Diplomatie:Berlin erwägt, russische Diplomaten auszuweisen

Diplomatie: Passanten gehen an der russischen Botschaft in Berlin-Mitte vorbei.

Passanten gehen an der russischen Botschaft in Berlin-Mitte vorbei.

(Foto: Bernd von Jutrczenka/picture alliance/dpa)

Bei einer "signifikant hohen Zahl" russischer Botschaftsmitarbeiter besteht der Verdacht der Spionage. Noch ist sich die Regierung aber nicht einig, ob dieser Schritt nötig ist - und sinnvoll.

Von Stefan Kornelius und Paul-Anton Krüger, Berlin

Die Bundesregierung erwägt nach Informationen der Süddeutschen Zeitung, eine "signifikant hohe Zahl" von russischen Diplomaten aus Deutschland auszuweisen, die der Geheimdienstarbeit verdächtigt werden. Die Politische Direktorin des Auswärtigen Amtes, Tjorven Bellmann, sprach demnach in einer Konferenz mit ihren Kollegen aus den G-7-Staaten Anfang der Woche von einem "Entscheidungspaket", zu dem auch der Entzug von Akkreditierungen russischer Botschaftsmitarbeiter zählen könne.

Aus dem Auswärtigen Amt hieß es dazu, die Bundesregierung stimme sich zu weiteren Reaktionen auf den russischen Angriff auf die Ukraine eng mit den Partnern ab. Alle Optionen blieben auf dem Tisch. "Es wäre nicht zweckmäßig, dass wir Maßnahmen vorab ankündigen." Deutschland könnte nach Informationen der SZ eine ähnlich hohe Zahl von Mitarbeitern russischer Vertretungen des Landes verweisen, wie es zuletzt Belgien und die Niederlande getan haben, also etwa 20. In der Bundesregierung werden aber noch verschiedene Optionen diskutiert.

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Die Entscheidung müssten das Kanzleramt, das Auswärtige Amt und das Innenministerium im Einvernehmen treffen, das bislang aber noch nicht hergestellt werden konnte. In der Bundesregierung herrscht Uneinigkeit über den Sinn solcher Ausweisungen. Zwar ist in Geheimdienstkreisen bekannt, dass Russland eine hohe Zahl an inoffiziellen Geheimdienstmitarbeitern in Berlin unterhält, allerdings sehen sich Bundesnachrichtendienst (BND) und Verfassungsschutz in der Lage, die Mitarbeiter zu überwachen. Sie hätten sich in den vergangenen Wochen unauffällig verhalten, heißt es in Geheimdienstkreisen.

Der BND, der als Behörde dem Kanzleramt nachgeordnet ist, erwartet, dass eine Ausweisung entsprechende Gegenmaßnahmen der russischen Seite auslösen wird - womit die Zahl deutscher Diplomaten in Russland deutlich reduziert würde. Der BND unterhält wie überall auf der Welt auch in der Botschaft in Moskau eine offizielle Residentur, allerdings mit lediglich zwei Mitarbeitern. Es ist davon auszugehen, dass diese Mitarbeiter von russischen Vergeltungsmaßnahmen betroffen wären.

Hunderte russische Geheimdienstmitarbeiter sind mit diplomatischer Immunität ausgestattet und als normale Botschaftsmitarbeiter akkreditiert in Europa aktiv. Nach Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz hatten schon im vergangenen Jahr die russischen Spionageaktivitäten wieder das Niveau der Zeit des Kalten Krieges erreicht.

In dieser Woche haben Belgien, die Niederlande, Irland und Tschechien insgesamt 43 russische Diplomaten ausgewiesen. Diese seien an geheimdienstlichen Tätigkeiten und Aktivitäten zur Manipulation der öffentlichen Meinung beteiligt gewesen, hieß es zur Begründung. Die USA und Großbritannien haben ihren Druck auf die Bundesregierung erhöht, nun ebenfalls eine Entscheidung zu treffen. Beide Länder haben bereits große Ausweisungswellen hinter sich und verfügen nur noch über wenig Personal in Russland. Belgien hatte am Dienstag 21 russische Mitarbeiter der Botschaft in Brüssel und des Konsulats in Antwerpen ausgewiesen. Die Niederlande wiesen am selben Tag 17 Diplomaten die Tür, aus Irland wurden vier Entsandte, aus Tschechien ein Russe aufgefordert, das Land zu verlassen.

Irlands Premier Micheál Martin hatte sich beklagt, dass eine koordinierte Ausweisung unter allen 27 EU-Mitgliedern nicht möglich sei. Auch in der Bundesregierung wird ein solcher Schritt seit Längerem diskutiert, allerdings wollte man in Berlin größtmögliche Geschlossenheit in der EU herstellen und nach Möglichkeit konzertiert handeln. Polen, Bulgarien, die baltischen Staaten und auch die Slowakei hatten schon vor einer Woche Dutzende russische Diplomaten zu unerwünschten Personen erklärt, alleine Polen entzog 45 russischen Diplomaten die Akkreditierung. Zudem wurde gegen einen polnischen Verwaltungsangestellten ein Ermittlungsverfahren wegen möglicher Spionage eröffnet.

Üblicherweise reagiert die russische Regierung innerhalb von zwei Wochen mit der Ausweisung von Diplomaten aus Moskau. Die Niederlande und Belgien würden ihre Botschaften in Russland bei spiegelbildlicher Ausweisung dann mit einer Minimalbesetzung von bis zu zwei Mitarbeitern offen halten. Viele ausländische Vertretungen in Russland haben sich bereits auf die Ausweisung oder auf den kriegsbedingten Abzug vorbereitet, mit der Rücksendung von Umzugsgut in die EU begonnen und Evakuierungspläne erstellt. Der deutsche Botschafter in Moskau, Géza von Geyr, hielt sich in dieser Woche zu Beratungen in Berlin auf. In Moskau rechnet man offenbar mit Ausweisungen aus Deutschland; Botschaftsmitarbeiter bereiten sich zumindest auf eine mögliche Ausreise vor. Russland unterhält neben der Botschaft in Berlin Konsulate in Bonn, Frankfurt, Hamburg, Leipzig und München.

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