Süddeutsche Zeitung

Diestel zu Stasi-Akten:"Es findet sich nur der schwule Friseur"

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Peter-Michael Diestel (CDU), letzter Innenminister der DDR, warnt vor einer Überbewertung von Stasi-Akten. Die wichtigen Drahtzieher fänden sich darin nicht wieder.

Diestel sagte der Leipziger Volkszeitung, dass den damaligen DDR-Bürgerkomitees nur das übergeben worden sei, "was man übergeben wollte. Man hat seine eigenen Leute geschützt durch zielgerichtetes Aussortieren von Akten."

Im Akten-Bestand der Behörde fänden sich nur "der kleine, schwule, korrupte Friseur, oder der Bäcker oder der Pastor, der unter Druck gesetzt werden konnte und der so in die Fänge der Staatssicherheit geriet. Der wurde nach der Wende erbarmungslos rasiert und hingerichtet."

Als im April 1990 das Kabinett von Lothar de Maizière angefangen habe, "hatten die Nachfolgestrukturen von Honecker und Krenz fast ein drei Viertel Jahr Zeit, dieser irgendwann kommenden demokratischen neu gewählten DDR-Regierung Unterlagen zu übergeben. Diese Zeit haben die genutzt", sagte Diestel.

Der nachrichtendienstlich bedeutendste Teil sei vernichtet, ausgegliedert und ehemals befreundeten Geheimdiensten übergeben worden. Die Gauck-, beziehungsweise die Birthler-Behörde sei von vornherein ein "stumpfes Schwert" gewesen, so Diestel weiter. Nach seiner Ansicht wäre es "richtig gewesen", hätte man nach der Wende die Stasi-Akten gleich vernichtet, so wie dies Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble auch vergeblich vorgeschlagen hätten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel habe in dieser Hinsicht "einen politischen Betrachtungsfehler", sagte Diestel. Er halte den heutigen Besuch Merkels bei der Zentrale der Stasi-Unterlagen-Behörde für "ein falsches Signal" im 20. Jubiläumsjahr nach der Wende.

"Juristisch keine kriminelle Vereinigung"

Der ehemalige Innenminister im ersten und letzten demokratischen DDR-Kabinett von Lothar de Maizière verwies darauf, dass die Stasi juristisch gesehen "keine kriminelle Vereinigung" gewesen sei. Zudem sei er es satt, 45 Jahre DDR mit ihrer durchaus kritikwürdigen diktatorischen Geschichte auf das Thema Stasi zu reduzieren.

Nach Einschätzung der Stasi-Aktenbeauftragten Marianne Birthler besteht weiterhin Bedarf für Aufklärung. Besonders bei jungen Menschen steige das Interesse an den Unterlagen des früheren DDR-Geheimdienstes. "Es gibt einen Generationswechsel in der Aufarbeitung", sagte Birthler. Das Thema habe sich daher keineswegs erledigt.

Sie freue sich, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit ihrem Besuch am Donnerstag die Arbeit der Behörde wertschätze, sagte Birthler. Es sei gut zu wissen, dass "unsere Arbeit auch für die nächsten Jahre politisch gewollt ist". Der Besuch der Kanzlerin findet am 19. Jahrestag der Besetzung der Berliner Stasi-Zentrale durch Demonstranten statt.

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