Was wäre Amerika ohne seine Milliardäre? Früher hießen sie John Rockefeller und Henry Ford, heute ist die Schar der Superreichen mit Stars wie Oprah Winfrey und Beyoncé wesentlich vielfältiger.
Reichtum hat für die meisten Amerikaner etwas Glamouröses. Und selbst wenn der Multimillionär kein schillernder Promi, sondern ein blasser Bauunternehmer ist, muss er anders als in Europa keinen Neid fürchten. "Sozialismus konnte in Amerika nie Fuß fassen, weil die Armen sich selbst nicht als ausgebeutetes Proletariat sehen, sondern als vorübergehend verhinderte Millionäre", soll der Schriftsteller und Nobelpreisträger John Steinbeck diese Akzeptanz einmal beschrieben haben.
Doch dieses Verständnis schwindet. So stark, dass Teile der Demokraten die Superreichen explizit in den Schwitzkasten nehmen wollen - und dafür große Zustimmung ernten.
Die neu gewählte Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez schlägt etwa einen Steuersatz von 70 Prozent für Jahreseinkommen von über zehn Millionen Dollar vor. Und Präsidentschaftskandidatin Elizabeth Warren will eine Reichensteuer von zwei Prozent für Haushaltsvermögen von über 50 Millionen einführen.
Und die "vorübergehend verhinderten Millionäre", die Steinbeck beschrieb? Sind durchaus angetan. In einer aktuellen Umfrage von Politico/Morning Consult halten 61 Prozent der Amerikaner Warrens Reichensteuer für richtig. Den noch radikaleren Vorschlag von Ocasio-Cortez goutieren immerhin noch 45 Prozent der Befragten.
"Ein außergewöhnlicher Moment in der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte"
Solche Zustimmungswerte sind ungewöhnlich in einem Land, dessen Bewohner oft misstrauisch auf staatliche Umverteilung und Eingriffe reagierten. Selbst die Programme der New-Deal-Ära (1933-36), wie die Etablierung einer Sozialversicherung, waren zur Zeit ihrer Einführung nicht sonderlich populär. Und kaum eine Botschaft Ronald Reagans behielten die US-Bürger so stark im Gedächtnis wie die von der "Trickle-down"-Theorie. Wenn der Staat sich raushält, können die Reichen die Wirtschaftskraft entfesseln und alle profitieren vom Wohlstand, der nach unten tropft. Wer möchte diese Naturgewalt durch Steuern und Regulierung bremsen?
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Seit dem Super Tuesday schrumpft das Feld der demokratischen Präsidentschaftsbewerber weiter. Jetzt gibt auch Elizabeth Warren auf.
Die Wirtschaftswissenschaften haben diese Idee längst diskreditiert. In der US-Politik hat sie trotzdem immer noch Konjunktur, zumindest im Lager der Republikaner. Und bei den Demokraten wollte sich über Jahrzehnte niemand dem Verdacht aussetzen, gegen amerikanische Unternehmen und ihre Eigentümer Politik zu machen.
Nun ist offenbar ein Wendepunkt erreicht: Die starke Wahrnehmung von wirtschaftlicher Unfairness habe vor fünf Jahren entweder so noch nicht existiert. Oder sie habe zwar existiert, fand aber keinen Weg sich auszudrücken, analysiert Michael Cembalest, Investmentstratege bei JBMorgan Asset Management, im Gespräch mit Politico. "Das ist ein ziemlich außergewöhnlicher Moment in der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte, wo plötzlich innerhalb weniger Monate dieses Ding derart explodiert ist", sagt er.
Für Paul Campos, Autor und Juraprofessor an der Universität von Colorado in Boulder, kommt die Abneigung gegen die Wohlstandsschicht dagegen alles andere als plötzlich. "Die Skepsis gegenüber dem Finanzsystem ist in Amerika spätestens seit der Wirtschaftskrise 2007/2008 gewachsen, was schön an der Occupy-Wallstreet-Bewegung zu beobachten war oder am Erfolg von Bernie Sanders Wahlkampfkampagne", sagt er.
Umfragen zeigten zudem, dass der Wunsch nach mehr sozialer Gerechtigkeit in der Bevölkerung schon länger wahrnehmbar ist. "Nun reagieren die Demokraten endlich auf diese Veränderung", analysiert Campos. Einer Gallup-Umfrage sind nur noch 32 Prozent der US-Amerikaner mit der Vermögensverteilung einverstanden.
Selbst Fox-News-Moderator Tucker Carlson, sonst nicht progressiver Ideen verdächtig, hielt im vergangenen Monat live im TV einen flammenden Monolog gegen den Kapitalismus und die Ausbeutung der Arbeiterklasse. Die Amerikaner "werden beherrscht von Geldgierigen, die keine Langzeitverpflichtung für die Leute empfinden, über die sie herrschen", sagte er. Und fügte später in einem Interview hinzu, er überlege, Elizabeth Warren zu wählen.
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Das hängt auch damit zusammen, dass der politische Einfluss der Vermögenden in den vergangenen Jahren deutlich sichtbar geworden ist. Seitdem der Oberste Gerichtshof im Jahr 2010 entschied, dass unbegrenzt hohe Parteispenden von Unternehmen als freie Meinungsäußerung gelten, gelten Wahlkämpfe nur noch als "Schlacht der Milliardäre". Bei den Republikanern sind es die Koch-Brüder, die Mercer-Familie oder der Immobilien-Mogul Sheldon Adelson, die Politiker mit ihren Spenden beeinflussen und ihre Ideen durchsetzen. Bei den Demokraten heißen die Akteure Tom Steyer, George Soros und Michael Bloomberg.
Weil auf der anderen Seite junge US-Amerikaner auf fünf- bis sechsstelligen Studienschulden sitzen, Bürger oft jahrelang ihre überteuerte Krankenbehandlung abstottern und zig Millionen Amerikaner unterhalb des Existenzminimums schuften, schafft das Zynismus. Auch der Milliardär Donald Trump kritisierte 2016 die angeblich verdorbenen Eliten. Und beschenkte sie später mit Steuersenkungen.
Nun, da über die Verteilungsfrage offen diskutiert wird, mischen sich ausgerechnet zwei weitere Superreiche in den Präsidentschaftswahlkampf ein. Howard Schultz, Milliardär und Gründer der Kaffeehauskette Starbucks, liebäugelt derzeit mit einer Kandidatur als parteiunabhängiger Kandidat. Der Milliardär und ehemalige New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg, will vielleicht für die Demokraten antreten. Beide lehnen naturgemäß die Reichensteuer-Ideen vehement ab. Für Bloomberg ist ein derartiges Vorhaben "nicht verfassungsgemäß" und besser für das sozialistische Venezuela geeignet als für die USA.
"Der kulturelle Calvinismus ist immer noch sehr mächtig"
Schultz betont zum Beispiel, dass er es aus einfachen Verhältnissen mit Ideen und Fleiß nach oben geschafft habe. Dass seine Familie früher in einer Sozialwohnung lebte, erwähnt der 65-Jährige häufiger - unter anderem in seiner Biographie Pour Your Heart Into It: How Starbucks Built a Company One Cup at a Time".
Dass sozial geförderte Wohnungen durch den Staat und damit durch Steuergelder finanziert werden, erwähnt er dabei nicht. So wie auch der Computer-Unternehmer Michael Dell vor kurzem erklärte, Probleme statt über Steuern lieber mit seiner eigenen Stiftung zu lösen. Der Philanthropie-Kritiker David Callahan merkt dazu trocken an: Hätten die Superreichen nicht jahrzehntelang Steuersenkung um Steuersenkung vorangetrieben, hätte der Staat nun auch Geld, die Probleme selber anzugehen.
"Schultz, Bloomberg und ihresgleichen sind eitle Männer, die glauben, dass es in Zeiten wie diesen in den USA ein Massenpublikum gibt für ihre politischen Positionen. Die Umfragen könnten aber nicht deutlicher sein: so ist es nicht", glaubt deshalb Campos.
Der demokratische Block um Ocasio-Cortez und Warren hat mit dem Reichensteuer-Vorstoß das Umdenken in Teilen der Gesellschaft in konkrete politische Vorschläge gefasst. Ob sie absehbar politisch durchsetzungsfähig werden, ist damit nicht gesagt. Die politische Rechte arbeitet mit voller Kraft, jegliche Form von Umverteilung als Beginn einer Sowjetisierung Amerikas darzustellen.
"Egalitäre Konzepte stehen in einem Spannungsverhältnis mit dem, was Max Weber die protestantische Ethik und den Geist des Kapitalismus genannt hat", erklärt Campos. "Diese Art von kulturellem Calvinismus ist immer noch sehr mächtig." Doch er beginnt zu bröckeln. Und Amerikas Superreiche spüren es schon.