Süddeutsche Zeitung

Digitalstrategie:Wie Deutschland im Netz aufholen soll

Schnelleres Internet, Behördengänge per Mausklick, flächendeckender Mobilfunk: Die Bundesregierung will digital vorankommen - mit 18 Leuchtturmprojekten.

Von Markus Balser und Christoph Koopmann

Wie weit in Deutschland Anspruch und Wirklichkeit bei der Digitalisierung auseinanderklaffen? Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) brachte das am Montag bei einer Rede in Prag wohl eher unfreiwillig auf den Punkt. "Wenn wir über Digitalisierung sprechen, müssen wir groß denken - und auch den Weltraum einbeziehen", sagte der SPD-Politiker. So seien etwa "Megakonstellationen" - weltumspannende Satellitennetze - nötig, um das europäische Breitband-Internet voranzutreiben. Die Botschaft: Wenn man nur klein denkt, bleibt man klein.

Bei seiner Regierungsklausur im brandenburgischen Schloss Meseberg wird sich der Kanzler am Mittwoch allerdings der deutschen Realität stellen müssen. Scholz' Digitalminister Volker Wissing (FDP) wird dann den Ressortkollegen die deutsche Digitalstrategie vorstellen. Und in der beschäftigt er sich eher mit Alltag als mit All. In Mecklenburg-Vorpommern, Teilen Brandenburgs, Hessens oder Bayerns würden sich viele schließlich schon über eine sehr irdische Megakonstellation freuen: schnell eine Internetseite aufrufen zu können.

Schon die Schwerpunkte des 51-seitigen Papiers machen klar, dass es um Hausaufgaben eines zurückgefallenen Landes geht. Sie heißen: "Lernender, digitaler Staat", "Vernetzte und digital souveräne Gesellschaft" und "Innovative Wirtschaft, Arbeitswelt, Wissenschaft und Forschung". Das Papier nennt 18 "Projekte mit Hebelwirkung", die mit Priorität vorangetrieben werden sollen. So soll bis 2025 mindestens die Hälfte der deutschen Haushalte und Unternehmen mit einem Glasfaseranschluss versorgt sein, Mobilfunk soll es "bis möglichst 2026" flächendeckend geben - nachprüfbar für alle.

Viele Behördengänge sollen in Zukunft per Mausklick zu erledigen sein. Dafür sollen die Deutschen endlich auch eine sichere digitale Identität bekommen. Daten aus Forschung und Verwaltung sollen zudem öffentlich leichter zugänglich werden. Die Strategie verspricht zudem, dass künftig 80 Prozent der gesetzlich Versicherten die digitale Patientenakte nutzen können. Die gibt es schon seit vergangenem Jahr - genutzt wird sie erst von einer halben Million Versicherten.

Wissings bescheidenes Ziel: Von Platz 13 in Europas Top Ten vorstoßen

Wirklich neu sind die meisten dieser Ziele nicht. Allen Deutschen spätestens 2018 schnellere Onlineverbindungen ins Haus zu legen - so lautete etwa schon zum Start der großen Koalition 2013 das Ziel. Was daraus geworden ist, erlebten Millionen Deutsche in der Corona-Krise im Home-Office. Nun also nimmt die Regierung einen neuen Anlauf.

Besonders groß ist der Rückstand in der digitalen Verwaltung. Schon die vergangene Bundesregierung hatte Bund, Länder und Kommunen eigentlich per Gesetz dazu verpflichtet, 575 Verwaltungsdienstleistungen bis Ende dieses Jahres zu digitalisieren. Es geht dabei um 6000 Einzelleistungen wie etwa Kfz-Ummeldungen oder Kindergeldanträge. Doch nur ein Bruchteil wird erreicht. Die neue Digitalstrategie verspricht eine Neuauflage des Gesetzes. Und dass die Regierung "priorisierte Leistungen" flächendeckend digitalisiert - bis 2025. Dazu zählen etwa Ummeldungen, Eheschließungen oder Baugenehmigungen.

Von ambitionierten Formulierungen des eigenen Koalitionsvertrages ist die Ampel-Regierung damit ein gutes Stück entfernt. "Mehr Fortschritt wagen", hatten SPD, Grüne und FDP ihr Programm ja überschrieben. Deutschland brauche einen umfassenden digitalen Aufbruch, steht da. 226 Mal tauchen in dem Vertrag Begriffe mit dem Wortstamm "digital-" auf.

In der Digitalstrategie räumt die Regierung nun ein, dass das Land in Europa nur Mittelmaß ist. Im europäischen Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft (DESI) belege Deutschland nur Platz 13 - von 27 EU-Mitgliedstaaten. Sonderlich groß sind die Ambitionen Wissings nicht: Die größte Volkswirtschaft des Kontinents will es dem Papier zufolge bis 2025 unter die Top 10 schaffen.

Während einige Ziele der Digitalstrategie messbar sind, bleiben andere vage. So wolle sich die Regierung dem Papier zufolge "2025 daran messen lassen, ob Deutschland insbesondere für junge Unternehmen der digitalen Finanzbranche ein attraktiverer Standort geworden ist" - wie das gemessen werden soll, ist nicht festgelegt.

Schon der Weg zur Digitalstrategie war eher steinig. Wissings finalem Entwurf gingen harte Diskussionen zwischen den Bundesministerien voraus. Es war nach Angaben aus Regierungskreisen in den vergangenen Wochen ein gutes Stück Hängen und Würgen dabei, die Strategie aufzusetzen. Wissing habe für das Papier um Beiträge aus allen anderen Ressorts gebeten - ein zentrales Digitalisierungsministerium hat die Ampel bewusst nicht geschaffen. Nicht jedes Ressort aber habe sich gerne nachprüfbare Ziele setzen wollen, heißt es. Mit einigen Rückmeldungen war der Minister unzufrieden, weshalb er die Präsentation der Strategie auf nach der Sommerpause verschob.

Wer ist überhaupt wofür zuständig? Auf die Antwort warten die Abgeordneten seit Monaten

Anke Domscheit-Berg, digitalpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion im Bundestag, ist angesichts eines vorläufigen Entwurfs von Mitte August skeptisch. Die Strategie sei "ein buntes Potpourri geworden, in dem sich viele Buzzwords wiederfinden", sagte sie der Süddeutschen Zeitung. Vieles aber sei zu vage. Sie sei skeptisch, wie die Ampel etwa die IT-Sicherheit wirklich voranbringen wolle. Auch in Sachen digitale Verwaltung hält sie es für "ziemlich realitätsfern", dass die Regierung Deutschland wie angekündigt auch nur in die europäischen Top 10 führt.

Reinhard Brandl, digitalpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, ist "angesichts der bisher sehr dürftigen Digitalbilanz der Ampel" immerhin froh, dass die Strategie jetzt endlich da ist. Es seien wichtige Vorhaben genannt. "Wichtig ist es aus meiner Sicht jedoch, nun vom Reden endlich ins Handeln zu kommen", sagte Brandl der SZ. Nach neun Monaten Ampel-Regierung wüsste er zumindest gern, wer was übernimmt.

Dem Digitalausschuss des Bundestags hatte Minister Wissing bei seinem Antrittsbesuch im Februar nämlich zuerst mal eine Übersicht versprochen, wer in der Regierung überhaupt für welche Bereiche des "Querschnittsthemas" Digitalisierung zuständig ist. Als monatelang nichts kam, fragten die Abgeordneten nach. Im Antwortschreiben aus dem Ministerium vom 5. Mai, das der SZ vorliegt, heißt es: "Bis Ende Mai" komme die Übersicht. Drei Monate ist das nun her. Aus dem Digitalausschuss ist in dieser Woche zu hören: Die Übersicht soll fertig sein. Dann wüssten die Abgeordneten wenigstens, wer die Ziele aus der Digitalstrategie umsetzen soll.

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