Diversität:Ein Kabinett der Olafs und Annalenas?

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Die Grünen müssen ihre guten Vorsätze umsetzen, fordert die Grünen-Abgeordnete und Vizepräsidentin des Schleswig-Holsteinischen Landtages, Aminata Touré. (Foto: Friedrich Bungert)

Mehr als ein Viertel der Bevölkerung in Deutschland hat einen sogenannten Migrationshintergrund. Wer vertritt in der künftigen Regierung Menschen aus Einwandererfamilien?

Von Constanze von Bullion, Berlin

Sie treibt jetzt auch die Ampel-Verhandler um, die Sache mit der Vielfalt. Und wenn SPD, Grüne und FDP am Wochenende versuchen, sich auf einen Koalitionsvertrag zu einigen, gern bis Montag, dürften schmerzhafte Entscheidungen fallen. Nach zähen Gesprächen müssen nun Ministerien besetzt werden. Drei Parteien, Frauen und Männer, Ost und West sollen bedacht werden. Und wer vertritt im Kabinett eigentlich Menschen aus Einwandererfamilien?

Mehr als ein Viertel der Bevölkerung einen sogenannten Migrationshintergrund, bei den Wahlberechtigten sind es 13 Prozent, Tendenz steigend. Im letzten Bundestag bildete sich diese Vielfalt kaum ab. Das ändert sich langsam. In der Linksfraktion sitzen jetzt 28 Prozent Abgeordnete mit Migrationsgeschichte, bei der SPD sind es mit 17 Prozent wesentlich mehr als zuvor. Bei den Grünen, ausgerechnet, sank der Anteil leicht auf gut 14 Prozent. Bei FDP und Union bleibt er weit unterdurchschnittlich, bei fünf und vier Prozent.

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Der Zustand sei besser als früher, aber unzureichend, sagt die Berliner Integrationsforscherin Naika Foroutan. "Repräsentation ist ein demokratisches Prinzip. Sie gilt nicht nur für verschiedene Regionen, die in Parlamente hineingetragen werden, sondern auch für Geschlecht, Religion oder Migrationshintergrund." Es reiche auf Dauer auch nicht, dass Parteien für andere gesellschaftliche Gruppen mitverhandelten oder Migrationsbeauftragte einsetzten, ohne dass die Gruppe nennenswert Einfluss gewinne. "Die Angehörigen der Gruppe müssen ihre biografischen Erfahrungen selbst substanziell einbringen."

Foroutan, die zu Teilhabe und post-migrantischer Gesellschaft forscht, kennt die leidige Debatte über Identitätspolitik - und die Kritik, dass nicht Frau oder Migrant sein müsse, wer für Gleichstellung von Frauen oder Migranten eintrete. Auf Dauer aber dürfe es nicht beim symbolischen Beauftragtenwesen bleiben, auch nicht in der nächsten Regierung. Der Moment für substanzielle Repräsentation müsse genutzt werden. "Sonst passiert gar nichts."

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Nur - wo sind sie, die migrantischen Bewerber für ein Ministeramt? Die SPD hat Aydan Özoğuz zur Bundestagsvizepräsidentin gekürt. Für Regierungsposten in erster Reihe ist niemand in Sicht. Die FDP fühlt sich schon von der geforderten Frauenparität im Kabinett überfordert, von einer Migrantenquote zu schweigen. Bleiben die Grünen, die sich mit großer Geste ein Vielfalt-Statut gegeben haben. Es sieht vor, dass Vertreter benachteiligter Gruppen auf wichtigen Posten so stark vertreten sind wie im Rest der Gesellschaft. Theoretisch.

Ex-Grünenchef Cem Özdemir könnte einen Ministerposten bekommen

Die Wirklichkeit ist eine andere. "Ich glaube, dass nicht ausreichend darüber nachgedacht wird", sagt Aminata Touré und meint den Mangel nicht-weißer Gesichter in der Politik. "Gerade die Grünen müssen jetzt Ernst machen und ihre guten Vorsätze auch bei der Machtverteilung umsetzen." Touré, Vize- Landtagspräsidentin in Schleswig-Holstein, ist als afrodeutsche Amtsträgerin eine Ausnahme bei den Grünen, trotz Vielfalt-Statut, das bisher offenbar eher wenig bewegt hat.

Diversität in der ersten Reihe der Grünen jedenfalls sucht man bisher eher vergeblich, auch bei der aktuellen Regierungsbildung. Aminata Touré habe für einen Regierungsposten in Berlin abgesagt, heißt es dazu bei den Bundesgrünen. Man bedaure das. Touré selbst sagt hingegen, sie sei gar nicht gefragt worden und habe andere Pläne. Sie tritt nun als eine von zwei Spitzenkandidatinnen bei der nächsten Landtagswahl in Schleswig-Holstein an. Auch die Neu-Bundestagsabgeordnete und Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor wurde für einen Regierungsposten offenbar nicht in Betracht gezogen bei den Grünen. Der Außenpolitiker Omid Nouripour dürfte ebenfalls kein Minister werden, er läuft sich für den grünen Parteivorsitz warm.

Bleibt die Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger, die immerhin eine polnische Mutter habe, wie ihre Unterstützer betonen. Auch auf Ex-Grünen-Chef Cem Özdemir könnte ein Ministerposten zurollen. Doch hier gibt es Widerstände. Bekäme Realo Özdemir das Ressort Verkehr, müsste der Parteilinke Anton Hofreiter weichen, etwa aufs Feld Landwirtschaft. Das Problem mit der Vielfalt wäre dann gelöst, das Gleichgewicht der Geschlechter und Parteiflügel aber womöglich gestört. Man verhandle noch, hieß es zuletzt. An Begehrlichkeiten fehle es nicht.

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