Dioxin-Skandal: Aigner präsentiert Aktionsplan:Der giftige Auftritt der Ministerin

Lesezeit: 4 min

Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner reagiert mit einem Aktionsplan auf den Dioxin-Skandal: mehr Kontrolle und härtere Strafen für die Wirtschaft, mehr Transparenz für die Kunden. Um jeden Preis will sie ihren Kritikern zeigen, dass sie nicht untätig war.

Michael König

Am elften Tag des Dioxin-Skandals macht Ilse Aigner den Rücken gerade. Ihr signalrotes Oberteil kommt vor der blauen Wand der Bundespressekonferenz gut zur Geltung. Er wirkt wie ein optischer Beleg dafür, dass sich die Verbraucherschutzministerin in der Krise um das Gift in Eiern und Fleischprodukten nicht versteckt. Genau das hatte ihr die Opposition vorgeworfen, und das hört sie auch jetzt. "Warum haben Sie so lange geschlafen?", fragt ein Journalist.

Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner bei der Präsentation ihres Aktionsplans in Berlin: "Wir haben alles unverzüglich in die Wege geleitet." (Foto: AFP)

Aigner widmet ihm einen langen, giftigen Blick. Dann sagt sie: "Wir haben alles unverzüglich in die Wege geleitet." Haarklein schlüsselt sie auf, was sie in den vergangenen zehn Tagen getan habe, um den Skandal um verunreinigtes Futtermittel einzudämmen. Die Sätze beginnen mit "Am Montag habe ich ...", "Am Dienstag habe ich ..." - es klingt wie das Protokoll eines Schülers, dem der Lehrer Faulheit vorgeworfen hat.

"Total überfordert"

Genau das hat die Opposition getan. Die Grünen legten ihr den Rücktritt nahe, weil sie "nur hinterhergelaufen" sei. SPD-Chef Sigmar Gabriel hielt Aigner für "total überfordert". Auch Nichtregierungsorganisationen wie Foodwatch oder der BUND äußerten Kritik. Dass zudem Bauernverbände und der Einzelhandel lautstark über Einbußen klagten, machte die Lage für Aigner nicht komfortabler.

Zuletzt fühlte sich gar CSU-Chef Horst Seehofer bemüßigt, seiner Parteifreundin Aigner gute Arbeit zu bescheinigen. Der bayerische Ministerpräsident feiert den Aufwind seiner Partei, seit die Umfragen die CSU mit 46 Prozent ausweisen. Eine schwächelnde Parteifreundin kommt ihm ungelegen. Schlagzeilen wie "Ungeaignert - wer schützt uns vor dieser Ministerin" ( Bild) erst recht.

Wie aus der Pistole geschossen

Dabei ist Aigner formal gar nicht zuständig. Die Lebens- und Futtermittelkontrolle ist Sache der Länder. Und Aktionismus ist wenig sinnvoll, solange unklar ist, wie, wann und warum das Dioxin ins Futter gelangt ist - die Staatsanwaltschaft ermittelt noch.

Nachdem aber die SPD-geführten Bundesländer aber bereits am Donnerstag einen Maßnahmenplan vorstellten und Sigmar Gabriel posaunte, auch der Normalverdiener müsse "in der Lage sein, im Supermarkt für sich und seine Familie sichere Lebensmittel zu kaufen", stieg der Druck auf Aigner. Die Ministerin musste liefern. Manch ein Beobachter unkte, ihr stehe der wichtigste Auftritt ihrer bislang geradlinigen Karriere bevor.

Sie beginnt ihn am Freitag ohne großes Vorgeplänkel. Die Punkte ihres "Aktionsplans zum Verbraucherschutz" kommen wie aus der Pistole geschossen. Vieles klingt vertraut, weil es entweder die Ministerin selbst oder ihre Kollegen aus den Ländern in den vergangenen Tagen bereits gefordert hatten. Die "Kakophonie" müsse ein Ende haben, sagt die Ministerin.

Angeben für Anfänger
:Schwein gehabt?

Wie, Dioxin ist keine Trend-Diät? Und schon wieder erschüttert ein Lebensmittelskandal die Gemüter. Lernen Sie mitzureden über: Essen.

Ruth Schneeberger

Mit zehn Maßnahmen will Aigner der Verunreinigung von Lebensmitteln Herr werden:

- Unternehmer, die Futtermittel herstellen wollen, sollen ihre Zulassung nur unter strengen Auflagen bekommen. Sie dürfen nur in Anlagen produzieren, die dafür vorgesehen sind. Die Qualifikation der Mitarbeiter und die Überprüfung durch die Behörden müssten gewährleistet sein, sagt Aigner.

- Die Herstellung von Industrie- und Futtermittelfetten soll strikt getrennt werden. Es dürfe keine Überschneidung der Produktionsströme geben, fordert Aigner. Sie plädiert für eine EU-weite Regelung. So soll ausgeschlossen werden, dass zum Beispiel mit Dioxin verunreinigte technische Fette in das Tierfutter gelangen. Genau das war offenbar bei der Herstellerfirma geschehen, die den aktuellen Skandal auslöste.

- Die Kontrolle der Futtermittelproduktion soll verschärft werden: "Es werden alle Komponenten geprüft, außer jene, die direkt vom Feld stammen, wie etwa Gerste", sagt Aigner.

- Private Labore sollen künftig einer Meldepflicht unterliegen: Sobald ein Grenzwert überschritten ist, müssen sie der zuständigen Behörde Bescheid geben.

- Aigner will sich bei der EU für eine rechtlich verbindliche Positivliste zugelassener Futtermittelkomponenten einsetzen. Was nicht auf der Liste steht, soll nicht ins Futter gelangen dürfen.

- Futtermittelhersteller sollen dazu verpflichtet werden, eine Versicherung abzuschließen, die für etwaige Schäden aufkommt. Bei der Firma, die den Skandal ausgelöst hat, war eine solche Versicherung nicht vorhanden. Der Hersteller ist nun insolvent - und die Geschädigten bleiben auf den Kosten sitzen.

- Der Strafrahmen für Verstöße gegen geltendes Recht soll überprüft werden. Derzeit reicht er von Bußgeldern bis hin zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren. Aigner plädiert angesichts der Schwere der Fahrlässigkeit im aktuellen Fall für härtere Strafen.

- Die Ministerin will ein Frühwarnsystem einführen, um Verunreinigung früher zu erkennen und schneller Gegenmaßnahmen einzuleiten. Dazu sollen alle Kontrolldaten in einen großen Datensatz einfließen.

- Die Qualität der Kontrollen der zuständigen Länderbehörden soll verbessert werden. "Wir brauchen einen Wettbewerb um die beste Kontrolle", fordert Aigner.

- Alle zuständigen Behörden sollen dazu verpflichtet werden, Rechtsverstöße umgehend zu veröffentlichen. "Die Verbraucher haben ein Recht, davon zu erfahren", sagt die Ministerin.

Aigner braucht etwa acht Minuten, um alle Punkte vorzustellen. Es klingt wie auswendig gelernt. Auch die Botschaft an die Opposition springt druckreif aus Aigners Mund: "Abseits der schrillen Töne sind die meisten meiner Vorschläge auch bei der Opposition auf Zustimmung gestoßen. Ich freue mich, dass auch die SPD meine Vorschläge übernommen hat. Ich werde da kein Copyright anmelden."

Wer tatsächlich Urheber der Maßnahmen ist, darüber dürfte in Berlin noch gestritten werden. Klar ist bereits, dass Aigners Maßnahmen den Befürwortern einer Rückkehr zur traditionellen Landwirtschaft nicht weit genug gehen wird. Andere Kritiker werden die hohen Kosten beklagen, die für zusätzliche Kontrollen veranschlagt werden - und die am Ende womöglich der Verbraucher tragen muss.

Aigner kann das in diesem Moment egal sein. Sie hat Entschlossenheit gezeigt. Die Kanzlerin sei mit ihrem Katalog absolut einverstanden, sagt sie und präsentiert ihren Terminplan für die kommenden Tage: Am kommenden Dienstag werde sie ihre Vorschläge den Verbraucherschutz- und Agrarministern der Länder in Berlin erörtern. Am Mittwoch werde sich das Bundeskabinett mit dem Plan befassen.

Soll bloß keiner sagen, die Ministerin sei untätig.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: