Jan Schneider weiß, wohin Ressentiments führen können. "Sie gefährden den sozialen Zusammenhalt und führen im schlimmsten Fall zu Gewalt", warnt der Leiter des wissenschaftlichen Stabs vom Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR). Das habe sich in trauriger Weise 2019 mit dem Anschlag auf die Synagoge in Halle bewahrheitet und 2020 mit dem rassistischen, muslimfeindlich motivierten Anschlag in Hanau. Zudem zeugten jedes Jahr tausende andere antisemitische und antimuslimische Straftaten in Deutschland davon.
Unter dem Titel "Antimuslimische und antisemitische Einstellungen im Einwanderungsland - (k)ein Einzelfall?" macht seit Mittwoch eine neue Studie des Sachverständigenrats deutlich, wie verbreitet solche Ressentiments in der deutschen Gesellschaft noch immer sind. Demnach vertreten, je nach Bevölkerungsgruppe und Form von Antisemitismus, zehn bis 50 Prozent aller Befragten judenfeindliche Einstellungen. Auch antimuslimische Haltungen sind deutlich erkennbar, bei 30 bis 50 Prozent der Befragten, auch wenn Ressentiments gegenüber Musliminnen und Muslimen in den vergangenen zehn Jahren insgesamt abgenommen haben.
Wie stark die Feindseligkeiten in einer Bevölkerungsgruppe ausgeprägt sind, hängt laut Studie von der Herkunft, aber auch von persönlichen Diskriminierungserfahrungen und der Schulbildung ab. So seien bei Menschen mit Zuwanderungsgeschichte antisemitische oder antimuslimische Ressentiments etwas häufiger festzustellen als in der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund.
Menschen, die in Deutschland die Schule besucht hätten, seien seltener antisemitisch oder antimuslimisch eingestellt als jene, die in einem anderen Land zur Schule gegangen seien, so die Studie weiter. "Auch bei Menschen, die regelmäßig Kontakt zu Personen anderer Herkunft haben, sind Ressentiments deutlich seltener", sagt Co-Autorin Nora Storz.
Das beste Mittel gegen Vorurteile ist Kontakt
Eigene Ressentiments werden zudem von Diskriminierungserfahrungen verstärkt. So stimmten von den Befragten, die sich wegen ihrer Herkunft selbst diskriminiert fühlen, etwa vier von zehn den meisten antisemitischen Aussagen zu, die ihnen in der Befragung vorgelegt wurden. Bei denjenigen, die sich nicht selbst in dieser Weise diskriminiert fühlen, waren es nur drei von zehn.
Damit liefert die Studie auch Ansätze für Gegenmaßnahmen der Politik. Die sind dem Sachverständigenrat zufolge nicht mal besonders aufwendig. "Um Vorurteile gegenüber anderen abbauen zu können, ist der Kontakt von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religion besonders wichtig", sagt Migrationsexperte Schneider. "Der interkulturelle und interreligiöse Austausch sollte deshalb vor allem mit Hilfe niedrigschwelliger Angebote etwa auf kommunaler Ebene gefördert werden, gerade unter jungen Menschen", fordert er. Auch die Religionsgemeinschaften könnten hier wichtige Beiträge leisten. Die Bundesregierung müsse zudem den in ihrem Koalitionsvertrag angekündigten Abbau struktureller Diskriminierung in der Ausbildungs- und Arbeitsmarktpolitik vorantreiben.
Die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, nennt die hohen Zustimmungswerte zu antisemitischen Einstellungen bei türkeistämmigen Befragten "besorgniserregend". Sehr bedenklich sei auch, dass unter allen Befragten "etwa ein Drittel der Meinung ist, dass die Religionsfreiheit für Muslim*innen eingeschränkt werden" müsse. "Solchen Haltungen müssen wir entgegenwirken", fordert Ataman.