Dokumentation:Merkels Rede im Wortlaut

Als erste Bundeskanzlerin seit Konrad Adenauer hat Angela Merkel eine Rede vor dem US-Kongress in Washington gehalten. Sueddeutsche.de dokumentiert den Wortlaut der Rede in Auszügen.

"Ich danke Ihnen allen für die große Ehre, heute, kurz vor dem zwanzigsten Jahrestag des Falls der Berliner Mauer, zu Ihnen sprechen zu dürfen. ... Und das hätte ich mir vor 20 Jahren, bevor die Mauer fiel, in meinen kühnsten Träumen nicht ausmalen können. Denn damals war es außerhalb meiner Vorstellungskraft, überhaupt in die Vereinigten Staaten von Amerika reisen zu dürfen, geschweige denn eines Tages hier zu stehen. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten - es war für mich lange Zeit das Land der unerreichbaren Möglichkeiten.

Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl begrenzten meinen Zugang zur freien Welt. So musste ich mir aus Filmen und Büchern, die teilweise Verwandte aus dem Westen schmuggelten, ein Bild von den USA machen. ... Ich habe mich begeistert für die Weite der amerikanischen Landschaften, die den Geist der Freiheit und der Unabhängigkeit atmen. Gleich 1990 sind mein Mann und ich das erste Mal in unserem Leben nach Amerika geflogen, nach Californien. Niemals werden wir den ersten Blick auf den Pazifischen Ozean vergessen. Es war grandios.

Ein schier unerreichbares Land

Und das alles, obwohl Amerika für mich bis 1989 schier unerreichbar war. Dann, am 9. November 1989, fiel die Berliner Mauer. Die Grenze, die ein Volk für Jahrzehnte in zwei Welten teilte, war jetzt offen. ... Meine Damen und Herren, lassen Sie es mich in einem Satz sagen: Ich weiß - wir Deutschen wissen, wie viel wir Ihnen, unseren amerikanischen Freunden, verdanken! Niemals werden wir, niemals werde ich Ihnen ganz persönlich das vergessen! ... 20 Jahre, meine Damen und Herren, sind seit diesem überwältigenden Geschenk der Freiheit vergangen. Aber noch immer gibt es nichts, das mich mehr begeistert, nichts, das mich mehr anspornt, nichts, das mich stärker mit positiven Gefühlen erfüllt, als die Kraft der Freiheit. ... Meine Damen und Herren, Amerika und Europa sind wahrlich nicht immer einer Meinung. Die einen halten die anderen manchmal für zu zögerlich und ängstlich oder - umgekehrt - für zu eigensinnig und drängend.

Und dennoch, ich bin zutiefst davon überzeugt: Ein besseren Partner als Amerika gibt es für Europa nicht, und einen besseren Partner als Europa gibts es für Amerika nicht. Denn das, was Europäer und Amerikaner zusammenführt und zusammenhält, ist nicht nur eine gemeinsame Geschichte. Das, was Europäer und Amerikaner zusammenführt und zusammenhält, sind nicht nur gemeinsame Interessen und gemeinsame globale Herausforderungen, wie es sie zwischen allen Regionen der Welt gibt.

Das allein würde nicht reichen, um die besondere Partnerschaft Europas und Amerikas zu begründen und dauerhaft zu tragen.

Ein gemeinsames Bild vom Menschen und seiner Würde

Es ist mehr. Das, was Europäer und Amerikaner zusammenführt und zusammenhält, ist die gemeinsame Wertebasis. Es ist ein gemeinsames Bild vom Menschen und seiner unveräußerlichen Würde. Es ist ein gemeinsames Verständnis von Freiheit in Verantwortung. Dafür treten wir in der einzigartigen transatlantischen Partnerschaft und in der Wertegemeinschaft der NATO ein. So wird "Partnership in Leadership" mit Leben erfüllt. ... Auch nach dem Ende des Kalten Krieges geht es darum, Mauern zwischen Lebensauffassungen, gleichsam Mauern in den Köpfen einzureißen, die immer wieder daran hindern oder es erschweren, einander zu verstehen.

Dafür ist die Fähigkeit zur Toleranz so wichtig. ... Doch niemand sollte sich täuschen: Toleranz bedeutet nicht Beliebigkeit. Null Toleranz muss es für die geben, die die unveräußerlichen Rechte des Menschen missachten und sie mit Füßen treten. Null Toleranz muss es auch geben, wenn Massenvernichtungswaffen zum Beispiel in den Händen des Iran unsere Sicherheit bedrohen könnten.

Wer Israel bedroht, bedroht auch uns

Der Iran muss das wissen. Der Iran kennt unser Angebot. Doch der Iran kennt auch die Grenze: Eine Atombombe in der Hand des iranischen Präsidenten, der den Holocaust leugnet, Israel droht und das Existenzrecht abspricht, darf es nicht geben. Die Sicherheit Israels ist für mich niemals verhandelbar. Im Übrigen wird nicht nur Israel bedroht, sondern die ganze freie Welt. Wer Israel bedroht, bedroht auch uns.

Deshalb tritt die freie Welt dieser Bedrohung entgegen, notfalls mit harten wirtschaftlichen Sanktionen.

Wir treten auch der Bedrohung des internationalen Terrorismus entgegen. Dabei wissen wir, dass kein Land, und sei es noch so stark, das alleine schaffen kann. Wir alle brauchen Partner. In der Gemeinschaft mit Partnern erst sind wir stark.

Weil wir nach den Anschlägen des 11. September mit dem damaligen Präsidenten George W. Bush die Überzeugung geteilt haben, dass von Afghanistan aus nie wieder die Sicherheit der Welt bedroht werden darf, steht Deutschland dort seit 2002 mit dem drittgrößten Truppenkontingent. Wir wollen das Konzept der sogenannten vernetzten Sicherheit zum Erfolg führen. Das besagt: Ziviles und militärisches Engagement sind untrennbar miteinander verbunden.

Ohne Zweifel: Der Einsatz der Staatengemeinschaft in Afghanistan ist hart. Er fordert uns viel ab. Er muss in eine nächste Phase geführt werden, sobald die neue afghanische Regierung im Amt ist. Ziel muss die Entwicklung einer Übergabestrategie in Verantwortung sein, die wir Anfang nächsten Jahres auf einer gemeinsamen UN-Konferenz entwickeln wollen. Erfolgreich werden wir sein, wenn wir wie bisher jeden weiteren Schritt im Bündnis gemeinsam gehen. Deutschland stellt sich dieser Verantwortung. ...

Wir haben keine Zeit zu verlieren

Ich freue mich, dass Präsident Obama und Sie in Ihrer Arbeit dem Schutz unseres Klimas eine hohe Bedeutung beimessen. Wir alle wissen: Wir haben keine Zeit zu verlieren. Wir brauchen eine Einigung auf der Klimakonferenz im Dezember in Kopenhagen. Wir brauchen eine Einigung auf ein Ziel: Die globale Erwärmung darf zwei Grad Celsius nicht überschreiten. ... Es besteht kein Zweifel: Die Welt schaut im Dezember auf uns, auf Europa und Amerika. Es ist wahr: Ohne Verpflichtungen Chinas und Indiens wird es nicht gehen. Aber wenn wir in Europa und Amerika zu verbindlichen Verpflichtungen bereit sind, dann werden wir auch China und Indien davon überzeugen.

Und dann können wir in Kopenhagen die bestehende Mauer zwischen Gegenwart und Zukunft überwinden - im Interesse unserer Kinder und Enkel und im Interesse einer nachhaltigen Entwicklung weltweit.

Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt: So wie wir im 20. Jahrhundert die Kraft hatten, eine Mauer aus Stacheldraht und Beton zu Fall zu bringen, so haben wir heute auch die Kraft, Mauern des 21. Jahrhunderts zu überwinden, Mauern in unseren Köpfen, Mauern eines zu kurzsichtigen Eigeninteresses, Mauern zwischen Gegenwart und Zukunft..."

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