Digitalisierung:Home-Office in Prädikow

Die moderne Arbeitswelt kann den ländlichen Raum neu beleben, zeigt eine Studie. Die Forscher untersuchten 18 Projekte - und sehen sie als "Speckwürfel inmitten des schrumpfenden Raums".

Von Hannah Beitzer, Berlin

Verrückt muss man schon sein, so wie Philipp Hentschel. Er ist 36 Jahre alt, arbeitet als Projektmanager, hat zwei Kinder und lebt in Berlin. Aber nicht mehr lange. Gemeinsam mit einigen Dutzend Mitstreitern baut er einen verfallenen Hof im Dorf Prädikow in Brandenburg um, mit viel Engagement, viel Zeit, einigen Unsicherheiten. "Es ist ein Lebensprojekt", sagt er.

Der Hof Prädikow ist eines von 18 Projekten, die das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung in der Studie "Urbane Dörfer - Wie digitales Arbeiten Städter aufs Land bringen kann" untersucht hat. Die meisten Projekte liegen in Brandenburg, alle bieten nicht nur Wohnraum, sondern auch digitale Arbeitsplätze. Sie stemmen sich gegen einen Trend: Städte wie Berlin oder Leipzig samt ihrer Speckgürtel boomen. Viele ländliche Regionen verlieren Einwohner. "Die Digitalisierung und die Transformation Deutschlands zu einer Dienstleistungsgesellschaft haben diesen Prozess verstärkt", sagt Institutsdirektor Reiner Klingholz. Neue Unternehmen siedelten hauptsächlich in den Städten an. Ein Problem, das die Politik bereits erkannt habe, sei die Versorgung des ländlichen Raums mit Internet. "Aber ein Kabel im Boden reicht nicht aus, um das Land wiederzubeleben", sagt Klingholz. "Wichtig ist: Was passiert am Ende des Kabels?"

Eine Trendwende stellen die 18 Projekte noch nicht dar, für die Forscher sind sie "Speckwürfel"

Dabei machen 18 Projekte natürlich keine Trendwende. "Sie sind die Speckwürfel inmitten des schrumpfenden Raums", sagt Klingholz. Sie müssen aber, davon ist er überzeugt, nicht die einzigen bleiben. Potenzial sieht die Studie bei den "Familienwanderern", denen die städtische Zweizimmerwohnung zu klein geworden, die Vierzimmerwohnung aber zu teuer ist. Sie fühlten sich dem Stadtleben verbunden, hätten ein gutes Netzwerk und daher durchaus Angst, auf dem Land isoliert zu sein.

Eine Lösung für sie ist, den Schritt aufs Land nicht alleine zu wagen, sondern gemeinsam mit anderen Städtern. So ist es in den untersuchten Projekten, sie bestehen aus mehreren Familien oder Erwachsenen. Viele Freiberufler sind darunter, aber auch Angestellte, die im Home-Office arbeiten können. Andere arbeiten nun an ihrem neuen Heimatort als Ärzte, Erzieherinnen, Heilpraktiker. Nur dauerhaft pendeln, das will kaum einer - dann doch lieber einen Hofladen gründen, den Beruf wechseln.

Doch erst einmal so weit zu kommen, ist alles andere als leicht, sagen die Studienautoren. Die Suche nach geeigneten Immobilien sei mühsam, weil viele Kommunen schlicht keinen Sinn darin sähen, verfallene Dorfgebäude überregional zu vermarkten. Einige hätten das Potenzial, das sich hier eröffne, allerdings erkannt, auch kulturell und sozial. Viele der Städter eröffnen in den Dörfern Cafés, organisierten Kulturfestivals oder gründeten Initiativen für die Nahversorgung mit Lebensmitteln. Und zögen andere Städter nach, die sich vom größeren Angebot angesprochen fühlen.

Nur einen Fehler dürften sie nicht machen. "Sagen: Wir wissen, wie man richtig lebt und arbeitet, und zeigen euch das", sagt Philipp Hentschel. Stattdessen müsse man sehen, wo gemeinsame Interessen lägen. In Prädikow zum Beispiel bauen sie gerade eine Scheune zum Veranstaltungsraum um. Nicht als urbanes Ufo inmitten des ländlichen Lebens, sondern für alle.

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