Diskussion zum Thema Rechtspopulismus:Wo Lucke vor dem Vielvölkerstaat warnen darf

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Bernd Lucke spricht auf dem AfD-Parteitag in Aschaffenburg im Januar. (Foto: REUTERS)

Den Bock zum Gärtner gemacht? Die Bundeszentrale für politische Bildung richtet eine Tagung zum Thema Rechtspopulismus aus - auf dem Abschlusspodium sitzt AfD-Sprecher Bernd Lucke. Nur ein Teilnehmer kann ihm etwas entgegensetzen. Und Günther Beckstein beweist, dass auch er etwas von Populismus versteht.

Von Kathrin Haimerl, Köln

Kontrovers, das ist das Stichwort. "Wir haben die Verpflichtung, eine kontroverse Debatte zu führen", sagt Daniel Kraft, Pressesprecher der Bundeszentrale für politische Bildung. "Ja, wen sollen wir denn da sonst nehmen?", sagt er und weiß, dass er damit schon im Vorfeld eine kontroverse Debatte ausgelöst hat.

Es geht um Bernd Lucke, Bundessprecher der Partei Alternative für Deutschland (AfD). Der sitzt an diesem Dienstagnachmittag im Maternushaus in Köln auf der Abschlussdiskussion einer internationalen Tagung der Bundeszentrale. Das Thema: Rechtsextremismus und Rechtspopulismus. Ausgerechnet Lucke darf nun auf dem Podium sprechen. Das antifaschistische Magazin "der rechte rand" findet, dass damit "der Bock zum Gärtner" gemacht würde.

Gekommen sind: der ehemalige bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein als Vertreter der CSU, die sich mit Populismus ja auch ganz gut auskennt. Alexander Graf Lambsdorff, Spitzenkandidat der FDP für die Europawahl, André Brie, Linke-Abgeordneter im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern und Angelica Schwall-Düren (SPD), Europaministerin von Nordrhein-Westfalen. Mit auf dem Podium sitzt auch Günter Burkhardt, Bundesgeschäftsführer von Pro Asyl.

Letzterer fühlt sich sichtlich unwohl in der Runde. Er sagt, er habe ein großes Problem damit, "hier mit jemanden zu sitzen, der Migranten als Bodensatz bezeichnet". Am Ende wird er als Einziger Lucke etwas entgegensetzen können.

Am Vortag war viel davon die Rede, wie man mit Rechtspopulisten umgehen solle. Widerlegen? In der Diskussion? Totschweigen? Einigen konnte man sich in Köln auch nicht in der Frage: Ist Lucke nun ein Rechtspopulist? Oder nicht? Ist er eine charismatische Führungsfigur? Oder eher nicht?

Lucke verhält sich in der Diskussion sehr geschickt. Er dominiert das Podium.

Für den politischen Gegner gibt es Lob: Wem er auf dem Podium zustimmen könne, will die Moderatorin wissen. Dem Linke-Politiker Brie, sagt Lucke. Der habe die Apathie und das Desinteresse angesprochen, das in Europa herrsche. Der Rest habe die üblichen europapolitischen Fensterreden gehalten. Beckstein, der neben ihm sitzt, bekommt rote Ohren.

Als Pro-Asyl-Vertreter Burhkardt die Asylpolitik von Luckes Partei mit einem Zitat entlarvt, geht Lucke zum Angriff über: "Die Vertreter der Parteien, die hier am Tisch sitzen, sind doch diejenigen, die das Asylrecht massiv eingeschränkt haben." Auf dem Podium herrscht bedrückendes Schweigen.

Lucke übernimmt teilweise die Rolle des Moderators, stellt Zwischenfragen. Besonders eingeschossen hat er sich auf die NRW- Europaministerin Schwall-Düren. Als sie über Flüchtlingspolitik spricht, bombardiert Lucke sie mit Fragen: Welche Regelungen sie genau wolle? Schwall-Düren: "Gemeinsame europäische Standards und Regelungen, Quotenregelungen, aber nicht für Asyl." Lucke hakt nach: "Sie wollen also eine Kontingentierung der Einwanderung? Eine Quotenregelung?" Schwall-Düren stockt: "Wir wollen eine Regelung, wie wir eine geordnete Zuwanderung nach Kriterien ermöglichen können". Lucke: "Willkommen in unserer Partei."

Irgendwann in der Debatte versucht Günther Beckstein, mit CSU-Populismus aufzutrumpfen und bemüht dafür den Slogan "Wer betrügt, der fliegt": Er wolle ja momentan nicht, dass Griechenland oder Bulgarien Zugang zum deutschen Sozialstaat bekämen. "Pfui", ruft einer aus dem Publikum.

Überhaupt, das Publikum. Es kommt in der Debatte leider nicht zu Wort, Moderatorin Annette Riedler lässt am Ende keine Fragen zu. Dass die Bundeszentrale Lucke einen prominenten Platz auf dem Podium einräumt, hat bei manchen im Vorfeld für Verwunderung gesorgt. Eine Teilnehmerin vermisst einen Vertreter der Grünen. Die Erklärung des Pressesprechers: Sven Giegold habe kurzfristig aus Termingründen abgesagt. Ein anderer findet: Es sei schon okay, beim Thema Rechtspopulismus einen solchen Vertreter auch einzuladen. Aber muss es denn an so einer herausgehobenen Stelle sein? Also zum Abschluss der Tagung?

Pressesprecher Kraft widerspricht. Hätte Lucke denn zum Auftakt sprechen sollen? Es sei ja nicht so, dass man ihm das Schlusswort überlasse.

Am Ende liefert sich Burkhardt, der Vertreter von Pro Asyl, noch ein Wortgefecht mit Lucke.

Während alle anderen Diskussionsteilnehmer eine Vision von Vereinigten Staaten Europas mehr oder weniger bejahen, sagt Lucke: Nein. Stattdessen "möchte ich vor einem Vielvölkerstaat warnen, ich kenne kein Beispiel für erfolgreiche Vielvölkerstaaten..." Der Rest geht im Geraune des Publikums unter.

Da platzt es aus dem Pro-Asyl-Vertreter Burkhardt heraus: "Ja, was wollen Sie denn? Nationale, homogene Staaten?"

Lucke widerspricht nicht. Da sagt Burkhardt, ehrlich empört: "Das ist ein anderes Modell einer Gesellschaft, wie ich sie hier erlebe, und ich will aber weiter hier leben." Vom Publikum bekommt er dafür anhaltenden Applaus. Es passt zu Burkhardts Eingangsstatement, darin sprach er sich für ein "Europa der Menschenrechte" aus: "Rechtspopulismus ist keine Alternative für Europa, Rechtspopulismus ist keine Alternative für Deutschland."

Lucke, dem offenbar ein Europa homogener Nationalstaaten vorschwebt, sagt: "Ich will eine Gesellschaft, in der jeder seine Meinung sagen kann. Frei."

Auf dem Podium der Bundeszentrale konnte Lucke das.

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