Süddeutsche Zeitung

Diskussion über Frauenquote:Nur Gesetze schaffen Gleichberechtigung

Lesezeit: 3 Min.

Diskriminierung von Männern, Planwirtschaft, Verstoß gegen das Leistungsprinzip - gegen die Frauenquote wird vieles angeführt. Das neue Gleichberechtigungs-Gesetz, das Hamburg diese Woche im Bundesrat einbringt, dürften die Gegner als Exzess auffassen. Auch viele Frauen lehnen die Quote ab, denn sie wollen wegen ihrer Fähigkeiten angestellt werden. Das ist verständlich, aber falsch.

Heribert Prantl

Gleichberechtigung ist ja ganz schön, aber man soll es damit nicht übertreiben. Im Grundgesetz steht das zwar ganz anders und in der Weimarer Verfassung stand das auch anders. Aber so lautete das heimliche Jahrhundertmotto der Politik: Alles mit Maß, und das Maß ist männlich. So war und ist das, seitdem im Jahr 1918 das Frauenwahlrecht eingeführt wurde.

Bitte nicht übertreiben? Das neue Gleichberechtigungs-Gesetz, das die Hansestadt Hamburg in dieser Woche im Bundesrat einbringt, wird von seinen Gegnern als Gleichberechtigungs-Exzess kritisiert werden: Dieser Gesetzentwurf schreibt Geschlechterquoten vor, das heißt realiter Frauenquoten, für die Besetzung der Aufsichtsräte in großen Unternehmen. Ein weiterer einschlägiger Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion will die Quoten auch für Vorstände einführen.

Zu den Gegnern solcher gesetzlich vorgeschriebener Spitzenquoten zählen die jüngeren Frauen in der CDU, Familienministerin Kristina Schröder an der Spitze: Sie will nur die Flexi-Quote, also die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen. Man versteht aber nicht, warum es nicht beides geben soll: die gesetzlich vorgeschriebenen Quoten für Aufsichtsrat und Vorstand - und die freiwilligen Flexi-Quoten für sonstige Führungspositionen.

Frauen wollen nicht wegen der Quote, sondern wegen ihrer Fähigkeiten ausgewählt werden. Das ist ein Grund für ihre partielle Abneigung gegen gesetzliche Quoten; das ist verständlich, aber falsch: Die gesamte Emanzipationsgeschichte lehrt, dass es ohne konkrete und offensive gesetzliche Hilfe keine Emanzipationsfortschritte gibt. Quotengesetze sind notwendige und probate Hilfsmittel. Nur auf diese Weise ist die Männerquote zu durchbrechen, die in den Vorständen und Aufsichtsräten in Deutschland bei fast hundert Prozent liegt. Selbstverpflichtungserklärungen der Wirtschaft haben hier nicht viel gebracht. Die Karriereleitern für Frauen haben weiter oben keine Sprossen mehr.

Gleichberechtigung ist kein Gedöns, sondern verfassungsrechtliches Gebot. Das Gebot braucht aber gesetzliche Konkretion, weil es sonst als Gedöns abgetan wird. Nur Gesetze schaffen Gleichberechtigung, nicht Absichtserklärungen. Das war in Ehe und Familie so; erst die Scheidungsreform 1977 und das neue Unterhaltsrecht haben hier Gleichberechtigung gebracht. Das ist in der Politik so; erst die flexiblen Quotenregelungen in den Parteien haben die Parlamente weiblicher gemacht.

Das wird bei der Gleichstellung der Frauen in der Wirtschaft nicht anders sein: Es reicht nicht, wenn Frauen theoretisch alles werden dürfen; sie müssen es praktisch werden können. Eine bloß formale rechtliche Gleichbehandlung führt nicht zur Gleichberechtigung, wenn diese formale Gleichbehandlung auf ungleiche Lebenssituationen von Männern und Frauen trifft. Also müssen Frauenfördergesetze einschließlich Quoten aufgelegt werden.

Die Warnung vor angeblichen Übertreibungen hatte und hat verschiedenen Zungenschlag, aber das gleiche Ziel. Einmal wurde die Bibel beschworen, wonach die Frau dem Mann untertan sein solle. Ein andermal musste die Natur herhalten, wobei man die natürliche Bestimmung der Frau aus ihrer Gebärfähigkeit herleitete. Wenn so den Frauen der Weg in den Beruf erschwert und der Aufstieg versperrt wurde, dann geschah das angeblich zu ihrem Schutz. Der erste bundesdeutsche Familienminister Franz-Josef Wuermeling warnte 1953 vor einer "totalen Gleichberechtigung", die bei Zwangsarbeit für Frauen in Bergwerken enden könnte; davor müsse man Frauen schützen. Eine restaurative Politik betrachtete Frauen als bessere Haustiere.

Die einschlägige Rede ist alt, das einschlägige Denken nicht. Gegen die Quote wird heute angeführt: Das sei Planwirtschaft, Eingriff in die unternehmerische Freiheit, Verstoß gegen das Leistungsprinzip, Diskriminierung von Männern. Im Grundgesetz heißt es freilich: "Der Staat wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin." Ein Quoten-Gesetz realisiert dieses Gebot auf kluge Weise. Für Spitzenpositionen sucht man ja Bewerber nicht per Ausschreibung. Vorstand bei VW, Daimler und der Deutschen Bank wird man auf andere Weise. Gesucht werden geeignete Persönlichkeiten. Man findet sie gewiss auch unter den Frauen, wenn man sie finden muss.

Das wird nicht nur die Spitzengremien verändern, sondern die gesamte Personalpolitik der Wirtschaft - weil Frauen darauf achten, dass Frauen gefördert werden. Ist das schlimm? Nein, es ist geboten - erstens von der Verfassung, zweitens von der Klugheit. Frauen werden Unternehmenskulturen positiv verändern. Das lehrt die Erfahrung in anderen Ländern, zum Beispiel in Norwegen, das 2008 eine Quote für Aufsichtsräte eingeführt hat.

Vor gut zehn Jahren hat die damalige SPD-Regierung einen ersten Gesetzentwurf zur Gleichstellung der Geschlechter in der Wirtschaft vom Tisch gewischt. SPD-Generalsekretär war Olaf Scholz. Wenn er nun als Hamburger Bürgermeister ein Quoten-Gesetz vorlegt, ist das ein Akt der Wiedergutmachung. Die SPD besinnt sich auf ihre Wurzeln. Dazu gehört August Bebels großes Emanzipations-Epos "Die Frau und der Sozialismus".

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Quelle:
SZ vom 11.06.2012
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