Diplomatische Krise:Amerika contra Amerika

Venezuela und Bolivien lassen gegenüber den USA die Muskeln spielen. Dies könnte ein entscheidendes Thema im US-Wahlkampf werden.

Peter Burghardt

Es ist ein historischer Zufall, dass der Jahrestag der nordamerikanischen Katastrophe mit dem Jubiläum einer südamerikanischen Tragödie zusammen fällt. An einem 11. September flogen nicht nur arabische Terroristen mit Linienmaschinen in World Trade Center und Pentagon.

Diplomatische Krise: "Scheiß Yankees, fahrt zum Teufel", sagte Hugo Chavez am Freitag.

"Scheiß Yankees, fahrt zum Teufel", sagte Hugo Chavez am Freitag.

(Foto: Foto: Reuters)

An einem 11. September bombardierten auch Kampfflugzeuge des chilenischen Putschisten Augusto Pinochet den Regierungspalast in Santiago, Washington stützte die Aktion. 1973 war das, in den Trümmern nahm sich der sozialistische Staatschef Salvador Allende das Leben. Chile schlitterte dann in 17 Jahre Militärdiktatur. Das ist nun lange her, Pinochet ist tot. Mit ihm starb die Symbolfigur eines Tyrannen. Finstere Regime und Stellvertreterkriege zwischen den USA und der Sowjetunion sind südlich des Rio Grande weitgehend verschwunden.

Doch wie gestört das Verhältnis von Supermacht und Teilen des Subkontinents ist, das illustrierte gerade der 11. September 2008. Venezuelas Präsident Hugo Chávez wählte ein schicksalhaftes Datum, um den US-Botschafter aus seinem Land zu weisen. Zuvor hatte bereits sein bolivianischer Kollege Evo Morales den Gesandten des State Department hinaus geworfen.

Chávez und Morales beschuldigen die Statthalter von George W. Bush, Saboteure und Separatisten zu fördern. Zudem begrüßt der frühere Fallschirmjäger Chávez russische Bomber in Caracas, demnächst schickt Moskau außerdem Kriegsschiffe zum gemeinsamen Seemanöver. Die USA wiederum lassen ihre IV. Flotte patrouillieren.

"Scheiß Yankees, fahrt zum Teufel", brüllt Chavez. Solche Wutanfälle sind bei dem Showman der Karibik zwar selten ernst zu nehmen. Bush ernannte er einmal vor den Vereinten Nationen in New York zum schwefelriechenden Höllenfürsten. Eine neue Krise wie 1962 mit sowjetischen Raketen auf Kuba steht nicht gleich bevor. Aber es zeigt sich, welche Blüten in Amerikas Vorgarten wachsen.

Chávez und Morales sagen, was viele ihrer Wähler denken. Beide sind mit eindeutigen Mehrheiten gewählt, mehrfach sogar. Anders als ihr Mentor Fidel Castro kamen sie nicht durch eine bewaffnete Revolution an die Macht, sondern durch eine Revolution an den Urnen.

Wichtiger als Kuba

Die Mehrheit hat korrupte Parteien, neoliberale Rezepte und arrogante Amerikaner satt. Die Mehrheit wurde trotz der natürlichen Ressourcen ihrer Heimatländer immer ärmer, eine Minderheit dagegen durch wilde Privatisierungen immer reicher. Es ist eine bemerkenswerte Volte der Geschichte, dass 40 Jahre nach dem Tod von Che Guevara und 20 Jahre nach dem Mauerfall sozialistische Ideen eine Wiedergeburt erleben.

Auf einmal wird wieder munter verstaatlicht. Dabei übertreiben es die zeitgenössischen Rebellen, wie der selbstverliebte Chávez und Genosse Morales mit ihren Verfassungen und Verordnungen. Und Castros Erben haben mächtige Feinde, denn es geht um viel Geld.

Amerika contra Amerika

Venezuela ist für die Märkte und Strategen dabei wesentlich interessanter als das mythische Kuba. Opec-Mitgründer Venezuela sitzt auf den größten Ölvorräten der westlichen Welt. Benzin ist dort billiger als Mineralwasser, und Chávez' Selbstvertrauen stieg mit dem Ölpreis in schwindelerregende Höhen.

Die dunkle Soße vor der Küste und aus den Flussbecken des Orinoco hat ihn zum reichen Onkel gemacht, der mit breiter Brust zwischen Nicaragua und Weißrussland die Milliarden verteilt und mit Wladimir Putin und Mahmud Ahmadinedschad Allianzen schmiedet.

Die Geschäfte gehen weiter

So lange die Petrodollars in solchen Mengen fließen, solange haben politischen Rivalen in Caracas kaum eine Chance. Der redselige Weltverbesserer nervt besonders die USA, die ihren Treibstoff lieber aus dem nahe Venezuela als aus dem fernen Mittleren Osten beziehen. Genau deshalb werden sich beide Seiten nichts tun. Die Geschäfte gehen trotz des Wortgeklingels weiter, notfalls ohne Botschafter.

Bolivien ist da vergleichsweise eine Fußnote, aber Bolivien liegt im Herzen Südamerikas. Nicht nur geographisch. Die Republik im Namen des Befreiers und Chávez-Idols Simón Bolívar ist ein Symbol für das lateinamerikanische Dramas: zurecht gestutzt, ausgebeutet und in ständiger Unruhe. Die bolivianische Stadt Potosí mit ihrem Bergwerk war einst Synonym von Reichtum - mit dem Silber aus den Stollen hätte sich während der spanischen Kolonialherrschaft eine Brücke bis nach Sevilla bauen lassen können.

500 Jahre später herrscht in den Anden das Elend. Deshalb war es für die Region ein Jahrhundertereignis, als der Aymara-Indio und Kokagewerkschafter Morales 2006 die Spitze der Nation erklomm. Einer seiner Vorgänger war der reichste Minenbesitzer des Landes, sprach Spanisch mit amerikanischem Akzent und ließ Demonstranten erschießen.

Jetzt regiert erstmals einer aus der indianischen Bevölkerungsmehrheit, die so lange entrechtet war.

In Bolivien verdichtet sich Lateinamerikas Kulturkampf: europäisch geprägte Unternehmer gegen selbstbewusst gewordene Ureinwohner, Links gegen Rechts, Arm gegen Reich, Hochland gegen Tiefland. In dem Krisenstaat brennt es an allen Ecken, die Konflikte können mit weiteren Windstößen zum Flächenbrand werden. Ob und wie sehr da ein US-Botschafter bei den Widerständlern mitgezündelt hat, ist unklar. Der Rausschmiss des Diplomaten hilft einem devisenbedürftigen Zwerg wie Bolivien bestimmt nicht weiter.

In jedem Fall sollten sich die USA hüten, in ihrem Hinterhof wie in düsteren Zeiten allzu auffällig Partei zu beziehen. Früher wiesen CIA und US-Außenministerium rechten Folterknechten bedenkenlos den Weg, um Kommunisten zu vertreiben. Die grausigen Staatsstreiche in Chile oder Argentinien wurden unter anderem vom Friedensnobelpreisträger Henry Kissinger abgesegnet - was für ein Zynismus, nachzulesen im Nationalen Sicherheitsarchiv der USA.

Beunruhigen wird die scheidende Regierung Bush das alles nur am Rande. Lateinamerika ist ein noch harmloser Nebenkriegsschauplatz. Die Schlachten werden in Afghanistan und im Irak geschlagen, auch Iran, Georgien und Nordkorea beschäftigen den Texaner in Washington viel mehr als Venezuela und Bolivien. Doch Chavez' Muskelspiele und die russischen Waffentänze vor seiner Haustür könnten zum Wahlkampfthema werden, und ein bisschen Kalter Krieg an der Straße von Florida kommt eher dem Vietnam-Veteranen John McCain entgegen.

Nicht zuletzt die Hispanos in den USA werden das amerikanische Duell entscheiden. Womöglich sind die besten Helfer der Republikaner, wie beim umstrittenen Sieg im Jahr 2000, wieder Miamis Exilkubaner. Dann geht es auch um Castro, Chávez, Guantanamo. Wenn Bushs Nachfolger sein Amt antritt, dann hat man in Havanna gerade 50 Jahre Revolution gefeiert. Bald zehn US-Präsidenten haben die Castro-Brüder seit 1959 überlebt. Der elfte Mann im Weißen Haus seit Kubas Rebellion sollte sich bemühen, mit dem roten Lateinamerika etwas geschickter umzugehen.

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