So ist es in der Tat vorgesehen. Allerdings enthält das Stiftungsgesetz keine Klausel, derzufolge über die Konzeption der Dauerausstellung nicht schon öffentlich diskutiert werden darf.

Ein paar Pläne hat Kittel genannt: Die Ausstellung soll - dem Stiftungsauftrag gemäß - die Geschichte der Vertreibungen Deutscher in die europäische Vertreibungsgeschichte einbetten. Geplant ist, die Ausstellung chronologisch aufzubauen, angefangen mit dem Ersten Weltkrieg. Der Vernichtungskrieg, der Holocaust und die Vertreibungen der Deutschen sowie anderer Europäer sollen gezeigt werden. Außerdem: die Integration der Flüchtlinge in verschiedenen europäischen Ländern, "Versöhnungsinitiativen" während des Kalten Krieges und schließlich Bemühungen um eine "europäische Erinnerungskultur" seit 1989.

Die Planer der Ausstellung setzen darauf, "Fallbeispiele" in den Mittelpunkt zu stellen, so etwa die Stadt Lodz in den vierziger Jahren. Zeitgenössische "Opfer" sollen als "Individuen mit einer Geschichte sichtbar" werden.

Auf der Tagung hielt DHM-Direktor Hans Ottomeyer einen Vortrag, in dem er auch über die Geschichte des DHM sprach: Als es auf Initiative Helmut Kohls 1987 gegründet wurde, habe es Befürchtungen gegeben, dass dieses Museum eine konservativ-nationalistische Weltsicht propagieren werde. Das sei nicht eingetreten: Es habe keinerlei direkten Einfluss von Seiten der Parteien oder von Vereinen gegeben. Im Fall des jetzt geplanten "sichtbaren Zeichens" gegen Vertreibungen ist das anders. Parteien, die Kirchen und vor allem der im Stiftungsrat überproportional vertretene Bund der Vertriebenen (BdV) reden mit. Direktor Kittel hat es nicht leicht.

Keine Relativierung

Um "endlich in eine konstruktive inhaltliche Diskussion unter internationaler Beteiligung einzutreten", hat der Münchner Osteuropahistoriker Martin Schulze Wessel zusammen mit Kollegen schon eine Woche vor Beginn der Berliner Tagung ausführliche "konzeptionelle Überlegungen" für die Ausstellung ins Internet gestellt. Das Konzept von Schulze Wessels Autorenkollektiv wird von den Vorsitzenden der Deutsch-Tschechischen und Deutsch-Slowakischen Historikerkommission (zu denen er zählt) sowie der Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission gebilligt. Während Kittel die Ausstellung mit dem Ersten Weltkrieg beginnen lassen will, hält das Autorenkollektiv es für geboten, den Zweiten Weltkrieg als "den primären Kontext der Zwangsmigrationen darzustellen", um die es in der Ausstellung vor allem geht.

Kittel betonte, der NS-Vernichtungskrieg und der Holocaust sollten nicht relativiert werden. Mit welchen darstellerischen Mitteln das in einer - thematisch a priori überlasteten - Ausstellung erreicht werden könne, die mit dem Ersten Weltkrieg beginnt, sagte er nicht. Er wird Mühe haben, das Stiftungsziel der "Versöhnung" mit Vorstellungen des BdV zu vermitteln. Zwei stellvertretende Mitglieder des Stiftungsrates, Arnold Tölg und Hartmut Saenger, finden die partielle Diskriminierung der Deutschen, die in Polen nach dem Ersten Weltkrieg statt hatte, Anlass genug, zu sagen, dass die Polen die ersten Schuldigen seien.

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Quelle:
SZ vom 20.09.2010/juwe/odg
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