Diskussion um Schießbefehl:"Dokument der Menschenverachtung"

Der Fund eines Schießbefehls in Stasi-Akten ist doch nichts Neues. Trotzdem sorgte das Dokument für gewaltigen Wirbel.

Der Fund eines uneingeschränkten Stasi-Schießbefehls auf DDR-Flüchtlinge hat am Wochenende für Wirbel gesorgt. Das Dokument ordnete unverzügliches Schießen auf Flüchtlinge an, selbst wenn diese in Begleitung von Kindern waren.

Inzwischen ist bekannt, dass das Dokument nicht so sensationell ist wie anfangs angenommen: Bereits 1997 wurden Unterlagen mit gleichem Wortlaut gefunden. Nichtsdestotrotz hat der Fund eine breite Debatte ausgelöst.

So hat CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla nachdrücklich vor einer Verharmlosung des SED-Regimes gewarnt. "Der erneute Fund eines Schießbefehls in den Stasi-Akten demonstriert in grausamer Weise, wie menschenverachtend dieses System war", erklärte Pofalla.

Der Fund sei "ein deutlicher Denkzettel für all diejenigen, die die Grausamkeit des SED-Regimes gerne in den Geschichtsbüchern verschwinden lassen möchten". Die Union trete "allen Versuchen einer Relativierung von Schießbefehl, Mauertoten und politischer Verfolgung aufs Schärfste entgegen".

Erneute Bestätigung vorhandener Erkenntnisse

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sieht in dem Schießbefehl einen Beleg für die "Unerbittlichkeit" des DDR-Regimes. Das Dokument zeige die Willkür und Menschenverachtung des Systems, sagte Wowereit. Die bereits vorhandenen Erkenntnisse hätten sich damit bestätigt.

Auch für Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) hat das in Magdeburg entdeckte Dokument keine neue Qualität. "Es bestätigt, was wir schon wissen", sagte Thierse am Montag im ZDF-Morgenmagazin. Dennoch sei es wichtig, weil es lügnerische Behauptungen und Schönfärberei schwerer mache.

Zum Beispiel streitet der frühere DDR-Staatschef Egon Krenz weiterhin ab, dass es einen solchen Befehl gab. "Es hat einen Tötungsbefehl, oder wie Sie es nennen "Schießbefehl", nicht gegeben. Das weiß ich nicht aus Akten, das weiß ich aus eigenem Erleben. So ein Befehl hätte den Gesetzen der DDR auch widersprochen", sagte Krenz der Bild.

Keine Verjährung bei Mord

Unterdessen prüft die Staatsanwaltschaft Berlin mögliche neue Ermittlungen um die Todesschüsse an Mauer und Stacheldraht. Ex-Bürgerrechtler Arnold Vaatz forderte gar Ermittlungen wegen Mordes. Der Schießbefehl sei nichts anderes gewesen und: "Da gibt es keine Verjährung."

Laut Staatsanwaltschaft werde untersucht, "ob weitere Schritte seitens der Staatsanwaltschaft zu veranlassen sind", sagte ein Sprecher der Anklagebehörde. In diesem Zusammenhang werde untersucht, "um welches Dokument es sich handelt".

Ein Sprecher des Bundesjustizministeriums verwies jedoch darauf, dass der Gesamtkomplex der Mauertoten Gegenstand umfangreicher Aufarbeitung durch die Justiz gewesen sei. Ob das neue Dokument für individuelle Täter eine Rolle spiele, müssten nun die Staatsanwaltschaften beurteilen.

Die Birthler-Behörde muss sich derweil wegen der falschen Einordnung des Fundes erklären.

Bodo Ramelow, Vize-Fraktionschef der Linken im Bundestag, kritisierte die Birthler-Behörde für ihre PR-Maßnahmen am Wochenende scharf: Er könne nur mit Kopfschütteln registrieren, dass die Behörde der Öffentlichkeit nun selbst längst bekannte Dokumente als vermeintliche, sensationelle Geheimakten präsentiere, um ihre Arbeit zu rechtfertigen, sagte er der in Erfurt erscheinenden Thüringer Allgemeinen.

Birthler-Behörde wehrt sich gegen PR-Vorwürfe

Der Pressesprecher der Behörde, Andreas Schulze, bestritt, dass der Zeitpunkt der Veröffentlichung irgendetwas mit der Diskussion um den Fortbestand der Birthler-Behörde zu tun gehabt hätte.

Marianne Birthler erklärte, ihr selbst sei die frühere Veröffentlichung eines Stasi- Schießbefehls im Jahr 1997 "vor zwei Tagen noch nicht bewusst" gewesen.

"Wir erleben immer wieder, dass Dokumente neu gefunden und bewertet werden, " so die Behördenchefin. Die Wichtigkeit des Fundes sei dennoch unbestritten: "Es sieht doch so aus, als wäre das, was an der Mauer geschehen ist, noch längst nicht im Bewusstsein aller Menschen."

Kein allgemeingültiger Befehl

Sie betonte auch: "Es ist kein Befehl, der sich an die Grenzsoldaten richtete, sondern ein Befehl an eine besondere Stasi-Einheit, die die Fahnenflucht von Soldaten mit allen Mitteln verhindern sollte." Dies sei in vielen Medien und in Äußerungen falsch kolportiert worden.

Inmitten der Diskussion wird am heutigen Montag in Berlin an den Bau der Mauer vor 46 Jahren erinnert. Am 13. August 1961 hatte die DDR mit der Abriegelung der Grenzen zu West-Berlin begonnen und damit die deutsche Teilung besiegelt, die erst mehr als 28 Jahre später am 9. November 1989 mit dem Fall der Mauer zu Ende ging.

Nach neuen Erkenntnissen starben zwischen 1961 und 1989 allein an der Berliner Mauer 133 Menschen.

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