Diplomatie:Bewährungsprobe in der Nachbarschaft

EU foreign policy chief Borrell holds a news conference in Brussels

"Eine sehr gefährliche Situation" sieht der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell in Libyen.

(Foto: Francois Lenoir/Reuters)

Die Europäer versuchen, im libyschen Bürgerkrieg zu schlichten. Doch ihr Einfluss ist derzeit begrenzt - und es gibt Meinungsverschiedenheiten zwischen Paris und Rom.

Von Matthias Kolb und Paul-Anton Krüger, Brüssel/München

Angesichts andauernder Gefechte um die libysche Hauptstadt Tripolis verstärken die Europäer ihre Bemühungen, die weitere Eskalation des Bürgerkriegs in Libyen zu verhindern und eine politische Lösung zu organisieren. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) traf am Mittwoch in Brüssel gemeinsam mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell Libyens international anerkannten Premier Fayez el-Serraj. Am Dienstag hatte Maas mit seinen Kollegen aus Frankreich, Großbritannien und Italien sowie Borrell über die Lage beraten und einen Schlichtungsversuch für Libyen angekündigt.

Nach dem Treffen mit el-Serraj sagte Maas, dieser habe seine volle Unterstützung für den sogenannten "Berliner Prozess" erklärt, wonach ein internationales Gipfeltreffen in Deutschland den Auftakt zu von den Vereinten Nationen vermittelten Gesprächen der libyschen Kriegsparteien bilden soll. "Das ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass wir demnächst entscheiden können, ob wir in wenigen Wochen in Berlin auch einen Gipfel zu Libyen ausrichten werden", erklärte er. Allerdings brauche es dafür auch ein "Waffenembargo, das seinen Namen verdient".

Italiens Premier Giuseppe Conte hat unterdessen in Rom Gespräche mit dem libyschen General Khalifa Haftar geführt, der versucht, Tripolis militärisch einzunehmen und el-Serraj zu stürzen. Details zum Inhalt wurden zunächst nicht bekannt, nur dass der Termin fast drei Stunden gedauert habe. Ein für den Abend erwarteter Besuch des libyschen Regierungschefs Fajis al-Serraj in Rom sollte nach Angaben der Nachrichtenagentur Ansa dagegen doch nicht stattfinden. Sowohl die Regierung von el-Serraj wie auch der Kriegsherr Khalifa Haftar, erhalten von mehreren Staaten Waffen und Geld. Zu einer gemeinsamen europäischen Position zu gelangen wird dadurch erschwert, dass Frankreich und Italien bislang verfeindete Parteien unterstützen. Während die frühere Kolonialmacht Italien eng mit der Übergangsregierung von el-Serraj kooperiert, um illegale Migration zu unterbinden, setzt Frankreich auf Haftar, der vorgibt, islamistische Extremisten zu bekämpfen. Diplomaten sagten allerdings, die Lücke zwischen den Positionen "schließt sich etwas". Das liege daran, dass sich die Situation durch den Einsatz von russischen Söldnern der eng mit dem Kreml verbundenen Wagner-Gruppe auf Seiten Haftars geändert habe. Den militärischen Vorteil Haftars versucht der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan mit der Entsendung von bislang 35 türkischen Soldaten und geschätzt 300 syrischen Milizionären auszugleichen, die el-Serrajs Regierungstruppen unterstützen sollen.

Die intensiven Bemühungen der EU-Staaten haben zum Ziel, das Leiden der Zivilbevölkerung in Libyen zu mildern. Auch könne man den Bürgerkrieg nicht "einfach laufen lassen", sagen Diplomaten. Wenn das nordafrikanische Land unregierbar bleibt, könne es mehr als ohnehin schon ein Rückzugsraum für Schmuggler, Schlepper und Terroristen werden. Sirte sei früher "der Zweitwohnsitz des Islamischen Staates" gewesen, sagen Diplomaten warnend mit Blick auf die Terrormiliz.

Der neue Brüsseler Chefdiplomat will auch mit den "anderen libyschen Führern" reden

Die Heimatstadt des gestürzten Diktators Muammar al-Gaddafi war jüngst weitgehend kampflos von Haftars Truppen eingenommen worden. Sie flogen am Mittwoch aber Luftangriffe auf Milizen der Einheitsregierung von el-Serraj. Dies sei eine Vergeltungsaktion für einen Angriff gewesen, bei dem neun Milizionäre der Haftar-Truppen getötet worden waren, hieß es.

Der Einfluss der Europäer ist zurzeit allerdings begrenzt. Sie setzen darauf, dass keiner der Akteure in Libyen zum Paria werden möchte, der international nicht anerkannt wird und bei der Entwicklung des Landes keine Unterstützung erhält. Zudem zeigen sich die Europäer überzeugt, dass der Konflikt in Libyen von keiner Seite militärisch zu gewinnen sei - und daher die Bereitschaft für Verhandlungen über eine politische Lösung zu verhandeln gegeben sei. Der neue EU-Chefdiplomat Josep Borrell sprach von "einer sehr gefährlichen Situation" in Libyen und von einem möglichen Wendepunkt - und zwar nicht zum Besseren. In den nächsten Tagen seien Gespräche mit den "anderen libyschen Führern" geplant, sagte Borrell. Dies dürfte auch den Kriegsherrn Haftar einschließen. Kurz nach Übernahme seines neuen Amts hatte Borrell erklärt: "Wir sollten in der Lage sein, mehr in Libyen zu tun. Wir können nicht behaupten, eine geopolitische Macht zu sein, wenn wir Probleme in unserer unmittelbaren Nachbarschaft nicht lösen können."

Zeitgleich mit den Treffen in Brüssel trafen sich die Außenminister Italiens und Frankreichs in Kairo mit ihren Kollegen aus Ägypten, Zypern und Griechenland. Am Samstag werden Kanzlerin Angela Merkel und Maas bei ihrem Treffen mit Russlands Präsident Putin auch die Lage in Libyen erörtern; am selben Tag reist EU-Ratspräsident Charles Michel nach Ankara und Kairo, um mit den Präsidenten der Türkei sowie Ägyptens zu sprechen.

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