Direkte Demokratie:Schweizer Exportschlager

Deutsche Befürworter von Plebisziten erhalten Hilfe aus Basel: Ein Gastronom wirbt derzeit in Berlin dafür, Volksabstimmungen auf Bundesebene einzuführen.

Von Charlotte Theile

Es ist ein populäres Thema, eines, bei dem sich die Deutschen erstaunlich einig sind: Je nach Umfrage sind siebzig oder sogar mehr als achtzig Prozent für nationale Volksabstimmungen. Auch in den Grundsatzprogrammen der meisten Parteien taucht die Forderung auf. In der Realität aber hatten diese Bekenntnisse keine Folgen. Das liegt vor allem daran, dass die CDU gegen nationale Volksentscheide ist. Auf den ersten Blick: ein ideales Wahlkampfthema. Überraschend ist, wer nun in diesen Wahlkampf einsteigt. Der Schweizer Daniel Häni, der in Basel ein Café betreibt und bisher vor allem als leidenschaftlicher Kämpfer für das bedingungslose Grundeinkommen aufgefallen ist, möchte den Deutschen Nachhilfe geben. Häni will die direkte Demokratie seines Heimatlandes nach Deutschland exportieren. In den nächsten Wochen wollen er - und zahlreiche andere Aktivisten, etwa von der deutschen Nichtregierungsorganisation Mehr Demokratie e.V. - die Politiker in Berlin unter Druck setzen.

Daniel Häni findet: "Vielleicht müssen wir Schweizer in dieser Frage Entwicklungshilfe leisten. Schließlich haben wir mehr als 120 Jahre Erfahrung mit diesem System." Häni, der diese Entwicklungshilfe "First World Development" nennt, ist überzeugt: Mit Blick auf die Schweiz verpuffen fast alle Argumente gegen Volksabstimmungen. Davon gibt es reichlich. Politologen wie der Bonner Professor Frank Decker weisen regelmäßig darauf hin, dass das deutsche System mit seinem Wechsel von Regierung und Opposition durch Volksabstimmungen quasi handlungsunfähig gemacht werden könnte und dass solche Abstimmungen in einem kleinen, gewachsenen System wie der Schweiz vielleicht funktionieren können, in Deutschland aber nicht. Doch auch Decker kann sich Volksabstimmungen als sinnvolles Instrument vorstellen - etwa als Entscheidungshilfe, wenn sich die Regierungsparteien nicht einig sind.

Daniel Häni und seine Mitstreiter bereiten an diesem Wochenende in Berlin eine Kampagne vor, ihr Vorhaben klingt fast wie ein Staatsstreich: "Wie können wir mit kleinstmöglichem Aufwand Deutschland in eine direkte Demokratie verwandeln?" Für sie steht diese Forderung in einer direkten Tradition: Schon 1989, als die Menschen in der DDR "Wir sind das Volk" riefen, sei es um Selbstbestimmung gegangen, schon damals hätte man die Gelegenheit ergreifen und dem Volk direkte Mitbestimmungsrechte geben sollen, argumentieren sie. Auf kommunaler Ebene wurden in den Jahren nach der Wiedervereinigung viele ihrer Forderungen Wirklichkeit - auf nationaler Ebene aber konnten sich Volksentscheide nie durchsetzen. Vielleicht, weil viele Deutsche Angst vor der Instrumentalisierung durch Populisten haben. Eine Version, um die ziemlich weitgehende Schweizer Variante abzufedern: Bevor eine Initiative zugelassen wird, müsste sie vom Bundesverfassungsgericht geprüft werden. Mit diesem Vorschlag grenzen sie sich klar von Bewegungen wie Pegida ab, die ebenfalls auf die Schweiz verweisen.

Bevor es so konkret wird, schlägt Häni eine weitere Schlaufe vor. Sie klingt absurd, ist aber aus Schweizer Sicht folgerichtig. Die Deutschen sollten erst einmal abstimmen, ob sie die Volksentscheide überhaupt wollen.

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