Süddeutsche Zeitung

Diesel:Im Schilderwald

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Die Richter in Leipzig drohen sich im Klein-Klein von Fahrverboten zu verlieren, ein Urteil wurde erst einmal vertagt. Was eine neue Koalition dringend tun müsste, ist dennoch sehr klar.

Von Michael Bauchmüller

Das Bundesverwaltungsgericht verhandelt über die schlechte Luft in deutschen Städten - aber die beiden Hauptschuldigen brauchen sich nicht zu verteidigen. In München, Stuttgart, Köln, Hamburg, Berlin, Düsseldorf leiden Menschen unter zu hohen Stickoxid-Konzentrationen. In Leipzig aber geht es nur um die Frage, ob Düsseldorf und Stuttgart Fahrverbote verhängen können oder müssen. Die Bundesregierung? Die Autoindustrie? Sie bleiben schön still.

An Grenzwerten hat es nicht gemangelt, nicht für die Luft in den Städten, nicht für die Autos. Doch die Ingenieure der Industrie verwandten ihr Gehirnschmalz vor allem auf die Frage, wie sich die Grenzwerte zumindest im Labor einhalten ließen. Was Autos in der Stadt hinterlassen, beim Vorbeifahren an Kindergärten oder Seniorenheimen, das war nicht so wichtig. Gemerkt haben das zuerst die Umweltbehörden in den Städten: Die Autos wurden moderner und erfüllten höhere Normen. Die Stickstoffdioxid-Messungen entlang der Straßen aber veränderten sich seltsamerweise kaum.

An den Regeln, die derlei Schmu zuließen, haben mehrere Bundesregierungen tatkräftig mitgewirkt. Als das aber die Städte zunehmend in Not brachte, machte sich die letzte Regierung aus dem Staub. Dass sich höchste deutsche Gerichte überhaupt mit diesem Fall befassen müssen, ist Ergebnis eines politischen Versagens, über das leider in Leipzig gerade nicht verhandelt wurde. In der Regierung war die Angst vor dem Wähler in Gestalt des Autofahrers größer als die vor dem Frust des Städters, der die Nase buchstäblich voll hat.

Dieses Defizit ist in Leipzig voll zutage getreten. Die Richter haben sich lange mit den Schildern befasst, mit denen Fahrverbote zu verhängen wären, mit den rechtlichen Grundlagen dafür. Und sie sind der Frage nachgegangen, was Autofahrern eigentlich zumutbar ist. Schon jetzt verlieren gebrauchte Dieselfahrzeuge massiv an Wert. Und tatsächlich lässt sich schwer vermitteln, warum ein zwei Jahre altes Auto plötzlich nicht mehr in deutsche Innenstädte darf. Entschädigungen stehen im Raum, gestaffelte Fahrverbote. Für all das aber bräuchte es eine Bundesregierung, die Regeln für das ganze Land erlässt. Regelungen, die jede Stadt nach Gutdünken aufstellt, sind sicher nicht die Lösung. Sie führen in ein Wirrwarr der Fahrverbote, das keiner mehr durchblickt, das sich kaum noch kontrollieren lässt.

Das Gericht in Leipzig hat sich lange mit dem Klein-Klein von Fahrverboten beschäftigt

Am Ende hat das Gericht den Urteilsspruch vertagt, erst nächste Woche will es eine Entscheidung treffen. Die Hausaufgabe für eine neue Koalition aber ist klar. Sie wird Voraussetzungen schaffen müssen, mit denen sich die sauberen von den weniger sauberen Autos trennen lassen; mit denen sich schrittweise erst die ältesten, später die weniger alten Diesel aus dem Stadtverkehr ziehen lassen - zumindest in jenen Metropolen, die am stärksten unter den Stickoxiden leiden.

Nach Lage der Dinge wird das nur über Plaketten funktionieren, blaue oder auch andersfarbige, die eine Fahrt in der Umweltzone erlauben; samt Ausnahmen und Übergangsregeln für Härtefälle. Es ist eine traurige Ironie der Geschichte, dass dies abermals den Absatz von Neuwagen ankurbeln wird, zur Freude der Industrie. Sie zu einer wirksamen Nachrüstung ihrer Schummelautos zu zwingen, ist das Mindeste an Konsequenz.

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Quelle:
SZ vom 23.02.2018
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