Dioxin-Skandal: Ilse Aigner:Das peinliche Ende des Ultimatums

Die Forderung von Ilse Aigner, Niedersachsen müsse im Dioxin-Skandal personelle Konsequenzen ziehen, ist verpufft. Nun steht die Agrarministerin blamiert da - und die Liberalen lästern über den "peinlichen Umgang". Auch die Bürger sind mit der CSU-Frau unzufrieden.

Diese Woche endet für Ilse Aigner (CSU) genauso wie sie anfing. Der Dioxin-Skandal weitet sich aus, die Bundeslandwirtschaftsministerin steht im Mittelpunkt der Kritik - und versucht nun ihr Heil in der Vorwärtsverteidigung. Die CSU-Politikerin fordert deutlich mehr Kompetenzen für ihr Ministerium bei der Futtermittelkontrolle.

Statement Bundesverbraucherschutzministerin Aigner

Sie steht seit Tagen in der Kritik: Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner. Die CSU-Politikerin hatte wegen des Dioxin-Skandals am Samstag personelle Konsequenzen in Niedersachsen gefordert - doch ihr Ultimatum ließ Ministerpräsident McAllister verstreichen.

(Foto: dapd)

"Gegenwärtig verbietet es mir das Grundgesetz, die Kontrollpraxis zu kontrollieren", sagte sie der Bild am Sonntag. Sie wolle es jedoch nicht länger hinnehmen, dass "der Bund politisch haftbar gemacht" werde, sobald es in einem Bundesland zum Skandal komme.

Am Freitagabend waren nach einem neuen Dioxin-Verdacht in Niedersachsen 934 Höfe gesperrt worden. Ein Futtermischunternehmen aus Damme, das dioxinbelastete Fette vom Futterfetthersteller Harles und Jentzsch bezogen hat, soll nach Angaben des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums seine Lieferungen nicht vollständig offengelegt haben. Die betroffenen Bauernhöfe wurden deshalb erst jetzt gesperrt. Etwa zehn Tage lang gerieten belastete Produkte, insbesondere Eier deshalb in den Handel, vermutet das Ministerium.

Aigner sieht in dem neuen Fall einen "Skandal im Skandal" und warf den niedersächischen Behörden vor, sie bewusst falsch informiert zu haben. Sie hatte die schwarz-gelbe Regierung in Hannover aufgefordert, bis Samstagabend personelle Konsequenzen zu ziehen. Während Ministerpräsident David Mc Allister (CDU) den Vorstoß Aigners kühl ablehnte, keilte Niedersachsens kommissarischer Agrarminister, Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP), zurück: "Der Umgang ist mehr als peinlich."

Sander sagte am Sonntag beim FDP-Neujahrsempfang in Hannover: Dies sei "ein einmaliger Vorgang" gerade unter politischen Freunden. "Wenn die Luft so ein bisschen dünner wird, hat man meistens eine Überreaktion", sagte Sander zu Aigners Verhalten. Der FDP-Minister berichtete außerdem, er sei am Samstagmorgen über die neuerliche Ausweitung des Dioxin-Skandals nicht informiert worden. "Ich habe mir die Informationen reingeholt." Sander forderte, die Informationskette von den Behörden zum Ministerium im Dammer Dioxin-Fall müsse "sehr schnell" geklärt werden.

Kritik vom Vizekanzler

Auch FDP-Chef Guido Westerwelle kritisierte seine Kabinettskollegin: "Jedes Schwarze-Peter-Spiel" zwischen verschiedenen Staatsebenen, wenn es um die Lebensmittelaufsicht geht, ist fehl am Platze." Der Vizekanzler sagte beim FDP-Neujahrsempfang in Hannover, der Bürger erwartet, dass der Staat seine Hausaufgaben mache. Es geht laut Westerwelle nicht darum, "welche Partei wo welche Pünktchen in Umfragen machen kann."

Der designierte niedersächsische Landwirtschaftsminister Gert Lindemann (CDU) wies Aigners Ultimatum mit deutlichen Worten zurück: "Für das niedersächsische Personal ist Niedersachsen zuständig und nicht der Bund." Er will erst nach sorgfältiger Prüfung über eventuelle personelle Konsequenzen aus der Ausweitung des Dioxin-Skandals entscheiden.

Mehrheit der Deutschen fühlt sich schlecht informiert

"Einfach auf Zuruf der Bundesministerin werde ich garantiert keinen politischen Beamten, der derzeit das Krisenmanagement in Niedersachsen leitet, an die Luft zu setzen", sagte Lindemann in Hohenhameln mit Blick auf Agrarstaatssekretär Friedrich-Otto Ripke (CDU).

Nach dem Rücktritt von Astrid Grotelüschen (CDU) Mitte Dezember wird das Landwirtschaftsministerium in Niedersachsen derzeit nur kommissarisch von Umweltminister Sander geführt. Lindemann soll am Mittwoch vereidigt werden. Pikanterweise war er bis Januar 2010 Staatssekretär im Berliner Verbraucherschutzministerium gewesen - und war von Aigner abgelöst worden.

Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit

Aigner sieht offenbar keinen Anlass, ihr wirkungsloses Ultimatum zu erläutern oder zurückzunehmen. Nachdem die Frist verstrichen war, erklärte ihr Sprecher Holger Eichele in Berlin: "Niedersachsen hat uns zugesagt, den Vorgang aufzuklären." Er ergänzte: "Die Ministerin hat alles, was nötig war, gesagt." Für Dienstag hat Aigner ihre Länderkollegen zum Gespräch eingeladen.

Niedersachsen hat nach Bekanntwerden des jüngsten Dioxin-Verdachtsfalls die Staatsanwaltschaft eingeschaltet, da von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit ausgegangen werde. Ermittler der Polizei und des Landesamtes für Verbraucherschutz durchsuchten am Samstag mehrere Zweigstellen des Futtermischunternehmens im Landkreis Vechta.

Laut Landwirtschaftsministerium wäre der Betrieb "gesetzlich verpflichtet" gewesen, die Lieferlisten komplett mitzuteilen. Stattdessen habe er aber nur einen Teil der von ihm belieferten Betriebe offen gelegt

Mehrheit der Deutschen fühlt sich schlecht informiert

Eine aktuelle Umfrage, die nun das Magazin Focus veröffentlicht hat, dürfte die zuletzt von den Medien heftig kritisierte Ministerin eher noch unruhiger werden lassen: 62 Prozent der Deutschen fühlen sich nicht genug über den Giftstoff in Eiern und Fleisch informiert.

In einer Befragung von 1002 Bundesbürgern durch TNS-Emnid sagten nur 34 Prozent, sie fühlten sich ausreichend informiert. Dies ist eine schlechte Benotung für Aigners Krisenmanagement.

Der Gewinner des Skandals ist die Biobranche: Um fast die Hälfte stiegen die Verkäufe von Bio-Eiern im Fachhandel, um etwa 30 Prozent der Umsatz bei Geflügelfleisch, wie laut Focus eine Umfrage des Bundesverbands Naturkost Naturwaren ergab. Nach Einschätzung des Öko-Marketingexperte Achim Spiller (Universität Göttingen) ist dieser Effekt eher kurzfristig. Auch die Biobranche sei vor Skandalen nicht gefeit: Ihre Kontrollsysteme seien zu wenig auf Betrug ausgerichtet.

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