Abgasskandal:Die Razzia bei Opel kommt viel zu spät

Die Behörden haben munter bei der Verschleppung des Abgasskandals mitgemacht. Immerhin wachen sie jetzt auf - doch das macht die dreckige Luft auch nicht wieder sauber.

Kommentar von Markus Balser, Berlin

Mehr als drei Jahre liegt der Beginn des größten Umwelt- und Verbraucherskandals der vergangenen Jahre nun schon zurück. Die Autos von fast zwei Dutzend großen Herstellern hielten gesetzliche Abgasgrenzwerte, erlassen zum Schutz von Menschen und Umwelt, im Straßenverkehr nicht ein. Dennoch rollten und rollen noch immer Millionen derartige Fahrzeuge über Europas Straßen. Davon, dass ihre eigenen Autos Grenzwerte um bis zu 1000 Prozent überschreiten, ahnten die Kunden nichts. Die Folgen sind derzeit vielerorts zu spüren. In 65 Städten werden Luft-Grenzwerte überschritten, drohen Fahrverbote für Dieselwagen. In Hamburg gibt es sie bereits. In Stuttgart, Frankfurt und Berlin stehen sie bevor.

Dass Dutzende Ermittler am Montag bei einer Razzia Opel-Büros filzten, zeigt: Die Behörden erhöhen angesichts wachsender Luft-Probleme in den Städten den Druck auf die Industrie. Die Bundesregierung will sich von der größten Branche nicht länger auf der Nase herumtanzen lassen und brachte die Razzia mit einer Anzeige ins Rollen. Die Branche verliert die Unterstützung der Politik, weil fragwürdige Technik offenbar auch in neue Autos eingebaut wurde. Und weil sie beim Beheben der Probleme auf Zeit spielt. Selbst bei den Software-Updates für Motoren, die nur leichte Verbesserungen bringen sollen, hinkt die Branche ihrem Zeitplan meilenweit hinterher. Die Nachrüstung mit Katalysatoren auf eigene Kosten lehnt sie komplett ab.

Schon seit drei Jahren gibt es Hinweise auf Abschalteinrichtungen bei Opel

Verkehrsminister Andreas Scheuer lässt die Industrie nun spüren, dass er auch anders kann. Das Kraftfahrt-Bundesamt will in den nächsten Tagen 100 000 Fahrzeuge amtlich in die Werkstätten zurückrufen. Die neuen Ermittlungen im Abgas-Skandal machen aber noch mehr klar: Sie zeigen, wie lange die Behörden bei der Verschleppung des Skandals selbst mitmachten. Schon seit drei Jahren sind im Bundesverkehrsministerium Hinweise auf Abschalteinrichtungen bei Opel bekannt. Erst als Anfang des Jahres die fünfte aufflog, wurde es dem Ministerium zu bunt. Das Kraftfahrt-Bundesamt informierte Ermittler - der Verkauf der fragwürdigen Technik ging viel zu lange munter weiter.

Zum Skandal wird damit auch die unfassbar langsame Aufarbeitung der Affäre. Deutschland ist dabei nicht allein. Strafen, Sanktionen, Entschädigungen, Reformen? Die politische Bilanz fällt in ganz Europa beschämend aus. Die Hersteller kommen mit ihren dreisten Mauscheleien der vergangenen Jahre davon. Keine einzige Regierung hat ihre Autohersteller bisher nennenswert belangt.

Am schlimmsten ist: Die eigentliche Wurzel des Übels ist noch immer nicht bekämpft. Das EU-Recht liefert nach wie vor riesige Schlupflöcher für Abgas-Tricks. Seit 2007 sollten die Nationalstaaten zudem Sanktionen einführen, um Tricksereien der Autobauer im Zweifel zu bestrafen. In Deutschland, dem Autobauerland Nummer eins, ist bis heute nichts passiert. Dabei wären wirksame Sanktionen wohl das stärkste Signal, dass es die Politik nun wirklich ernst meint mit ihren Vorgaben. Vor allem die Bundesregierung muss in der Abgasaffäre noch entschiedener umsteuern. Tricks und Vertuschung dürfen nicht länger weitergehen. Schon viel zu lange mauern die Behörden, kommt nur ans Licht, was sich gar nicht mehr verhindern lässt. Die Doppelmoral beim Umweltschutz im Verkehrssektor muss endlich ein Ende haben.

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