Historische Versöhnung mit Israel:Heimlicher Händedruck mit Adenauer

Israel's Premier David Ben-Gurion, left, converses with West German...

Annäherung: Israels Ministerpräsident David Ben-Gurion und Kanzler Konrad Adenauer 1960 in New York.

(Foto: AP)

Dan Diner beschreibt in seinem Buch "Rituelle Distanz" das Wiedergutmachungsabkommen zwischen Israel und Deutschland 1952. Die Spannungen in Jerusalem waren erheblich.

Von Joseph Croitoru

In diesem Jahr wird des 50. Jubiläums der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel gedacht, die am 12. Mai 1965 aufgenommen wurden. Aktuelle Neuerscheinungen dazu sind rar, und auch Dan Diners Buch "Rituelle Distanz" hat mit dem Jahrestag selbst nur am Rande zu tun. Der israelisch-deutsche Historiker war in den vergangenen Jahrzehnten in beiden Ländern gleichzeitig als Geschichtsprofessor tätig. In Leipzig leitete der gebürtige Münchner von 1999 bis 2014 das Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur, das neue Maßstäbe in der Erforschung des modernen Judentums gesetzt hat.

Diners Blick war aber schon immer auch auf globale Entwicklungen gerichtet, vor deren Hintergrund er auch die jüdische Geschichte deutete. Sein jüngstes Buch kreist zwar um das deutsch-israelische Wiedergutmachungsabkommen aus dem Jahr 1952 und beleuchtet insbesondere Verhalten und Rhetorik der politischen Elite Israels sowie der führenden jüdischen Organisationen. Die Studie ist allerdings, wie der Autor selbst betont, "Teil einer sich in Arbeit befindenden größeren Untersuchung zur Geschichte der Verwandlung jüdischer Lebenswelten in der Moderne".

Zwischen Außenminister Sharett und Adenauer kam es zum Handschlag

Wegen ihres Präzedenzcharakters bietet die Wiedergutmachung reichlich Stoff für die von Diner diagnostizierten "Verwandlungen" im jüdischen Selbstverständnis. Gewiss war, wie er hervorhebt, der Bruch der damaligen israelischen Führung mit dem von ihr als "diasporisch" abgelehnten Bann der Eliten des noch jungen Staats Israel gegen Deutschland Resultat eines neuen politisch souveränen Denkens. Die existenziellen wirtschaftlichen Interessen des Landes vor Augen argumentierte denn auch damals Israels Außenminister Moshe Sharett, diese müssten Vorrang haben vor einer Rückwärtsgewandtheit, die einen durch die Staatsgründung nun geschichtlich überholten Zustand ewiger messianischer Erwartung aufrechtzuerhalten trachte.

Mit dem Argument, dass der israelische Staat dringend die deutsche Entschädigung bräuchte und ein bilateraler Vertrag nun einmal Voraussetzung dafür sei, setzte sich die israelische Regierung schließlich durch. Dass aber diese Argumentation gleichzeitig auch ihrer Selbstlegitimierung diente, wird in dem Buch nicht reflektiert. Dabei hatten es die Volksvertreter keineswegs leicht, den in den Köpfen noch nicht ganz präsenten und schwer regierbaren neuen Staat Israel zu verkörpern: Von 1949 bis 1952 erlebte Jerusalem nicht weniger als vier Regierungen.

Bei dem von Diner hier ausgemachten Bewusstseinswandel handelte es sich also auch um eine Rhetorik der Staatlichkeit, die von den Regierenden genauso kalkuliert eingesetzt wurde wie der von der Opposition geschürte Deutschlandhass. Dass antideutsche Ressentiments in der dem Abkommen vorausgehenden Knessetdebatte vom Januar 1952 gezielt instrumentalisiert wurden, wird, obwohl ihr ein ganzes Kapitel gewidmet ist, nicht wirklich deutlich. Den Gegnern der Regierung war dabei jedes Mittel recht, und so überschlugen sich links- wie rechtsnationale säkulare Politiker nicht nur mit patriotischen Racheparolen, sondern bedienten sich auch gern alttestamentlicher Metaphern, mit denen ewige Unversöhnlichkeit gegenüber dem "Erzfeind" Deutschland demonstriert und die Unsühnbarkeit seiner Schuld unterstrichen werden sollte. Der Autor neigt dazu, den Griff zu solchen religiösen Formeln als Symptom einer "theologisch-politischen Transformation" des israelischen Politikdiskurses aufzufassen. Solche Rückgriffe auf die jüdische Schrifttradition gehörten damals aber längst zum Sprachhabitus säkularer Zionisten.

Nicht unproblematisch ist auch Diners Analyse der Inszenierung jener "frostigen" Atmosphäre, auf der die israelische Seite bei der Unterzeichnung der Wiedergutmachungsverträge in Luxemburg am 10. September 1952 beharrte. Dies zumal, da der eigentliche Grund für die "rituelle Distanz" erst und eher nebenbei in einem späteren Kapitel genannt wird: nämlich dass die erhitzte israelische Diskussion gerade "in Fragen des Zeremoniellen" kulminiert sei. Besonders die als Sakrileg empfundene Eventualität, dass es zwischen der israelischen und der deutschen Delegation zu einem unmittelbaren physischen Kontakt kommen könnte, sei Gegenstand der öffentlichen israelischen Kritik gewesen.

Wut in der ultranationalistischen Presse

Was das angeht, hätte man sich noch mehr Details gewünscht. So bleibt unerwähnt, dass Außenminister Sharett, der damals gemeinsam mit Bundeskanzler Konrad Adenauer das Abkommen unterzeichnete, vor seinem Abflug nach Europa von israelischen Journalisten direkt mit der Frage konfrontiert wurde, ob es einen Handschlag mit dem Deutschen geben würde, auf die er eine konkrete Antwort schuldig blieb - Adenauer hatte schließlich unerwartet Sharetts Hand geschüttelt, allerdings vor der Unterzeichnung und nicht in dem Raum, in dem sie im Luxemburger Stadtpalais stattfand und den beide Delegationen vereinbarungsgemäß getrennt und in zeitlichem Abstand betraten.

Doch der spontane Händedruck hinter den Kulissen wurde geheim gehalten. So konnte die israelische Mainstreampresse anschließend zwar zufrieden von einer Vertragsunterzeichnung "ohne Reden und Händeschütteln" berichten. Aber schon wenige Tage später bekamen jüdische Reporter von dem geheimen Händedruck Wind, den die ultranationalistische Oppositionspresse zu einem Skandal stilisierte. Diner, obgleich er das Verhalten der israelischen Seite eingehend analysiert, verweist im Zusammenhang mit der Unterzeichnung nur auf Reaktionen in bundesdeutschen Zeitungen, und so bleibt das Bild hier unvollständig.

Umso deutlicher veranschaulicht der Historiker hingegen, wie sehr die am Zustandekommen des Abkommens beteiligten Juden unter dem Trauma des Holocaust standen. Das einzige jüdische Mitglied der deutschen Delegation, Jakob Altmaier, hatte die Katastrophe in einen bekennenden Juden verwandelt. Auf der offiziellen jüdischen Seite waren es aber eher die juristische Auseinandersetzung mit dem deutschen Verhandlungspartner und die Notwendigkeit, sich bei den Entschädigungsforderungen für die Verbrechen der Schoah als Kollektiv neu zu definieren, die eine "Verwandlung" bewirkten - hin zu einer neuen, länder- wie organisationsübergreifenden jüdischen Solidarität, wie sie es vorher nicht gegeben hatte.

Joseph Croitoru, geboren in Haifa, ist freier Historiker und Journalist. Er lebt seit 1988 in Deutschland.

Historische Versöhnung mit Israel: Dan Diner, Rituelle Distanz. Israels deutsche Frage. Deutsche Verlags-Anstalt 2015, 176 Seiten, 19,90 Euro. Als E-Book: 15,99 Euro.

Dan Diner, Rituelle Distanz. Israels deutsche Frage. Deutsche Verlags-Anstalt 2015, 176 Seiten, 19,90 Euro. Als E-Book: 15,99 Euro.

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