Diplomatie:Aussagen über Nationalisten: Botschafter Melnyk unter Druck

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Der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk. Foto: Michael Kappeler/dpa (Foto: dpa)

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Berlin/Kiew (dpa) - Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, steht nach umstrittenen Äußerungen über einen früheren Nationalistenführer unter Druck. Das ukrainische Außenministerium nannte die Aussagen über Stepan Bandera (1909-1959) Melnyks persönliche Meinung, die nicht die offizielle Position wiedergebe. Polen rügte die Äußerungen als absolut inaktzeptabel. Melnyk selbst wollte sich nach Angaben einer Sprecherin der ukrainischen Botschaft in Berlin nicht äußern.

Melnyk hatte Bandera im Interview mit dem Journalisten Tilo Jung in Schutz genommen und gesagt: "Bandera war kein Massenmörder von Juden und Polen." Dafür gebe es keine Belege. Melnyk zufolge wurde die Figur Banderas gezielt von der Sowjetunion dämonisiert. Der Botschafter warf deutschen, polnischen und israelischen Historikern vor, dabei mitgespielt zu haben. "Ich bin dagegen, dass man all die Verbrechen Bandera in die Schuhe schiebt", sagte der Diplomat. "Es gibt keine Belege, dass Bandera-Truppen Hunderttausende Juden ermordet haben", zeigte sich Melnyk überzeugt.

Als Botschafter ist Melnyk dem ukrainischen Außenministerium unterstellt. Melnyk ist in Deutschland auch durch Kritik an der Ukraine-Politik der Bundesregierung bekannt.

Israel: "Verharmlosung des Holocausts"

Die israelische Botschaft in Deutschland hat dem ukrainischen Botschafter, Andrij Melnyk, nach dessen kontroversen Interview-Aussagen eine Verharmlosung des Holocaust vorgeworfen. "Die Aussagen des ukrainischen Botschafters sind eine Verzerrung der historischen Tatsachen, eine Verharmlosung des Holocausts und eine Beleidigung derer, die von Bandera und seinen Leuten ermordet wurden", erklärte die israelische Botschaft in Berlin am Freitag auf Twitter. Melnyks Darlegungen "untergraben auch den mutigen Kampf des ukrainischen Volkes, nach demokratischen Werten und in Frieden zu leben".

Nationalistenführer Stepan Bandera

Bandera (1909-1959) war ideologischer Führer des radikalen Flügels der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN). Nationalistische Partisanen aus dem Westen der Ukraine waren 1943 für ethnisch motivierte Vertreibungen verantwortlich, bei denen Zehntausende polnische Zivilisten ermordet wurden. Bandera floh nach dem Zweiten Weltkrieg nach Deutschland, wo er 1959 von einem Agenten des sowjetischen Geheimdienstes KGB ermordet wurde.

Das ukrainische Außenministerium hatte in der Nacht zum Freitag auf seiner Webseite erklärt: "Die Meinung des ukrainischen Botschafters in Deutschland, Andrij Melnyk, die er in einem Interview mit einem deutschen Journalisten ausgedrückt hat, ist seine persönliche und gibt nicht die Position des ukrainischen Außenministeriums wieder."

Das Außenministerium in Kiew dankte zudem Warschau für die derzeitige "beispiellose Hilfe" im Krieg gegen Russland. Wörtlich heißt es darin: "Wir sind überzeugt, dass die Beziehungen zwischen der Ukraine und Polen derzeit auf ihrem Höhepunkt sind."

Der polnische Vize-Außenminister Marcin Przydacz sagte der Internetplattform Wirtualna Polska: "So eine Auffassung und solche Worte sind absolut inakzeptabel." Auf die Frage, ob Polen eine Entschuldigung von Melnyk erwarte, sagte er: "Uns interessiert mehr die Position der ukrainischen Regierung als die von Einzelpersonen." Da sich das ukrainische Außenministerium von den Äußerungen Melnyks distanziert habe, reiche dies aus.

Kein Kommentar von Melnyk

Melnyk wollte die distanzierende Stellungnahme des Außenministeriums in Kiew nicht kommentieren. Das teilte eine Sprecherin der Botschaft in Berlin auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit. Zur Begründung hieß es, ein Botschafter könne nicht die Erklärungen des eigenen Außenministeriums kommentieren.

Die Bundesregierung verwies auf die Stellungnahme des ukrainischen Außenministeriums, das klargestellt habe, dass es sich um die persönliche Meinung des Botschafters handele und nicht die offizielle Position der Ukraine. Man habe die Äußerungen von Melnyk zur Kenntnis genommen, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin.

© dpa-infocom, dpa:220701-99-870912/9

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