Süddeutsche Zeitung

Brasilien in der Krise:Dilma Rousseff: "Wir werden nie einen Olympia-Boykott verlangen"

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Brasiliens Präsidentin soll aus dem Amt gejagt werden - unrechtmäßig, wie sie im Gespräch mit der SZ betont. Sie will kämpfen, doch die Olympischen Spiele will sie nicht als Druckmittel einsetzen.

Von Nicolas Richter

In New York wird es allmählich warm, die Präsidentin braucht erst einmal frische Luft. "Gibt es ein arzinho condicionado ?", fragt sie, ein klimatisiertes Lüftchen, wie man im Brasilianischen so schön sagt. Sie nimmt Platz im Esszimmer der Botschafterresidenz an der East 79. Street in Manhattan, weit weg von Zuhause, aber Ruhe kehrt auch hier nicht ein. Durch die halb geschlossenen Gardinen dringen die Sprechchöre von zwei Dutzend Demonstranten, manche für sie, manche gegen sie. Die Staatskrise ist mitgereist.

Immerhin spricht sie hier vor einem anderen Publikum, sozusagen vor der Weltöffentlichkeit. Dilma Rousseff, die Präsidentin Brasiliens, hat zehn ausländische Journalisten an diesen Tisch gebeten. Offiziell ist sie in New York, um bei den Vereinten Nationen ein Klimaabkommen zu unterzeichnen, aber sie sagt dazu nur zwei Sätze, bevor sie erklärt, was sie wirklich bewegt: ihr Amt. "In Brasilien", sagt sie, "stehen wir vor einem Staatsstreich".

Eigentlich soll dies ein Interview sein, aber nun redet die Staatschefin erst einmal allein, 47 Minuten lang, über den sehr aussichtsreichen Versuch des Parlaments, sie des Amtes zu entheben. Das Unterhaus hat schon Ja gesagt, die Zustimmung des Senats gilt nur noch als Formsache, und so dürfte sie schon bald, zumindest vorübergehend, den Präsidentenpalast verlassen müssen.

Dilma Rousseff, 68, empfindet den Vorstoß ihrer Gegner als offensichtlich illegal. "Brasilien ist eine präsidiale Demokratie", sagt sie. "Um den Staatschef entfernen zu können, reicht nicht ein politischer Wille, nein, der Staatschef muss eine Straftat begangen haben. Mich aber beschuldigt niemand eines Verbrechens, weder der Korruption, noch der Geldwäsche, noch habe ich ein Konto im Ausland."

Die Präsidentin der größten Demokratie Lateinamerikas ist gut vorbereitet. Wie eine Anwältin, die eine Jury aus lauter Laien überzeugen will, erklärt sie nun die Vorwürfe, mit denen ihre Gegner sie aus dem Amt drängen wollen: Im Kern soll sie ihre Kompetenzen beim Staatsbudget überschritten haben.

Rousseff hält dem entgegen, sie habe die vom Parlament genehmigte Menge Geld nur anders ausgegeben als geplant. Es sei wie beim Einkaufen, wenn man einen zusätzlichen Liter Milch kauft und dafür den Speck von der Einkaufsliste streicht. Das Beispiel legt nahe, dass man in Brasilien wegen solch alltäglicher Dinge wie Milch und Speck das Staatsoberhaupt aus dem Amt putscht.

Dilma, die sich einst gegen die Militärdiktatur aufgelehnt hat und deswegen eingesperrt und gefoltert wurde, sieht sich nun in einer alten Rolle: Sie verteidigt Rechtsstaat und Demokratie gegen finstere Mächte. "Ich bin sehr unbequem", sagt sie, "niemand ist so unbequem wie ein Unschuldiger."

Rousseff hat das Vertrauen ihres Volkes verloren

Die Wahrheit ist komplizierter. Das Land steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise, gleichzeitig deckt die Justiz einen riesigen Korruptionsskandal um den staatlichen Ölkonzern Petrobras auf, in den auch Dilmas Arbeiterpartei PT verstrickt ist. Dilmas Beliebtheit hat massiv gelitten, man macht sie für die Misere verantwortlich und vermutet, dass sie von der Korruption wusste, wobei jeder Hinweis fehlt, dass sie sich selbst bereichert hat.

Streng genommen geschieht nun kein Coup, denn das Unterhaus hat mit großer Mehrheit gegen sie gestimmt. Doch unter normalen Umständen würden die Budget-Vorwürfe nie für eine Amtsenthebung reichen. Es kommt einfach vieles zusammen im Land, auch etliche Fehler Dilmas, wie jener Versuch etwa, ihren Vorgänger und Mentor Luiz Inacio Lula da Silva in ein Ministeramt zu hieven, um ihm Immunität gegen Strafverfolgung zu gewähren. Dilma Rousseff hat seit ihrer Wiederwahl im Herbst 2014 schlicht das Vertrauen ihres Volkes verloren.

Als sie nun ihr Referat übers Budgetrecht beendet hat, das später noch schriftlich und auf Englisch verteilt wird, sagt sie: "Entschuldigung, aber ich musste das jetzt mal erklären." Die erste Frage lautet dann, ob sie zuversichtlich sei, demnächst noch die Präsidentin zu sein? "Ich bin bereit zu kämpfen, damit Brasilien demokratisch bleibt", sagt sie. "Ich werde kämpfen mit allen meinen Kräften."

Es ist kein Zufall, dass sie diese Bühne gewählt hat. Brasiliens Arbeiterpartei PT ist sozusagen in der Welt zu Hause, mittlerweile vielleicht sogar mehr in der Welt als im eigenen Land. Dilmas Vorgänger Lula galt in den Nullerjahren als internationaler Superstar, als Anführer ehrgeiziger, selbstbewusster Schwellenländer. Er war unter den Arbeitern Lateinamerikas so gern gesehen wie beim Weltwirtschaftsforum in Davos; ein Mann, der Kapitalismus und soziale Gerechtigkeit zu versöhnen wusste.

Nun sucht Dilma Verbündete auf dieser Weltbühne. Es ist einerseits ungewöhnlich, dass Staatschefs westlicher Demokratien ins Ausland reisen, um vor Putschisten daheim zu warnen. Andererseits erinnert es daran, wie tief Brasilien gefallen ist seit den boomenden Nullerjahren unter Lula.

Kämpferisch und konzentriert, aber nicht mitreißend

Was kann die Welt also für Dilma tun? Man fragt sie, ob sie dazu aufrufen werde, die Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro zu boykottieren, falls man sie des Amtes enthebe. "Wir werden nie einen Olympia-Boykott verlangen", sagt sie, denn sie und ihr Vorgänger hätten die Spiele nach Brasilien geholt und finanziert, das dürfe nicht scheitern. "Sie können sicher sein, dass die Spiele ein Erfolg werden."

Ob sie dann an die Welt appellieren werde, Brasiliens künftige Regierung zu isolieren? "Ich werde sagen, dass dies ein Staatsstreich ist, und dann sollen alle selbst entscheiden, wie sie damit umgehen."

Dilma Rousseff wirkt kämpferisch, ernst, konzentriert, aber sie offenbart auch, dass sie keine charismatische, mitreißende Person ist. Man fragt sie, ob sie selbst Fehler gemacht hat, ob ihr vielleicht das politische Talent fehlt, mit den einflussreichen Leuten im Parlament zu verhandeln. Nein, sagt sie, zu manchen Deals sei sie schlicht nicht bereit, und sie deutet an, dass ihr Gegenspieler, Parlamentschef Eduardo Cunha, sie erpressen wollte.

Ein Journalist erinnert daran, dass ihr inzwischen auch die internationalen Märkte misstrauten: Je mehr ihre Amtsenthebung nahe, desto mehr steige der Kurs der brasilianischen Währung. Es sei ein Fehler zu glauben, antwortet sie, dass ihr Land allein deshalb genesen würde, wenn sie abtrete.

Vielmehr kündigt sie einen langen Kampf an. Als man sie fragt, ob sie im Falle einer Amtsenthebung auch tatsächlich den Präsidentenpalast verlassen werde, antwortet sie ausweichend. Sie sagt, dass sie sich selbst nach einer Amtsenthebung "politisch" in der Pflicht fühlen würde, mindestens bis zur nächsten Präsidentschaftswahl Ende 2018. "Dieser Kampf wird weitergehen, auch wenn ich abtrete."

Für heute aber sie die Kräfte erst einmal erschöpft. "Noch eine Fragerunde?", flüstert ihr der Sprecher zu. Sie blickt auf die Uhr und sagt: "Nein, mein Lieber".

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Quelle:
SZ vom 25.04.2016
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