Süddeutsche Zeitung

Digitalisierung:Trippelschritte ins Neuland

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In höchsten staatlichen Stellen werden noch Faxe abgetippt.

Von Boris Herrmann

"Deutschland ist, denkt und handelt zu kompliziert." Das sagt nicht irgendwer, sondern der Nationale Normenkontrollrat mit Sitz im Bundeskanzleramt. Und die Damen und Herren Kontrollräte müssen es wissen. Sie arbeiten im Zentrum der Kompliziertheit, denn das Kanzleramt ist so etwas wie die Schnittstelle zwischen den Bundesministerien, den Bundesbehörden und dem Bundestag. Dort bekommt man ganz gut mit, wie Deutschland funktioniert - oder eben nicht. Der für den Bürokratieabbau zuständige Normenkontrollrat hat auf Basis seiner jahrelangen "intensiven Begleitung der notleidenden Verwaltungsdigitalisierung" gerade ein paar Vorschläge erarbeitet, die man so zusammenfassen könnte: Es wird Zeit, dass dieses Land in der Gegenwart ankommt.

Die Gegenwart im Regierungsbetrieb sieht zum Beispiel so aus: Parlamentarische Anfragen der Bundestagsabgeordneten werden von der Bundestagsverwaltung per Fax an das Kanzleramt übermittelt, dort eingescannt und als PDF-Bild an das zuständige Ministerium weitergeleitet, wo ohnehin schon heillos überforderte Ministerialbeamte diese Anfragen teilweise von Hand abtippen müssen, um sie fristgerecht beantworten zu können. Komplizierter geht es kaum.

Die Süddeutsche Zeitung hatte darüber im März dieses Jahres berichtet, woraufhin wiederum die FDP-Fraktion eine Kleine Anfrage stellte, in der sie sich unter anderem nach dem Stand der Digitalisierung bei der Bearbeitung solcher Anfragen erkundigte. In der Antwort der Bundesregierung ist nun von "Bildfaxdokumenten" die Rede, die teils immer noch abgetippt werden müssten, "da ein automatisches Auslesen und Überführen in ein bearbeitbares Format im Zuge der Übermittlung von der Bundestagsverwaltung an die Bundesregierung technisch noch nicht möglich ist". Kurzum: Höchste staatliche Stellen scheitern mitunter also schon daran, sich gegenseitig eine Word-Datei zuzuschicken. Muss man sich da noch wundern, dass in den Schulen und Gesundheitsämtern nicht alles reibungslos läuft?

"Das Internet ist für uns alle Neuland", hatte Kanzlerin Angela Merkel im Jahr 2013 nach Christus gesagt und dafür reichlich Häme abbekommen. Denn man schrieb damals auch schon das Jahr 29, nachdem in einem Rechenzentrum an der Uni Karlsruhe die erste E-Mail in Deutschland eingegangen war. Dieses Land gehörte tatsächlich mal zu den Pionieren der Digitalisierung. Lange her. Der FDP-Abgeordnete Reinhard Houben lästert, das Internet sei offenkundig immer noch Neuland für die Bundesregierung: "Sie nähert sich nur in Trippelschritten dem 21. Jahrhundert."

Einer oder vielleicht sogar zwei dieser Schritte könnte sich aus einem Forschungsprojekt der Bundesdruckerei ergeben. Dabei geht es um die Erstellung von Texten mithilfe von künstlicher Intelligenz. Rein zu Testzwecken sollen dabei auch schon Antworten auf Kleine Anfragen erstellt worden sein. Die Bundesregierung betont aber: "Diese Forschungsaktivitäten werden nicht durch Haushaltsmittel des Bundes finanziert." Vermutlich wird es also noch eine Weile dauern, bis unsere Ministerialbeamten durch Roboter ersetzt werden.

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