Süddeutsche Zeitung

Antisemitismus-Skandal:Vertrag der Documenta-Chefin soll aufgelöst werden

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Kritiker sehen darin aber nur einen ersten Schritt. Die Aufarbeitung des Antisemitismus-Skandals stehe noch am Anfang.

Von Sonja Zekri, München

Der angekündigte Rückzug der Generaldirektorin der Documenta, Sabine Schormann, ist in politischen und gesellschaftlichen Kreisen auf breite Zustimmung gestoßen. Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) sagte der Frankfurter Rundschau, es sei "richtig und notwendig, dass nun die Aufarbeitung erfolgen kann, wie es zur Ausstellung antisemitischer Bildsprache kommen konnte, sowie die nötigen Konsequenzen für die Kunstausstellung zu ziehen". Auch in der Ampel-Koalition wurde der Schritt begrüßt. Helge Lindh, der kulturpolitische Sprecher der SPD im Bundestag, sprach in der Welt am Sonntag von einem "überfälligen Befreiungsschlag aus einem Teufelskreis von Missmanagement und Misskommunikation". Auch aus der FDP kam Zustimmung. Die FDP-Politikerin Linda Teuteberg, in der Fraktion zuständig für jüdisches Leben, mahnte, "israelbezogener Antisemitismus" sei "wie jede Erscheinungsform des Antisemitismus inakzeptabel". Verharmlosungen unter Verweis auf den "globalen Süden" ebenso.

Nach wochenlanger Empörung über die Präsentation des Werkes "People's Justice" des indonesischen Kollektivs Taring Padi auf der Weltkunstausstellung in Kassel, das eine antisemitische Bildsprache zeigte, aber auch nach der Kritik an der verschleppten Aufarbeitung des Vorfalls hatte der Documenta-Aufsichtsrat in Kassel am Samstag erklärt, dass der Dienstvertrag mit Schormann "kurzfristig" aufgelöst werde. Darauf habe man sich einvernehmlich geeinigt. Das Banner habe "eindeutig antisemitische Motive" enthalten, seine Präsentation sei eine "klare Grenzüberschreitung" gewesen, der Documenta sei "erheblicher Schaden zugefügt" worden, heißt es in der Erklärung. Nun werde eine "Interimsnachfolge" für Schormann angestrebt. Namen wurden nicht genannt. Die Gesellschafterversammlung stimmte der Entscheidung zu.

Viele betrachteten den Rückzug Schormanns als nötig, aber nicht ausreichend. Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, beschrieb die Entscheidung als "viel zu spät". Die Weltkunstschau und das Ansehen der Bundesrepublik hätten durch das "unverantwortliche Handeln immensen Schaden genommen", so Schuster in einer Mitteilung am Sonntag: "Es sind noch viele, sehr viele Schritte zu gehen."

Wie eine Aufarbeitung des Vorfalls konkret aussehen wird, ist allerdings noch unklar. Der Aufsichtsrat hatte erklärt, dass nun "Schlussfolgerungen auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse für den Umgang mit antisemitischen Vorgängen im Kultur- und Kunstkontext" gezogen werden müssten, und kündigte eine "fachwissenschaftliche Begleitung" an, um "Abläufe, Strukturen und Rezeptionen" der Documenta zu prüfen. Eine grundlegende "Organisationsuntersuchung" müsse stattfinden. Kulturstaatsministerin Roth hatte nach dem Eklat bemängelt, dass der Bund seit einigen Jahren keinen Sitz mehr im Aufsichtsrat der Documenta hat.

Der Eklat auf der weltweit größten Schau für zeitgenössische Kunst hat längst die Grenzen der Documenta überschritten. Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, nutzte Schormanns Rückzug für eine Ausweitung des Bundestagsbeschlusses gegen die antiisraelische Boykottbewegung BDS. Der Beschluss solle künftig die verbindliche Richtschnur bei der Verwendung öffentlicher Gelder bei der Kulturförderung sein, so Klein.

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