Dieselskandal:Dicke Luft für Kretschmann und Dobrindt

Kretschmann mit Dieselmotor

Aktion "Sauberer Dieselmotor": Winfried Kretschmann im April zu Besuch bei Daimler.

(Foto: Franziska Kraufmann/dpa)
  • Die neuen Abgas-Vorwürfe gefährden die politische Glaubwürdigkeit von Baden-Württembergs grünem Ministerpräsidenten Kretschmann und dem christsozialen Bundesverkehrsminister Dobrindt.
  • Beide Politiker kämpfen bislang gegen Fahrverbote, doch ihre Nähe zur Autoindustrie wird angesichts der neuen Entwicklungen im Dieselskandal zum Problem für sie.
  • Angesichts der Vorwürfe gegen Daimler gehen Kretschmann und Dobrindt auf Distanz zu den Autobauern.

Von Markus Balser und Stefan Braun, Berlin

Ein früherer Partei-Generalsekretär weiß genau, wann Themen für ihn gefährlich werden. Deshalb hat Alexander Dobrindt Ende vergangener Woche erkannt, dass jetzt etwas passieren muss. Die jüngsten Vorwürfe gegen den Autokonzern Daimler waren noch nicht lange öffentlich geworden, da erklärte der Bundesverkehrsminister, er habe Daimler vor die Abgas-Untersuchungskommission bestellt.

Die Botschaft des Berliner Ministers: Selbstverständlich werde seine Behörde ganz genau und sehr streng darauf achten, dass man den neuen Vorwürfen gegen Daimler im Abgasskandal wirklich nachgeht. Die Hoffnung des CSU-Politikers Dobrindt: Keiner soll sagen können, er habe nicht so genau hingesehen.

Fern von Berlin, aber nah am Problem gab es auch in Stuttgart eine Botschaft. Winfried Kretschmann, der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, sagte am Freitag, angesichts der neuen Vorwürfe müsse Daimler mit den Behörden voll umfänglich kooperieren und alles "umfassend aufklären".

Denn: "Die Vorwürfe, die im Raum stehen, sind schwerwiegend." Schwerwiegend sind sie nicht nur für den berühmten Autohersteller. Bedrohlich sind sie auch für Kretschmann, der bislang im Umgang mit der Branche vor allem auf Dialog gesetzt hat.

Die scharfen Töne zeigen, dass die neue Situation in Berlin wie Stuttgart einiges verändern könnte. Bis vor Kurzem hofften die beiden sonst so unterschiedlichen Politiker Dobrindt und Kretschmann, sie könnten die Branche vor der ganz großen politischen Attacke schützen.

Der neue Verdacht gegen den Daimler-Konzern droht jetzt, ausgerechnet wenige Wochen vor der Bundestagswahl, für beide unangenehm zu werden. Angesichts drohender Fahrverbote könnten Millionen Diesel-Fahrer verärgert reagieren und bei der Bundestagswahl im Herbst ihre Wut an den Wahlzetteln auslassen.

Bald sollen Autobauer eine Nachrüstlösung für Diesel-Pkw präsentieren

Genauso gravierend ist für beide, dass ihre Rolle bei den Ermittlungen gegen Daimler immer stärker hinterfragt wird. Ihre Strategie beruhte auf dem Grundvertrauen, in Gesprächen mit der Branche nach Lösungen zu suchen. Wie aber soll das gehen mit einem Konzern, der - möglicherweise - auch sie hinters Licht geführt hat?

Dabei schien eine Lösung eigentlich ziemlich nah zu sein. Seit Autokäufer dem wichtigsten Produkt der deutschen Autobranche, dem Diesel, spürbar misstrauen und die Verkaufsstatistik absacken lassen, suchen Dobrindt und Kretschmann an vorderster Front nach einer schnellen Lösung. Fahrverbote, glauben beide, gelte es zu vermeiden.

Der Showdown naht. Anfang August sollen Autohersteller in Berlin auf einem Gipfel Nachrüstlösungen für Diesel präsentieren, um Fahrverbote doch noch zu vermeiden. Im Schulterschluss mit Verkehrsminister Dobrindt und den Autoländern.

Doch wenn stimmt, was Staatsanwälte vermuten, dann könnte der Abgasskandal nicht etwa kleiner, sondern noch größer werden - und die Nähe der Politik zur Wirtschaft zum Problem. Hinweise auf eine unzulässige Abschalteinrichtung sollen eine Großrazzia bei Daimler im Mai ausgelöst haben. Bis zu einer Million Autos halten die Ermittler für verdächtig.

Viele Grüne halten Kretschmann für zu lasch

Daimler weist den Vorwurf illegaler Aktivitäten zurück. Dobrindt und Kretschmann, die auf eine Lösung mit und nicht gegen die Autoindustrie setzen, stehen trotzdem plötzlich da wie naive Kreispolitiker, denen man vieles, vielleicht zu vieles erzählen kann.

Vor allem für Dobrindt wächst der Rechtfertigungsdruck. Meldungen und Ankündigungen zur Bekämpfung der Abgasaffäre kamen aus seinem Ministerium viele. Resultate, die zu besserer Luft in Städten geführt hätten, gibt es bislang keine. "Ohne den Diesel bekommen wir große Probleme, unsere Klimaschutzziele einzuhalten", sagte Dobrindt bis zuletzt.

Über die Stickoxid-Belastung in deutschen Städten redete er dagegen erst, als Fahrverbote unausweichlich erschienen. Erst in jüngster Zeit erhöht Dobrindt den Druck. Man rede schon länger mit dem Autoverband über eine Nachrüstung. "Da fehlen bisher die eindeutigen Antworten der Autoindustrie. Ich schließe nicht aus, dass wir eine Aktion der Industrie unterstützen. Aber zuerst muss sie sich bewegen", sagt Dobrindt.

So entschlossen das klingen soll, so harsch ist bislang die Kritik derer, die dem Minister einen zu laxen Umgang mit dem ganzen Problem vorwerfen. Sie sagen, sein Verhalten sei sogar mit dafür verantwortlich, dass Städten wie Stuttgart jetzt bei hohen Feinstaubkonzentrationen und Stickoxidwerten Fahrverbote für Dieselfahrzeuge drohen.

So weit würden Kretschmanns Kritiker wohl nicht gehen. Mitschuldig machen sie ihn nicht. Aber gerade in den eigenen, den grünen Reihen halten ihn viele für zu lax im Umgang mit den Autobossen. Kretschmann wehrte sich immer dagegen, lobte den Auto-Dialog von Stuttgart - und lehnte bis hinein in den Grünen-Parteitag Mitte Juni alle Ideen ab, der Branche politisch Grenzen zu setzen.

Unvergessen ist sein später bekannt gewordenes Streitgespräch mit einem Abgeordneten, in dem er über die Pläne der Grünen-Spitze schimpft, die im Wahlprogramm festgeschrieben hat, ab 2030 keine Autos mit Verbrennungsmotoren mehr neu zuzulassen.

"Er kann nur gut schlafen, wenn nirgends ein neuer Konflikt dräut"

Gerade deshalb ist für Kretschmann die jüngste Entwicklung so schmerzhaft; sie scheint zu bestätigen, dass er mit den Autobauern zu weich umgeht. Ein Vorwurf, den Grüne wie Jürgen Trittin und Anton Hofreiter schon lange erheben.

Andere, die Kretschmann gut kennen, halten es einfach für eine Grundstruktur des Ministerpräsidenten: Er will vermitteln, reden, Streit vermeiden. "Er kann nur gut schlafen, wenn nirgends ein neuer, vielleicht sogar garstiger Konflikt dräut", erzählt ein Kretschmann-Vertrauter.

Am Mittwoch verhandelt das Verwaltungsgericht in Stuttgart über eine Klage der Deutschen Umwelthilfe gegen die Dieselautos. Auch Dobrindt und Kretschmann werden genau zuhören. Das Thema ist für beide ein heikles geworden.

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