Diskriminierung:"Schandtaten des Rechtsstaats"

Das Kabinett billigt die Rehabilitierung verurteilter Homosexueller. Die Opfer sollen individuell entschädigt werden. Reicht das?

Schwule Männer, die noch nach 1945 wegen ihrer Sexualität verurteilt wurden, sollen rehabilitiert und entschädigt werden. Das Bundeskabinett billigte am Mittwoch einen entsprechenden Entwurf von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD). Danach sollen alle Strafurteile wegen homosexueller Handlungen aufgehoben werden. Betroffen könnten Zehntausende Männer sein. Minister Maas bezeichnete die strafrechtliche Rehabilitierung als überfällig. "Die alten Urteile sind aus heutiger Sicht eklatantes Unrecht. Sie verletzen jeden Verurteilten zutiefst in seiner Menschenwürde", sagte der SPD-Politiker. Diese "Schandtaten des Rechtsstaates" werde man niemals wieder ganz beseitigen können. Ähnlich äußerte sich Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD). Für sie ist das Gesetz ein "wichtiges Signal für alle Homosexuellen in Deutschland, dass Diskriminierung und Vorurteile ihnen gegenüber heute und in Zukunft keinen Platz in unserer Gesellschaft haben".

Das Gesetz sieht eine individuelle Entschädigung vor. Der Linken ist der Betrag zu klein

Die Unionsfraktion will sich dafür einsetzen, dass das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird. Mit Blick auf das hohe Alter vieler Verurteilter müsse der Gesetzgeber schnell handeln und den Menschen die Möglichkeit geben, sich mit dem deutschen Rechtssystem zu versöhnen. Der Gesetzentwurf sieht eine individuelle Entschädigung Betroffener vor. Demnach soll ein Pauschalbeitrag von 3000 Euro je aufgehobene Verurteilung plus 1500 Euro je angefangenem Haftjahr festgelegt werden. Zudem ist eine Kollektiventschädigung in Form einer Förderung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld in Höhe von 500 000 Euro pro Jahr vorgesehen. Der Linksfraktion reicht die Höhe der Entschädigung allerdings nicht aus. Sie forderte eine Individualentschädigung von 9125 Euro, die Einführung einer Opferrente sowie einen Härtefallfonds. Zudem sprach sich der queerpolitische Sprecher der Fraktion, Harald Petzold, dafür aus, auch Menschen mit einzubeziehen, die nach Paragraf 175 zwar nicht verurteilt, aber durch Ermittlungs- und Strafverfahren erheblich benachteiligt und belastet wurden. Auch die Grünen forderten Nachbesserungen. "Die Entschädigungsregelung ignoriert die soziale Existenzvernichtung, die Betroffene durch die bloße Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens erleiden mussten", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Abgeordneten Katja Keul und Volker Beck.

Der frühere Paragraf 175 im Strafgesetzbuch galt seit der Kaiserzeit. In verschärfter Fassung bildete er die Grundlage für die Verfolgung und Ermordung Homosexueller in der NS-Zeit. In dieser Form bestand er noch in der Bundesrepublik fort und in veränderter Version auch lange Zeit in der DDR. Nach Angaben der Antidiskriminierungsstelle wurden auf dieser Grundlage in der Bundesrepublik bis 1969 etwa 50 000 Männer verurteilt. Dann wurde der Paragraf entschärft, aber erst 1994 komplett abgeschafft.

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