Dirk Stermann zur Wahl in Österreich:"Die Österreicher sind nicht dümmer als Deutsche"

Dirk Stermann zur Wahl in Österreich: Der deutsche Radiomoderator Dirk Stermann fühlt sich in Österreich wohl.

Der deutsche Radiomoderator Dirk Stermann fühlt sich in Österreich wohl.

(Foto: Imago Stock&People)

Hohe Lebensqualität, niedrigste Arbeitslosigkeit in Europa: Den Österreichern geht es gut. Dennoch könnte die rechtspopulistische FPÖ am Sonntag zweitstärkste Partei werden. Dirk Stermann, deutscher Moderator und seit 1987 Wiener, erklärt im SZ.de-Interview, wieso so viele Österreicher ihr Leben als "gschissn" bezeichnen und so vieles im Leben negativ sehen.

Von Oliver Das Gupta

Der 48-jährige Dirk Stermann wurde in Duisburg geboren. Er zog nach dem Abitur zum Studium nach Wien und landete schließlich beim ORF-Radio. Mit seinem österreichischen Partner Christoph Grissemann bildet er das Satireduo "Stermann & Grissemann", das mit der Sendung "Salon Helga" zu den Stars des ORF-Senders FM4 wurde. Seit 2007 moderieren sie die TV-Late-Night-Show "Willkommen, Österreich". Der 48-Jährige ist zudem erfolgreicher Buchautor - in "Sechs Österreicher unter den ersten fünf. Roman einer Entpiefkenisierung" setzt er sich mit dem Verhältnis seiner Wahlheimat zum großen Nachbarn Deutschland auseinander.

SZ.de: Herr Stermann, in Deutschland gehen Politiker halbwegs respektvoll miteinander um, in Ihrer Wahlheimat ist das anders. Da wird polemisiert und beschimpft. Können Sie erklären, warum der Ton in Österreich so rüde ist?

Dirk Stermann: Aufgeregt war die Politik hier schon immer. Im Nationalrat, dem Parlament, wurde schon zur K.-und-K.-Zeit heftig gestritten. Vielleicht lag das daran, dass das Parlament nicht als Demokratieort gedacht war. Der Kaiser wollte einfach nur einen Raum schaffen, wo die Abgeordneten streiten konnten. So machtlos, wie sie waren, so zersplittert war die politische Landschaft damals.

Den Kaiser gibt es seit 1918 nicht mehr.

Aber die Tradition des Gegeneinanders scheint die Zeiten überdauert zu haben. In Österreich zoffen sich Politiker in einer Art, die uns Deutschen bizarr anmutet. Dazu kommt ein weiterer Aspekt. In Deutschland wirkt vieles puritanisch, protestantisch-unterkühlt und mit Fakten unterlegt. Österreich aber ist katholisch geprägt. Das bedeutet auch: barock und immer ein wenig theatralisch. Bei manchem Politiker weiß man nicht, ob er sich gerade so gibt, weil er zu viel gegessen hat oder weinselig ist.

Anders als in Deutschland trumpfen in Österreich rechtsradikale Parteien auf. Die FPÖ hetzt gegen Ausländer, ihr Personal hat Verbindungen zu Neonazis. Warum genießt diese Partei so großen Rückhalt in der Bevölkerung?

Das hat wohl mit der verschleppten Vergangenheitsbewältigung zu tun. Österreich hat erst Mitte der achtziger Jahre wegen Kurt Waldheim begonnen, sich mit seinen braunen Jahren auseinanderzusetzen.

Vor seiner Wahl zum österreichischen Bundespräsidenten 1986 wurde Waldheims Rolle als Wehrmachtsoffizier der Öffentlichkeit bekannt.

Bis zu diesem Anlass war die NS-Zeit einfach kein Thema. Man hatte sich damit beruhigt, sich als ein Opfer Hitlers zu fühlen. Allerdings haben auch damals noch manche Medien schändlich versagt. Vor allem die Kronen-Zeitung - ein Boulevardblatt, das in Österreich viel mehr Macht hat als die Bild in Deutschland - hat die FPÖ teilweise gestärkt. Dazu kam, dass es viele Korruptionsfälle in den Regierungsjahren der sozialdemokratischen SPÖ und der konservativen ÖVP gab. Die FPÖ setzte sich als Aufdecker und saubere Alternative in Szene. Als sie dann 1999 selbst an die Regierung kam, explodierte die Korruption.

"Österreich war im Kalten Krieg die Sackgasse des Westens"

Und trotzdem darf die FPÖ am Sonntag damit rechnen, dass jeder fünfte Wähler für sie stimmt.

Vollkommen bizarr ist das.

Sind die Österreicher ein bisserl deppert?

Die Österreicher sind nicht dümmer als Deutsche. Aber die Rahmenumstände sind in Österreich offensichtlich so, dass sich auch weniger Dumme leichter veräppeln lassen.

Handelt es sich also um eine Mentalitätsfrage?

Vielleicht. In Österreich gibt es die negative Grundtendenz.

Das müssen Sie genauer erklären.

Man findet schnell etwas "gschissn" - und das, obwohl es Österreich ökonomisch relativ gut geht. Wenn man etwas "gschissn" findet, dann sucht man jemanden, der auch sagt, dass alles "gschissn" ist. Und man sehnt sich nach jemanden, der das große Heil verspricht, damit es nicht mehr "gschissn" ist. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache findet einiges "gschissn" und er sagt, die Ausländer sind dran schuld. Das zieht.

Warum hat das relativ wohlhabende Österreich, dem Touristen aus aller Welt jedes Jahr Milliarden ins Land bringen, so große Angst vor Fremden?

Österreich war im Kalten Krieg die Sackgasse des Westens. Wien war eigentlich schon Osten, aber der Osten hat das vergessen und der Westen auch. Ein paar Westler sind vielleicht nach Salzburg und Tirol zum Skifahren gereist, aber Wien fühlte sich schon vernachlässigt. Man war nach Osten eingezäunt. Und als die Grenzen sich öffneten, hat man plötzlich befürchtet, überschwemmt zu werden von Menschen, die einem die Arbeit wegnehmen.

Warum sind diese Befürchtungen nicht längst verpufft? Die Arbeitslosenquote ist trotz Euro-Krise die niedrigste in der EU und multikulturell war das Land immer.

Diese partielle Angst existiert einfach. Selbst die Ausländer, die hierher gekommen sind und sich integriert haben, sind ziemlich schnell gegen den Zuzug neuer Ausländer. Sie haben Angst, dass ihre Position unterwandert werden könnte. Dabei war gerade Wien als Hauptstadt des Habsburger-Vielvölkerstaats stets ein multikultureller Schmelztiegel. Zu Kaisers Zeiten gab bei einer Umfrage die Mehrheit an, dass ihre Muttersprache Tschechisch sei. Und heute würde ich darauf tippen, dass weit mehr als die Hälfte aller Namen im Telefonbuch nichtdeutscher Herkunft ist. Das vergessen die natürlich gerne. Aber eigentlich sind alle Wiener Ausländer.

Selbst FPÖ-Chef Strache hat sudetendeutsche Eltern, die ursprünglich aus dem heutigen Liberec (früher Reichenberg) kamen. Geographisch ist er also eher Sachse als Wiener.

Ich kenne einige Österreicher, die Deutsche nicht mögen. Aber viele haben deutsche Omas, Opas, Mütter, Väter, Frauen und Männer. Österreich ist ein Mischland. Das macht Österreich so geil und gleichzeitig so kompliziert.

Sind die Deutschen für die Österreicher nach wie vor die arroganten Piefkes?

Das Bild der Deutschen bei den Österreichern hat sich verbessert. Die Österreicher fühlen sich nicht mehr so klein, weil sie sehen: Die Deutschen kommen nicht alle mit dem dicken Mercedes, sondern auch mit einem rostigen Lada. Als Deutscher ist man hier eine Art Teilzeit-Gastarbeiter. Viele sind Zimmermädchen, Taxifahrer und Kellner.

Wählen dürfen Sie nicht. Aber wenn Sie mitbestimmen könnten: Wen sähen Sie gerne an der Regierung?

Am liebsten wäre mir, wenn Bundespräsident Heinz Fischer die Amtsgeschäfte übernehmen würde. Das ist der Kaiser unserer Tage, aber mit Heinz Fischer hat Österreich großes Glück. Mit ihm haben wir Ruhe und Seriosität - was man von den deutschen Bundespräsidenten in der jüngeren Vergangenheit ja nicht gerade behaupten kann. Fischer macht seinen Job fantastisch und er versteht Humor. Grissemann und ich parodieren ihn regelmäßig. Der Präsident geht total cool damit um, obwohl er uns sogar ins Gefängnis bringen könnte - weil man dieses Amt nicht lächerlich machen darf.

Grissemann und Sie haben legendäre Auftritte hingelegt auf Kosten der Rechten. Nach ihrer Parodie auf die hysterische Trauer um den verunglückten Rechtspopulisten Jörg Haider gab es Morddrohungen.

Wir hatten vor allem Ärger mit den Erben von Haider. Inzwischen sitzen die wegen diverser Korruptionsfälle fast alle im Gefängnis und wir sind immer noch frei. Ich glaube, dieses Match haben wir gewonnen.

Welchen Wahlausgang erwarten Sie?

Die ewige große Koalition. Ich vermute, dass die SPÖ leicht dazu gewinnt und die ÖVP nur drittstärkste Kraft wird, hinter der FPÖ. Ich habe das Gefühl, dass die Bevölkerung müde ist. Es gibt so viele Korruptionsfälle. Es ist der Eindruck entstanden, dass man niemand mehr trauen kann.

"Die Welt geht nicht unter, wenn die Grünen mitregieren"

Von diesem Eindruck profitiert der Polit-Neuling Frank Stronach.

Der verwirrte Milliardär dürfte der FPÖ einige Stimmen einiger ebenso verwirrter Protestwähler wegnehmen. Doch inzwischen ist er so oft aufgetreten, dass klar ist, dass Stronach ein seniler, vielleicht sogar halb dementer Mann ist. Deshalb gehen einige leider nun wieder zurück zur FPÖ und machen die stark.

Zuletzt haben es die österreichischen Grünen in vier Bundesländern in die Regierung geschafft. Warum kam deren Aufstieg im Vergleich zu den deutschen Grünen so spät?

Die österreichischen Grünen wirkten bis vor kurzem so wie die deutschen Grünen vor Joschka Fischer - nicht regierungsfähig. Das ändert sich gerade schlagartig. In Wien ärgern sich ein paar Autofahrer, weil die Fahrradfahrer ein paar mehr Rechte haben, aber die meisten haben gemerkt: Die Welt geht gar nicht unter, wenn die Grünen mitregieren.

Herr Stermann, Sie leben schon seit Jahrzehnten in Wien. Haben Sie sich mal überlegt, Österreicher zu werden?

Eigentlich nie. Ich finde es schon bescheuert genug, Deutscher zu sein. Nationalitäten an sich sind kurios genug. Darum werde ich mich nicht um eine neue reißen. Vor der EU-Osterweiterung war es nervig, weil ich regelmäßig zur Fremdenpolizei musste. Jetzt ist es wurscht.

Nervt Sie das viele "Gschissene" in Österreich nicht langsam?

Politisch hinkt Österreich halt der Lebensqualität hinterher. Aber ich lebe nach wie vor gerne hier in diesem barocken, trinkfreudigen Land. Es ist sowieso ratsam, als Deutscher nicht in Deutschland zu leben. Aus der Entfernung finde ich die Heimat viel besser, als wenn ich drin bin.

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