Indischer Ozean:Ein Atoll für Amerika

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Der US-Militärstützpunkt Diego Garcia im Chagos-Archipel. (Foto: Us_Dept_Of_Defense/dpa)

Der von den USA genutzte Militärstützpunkt Diego Garcia gehört zum Chagos-Archipel, einem der letzten Relikte des britischen Kolonialreichs. Warum London die tropischen Inseln nun an Mauritius übergibt – mit einer gewichtigen Ausnahme.

Von Arne Perras

Im militärischen Koordinatensystem der Weltmacht USA ist der von Großbritannien gepachtete maritime Stützpunkt Diego Garcia ein winziger, aber bedeutender Knotenpunkt. Das liegt einerseits an seiner strategischen Lage mitten im Indischen Ozean, wo Hauptadern des Welthandels verlaufen und der Rivale China seinen Einfluss ausbaut; andererseits ist er auch wegen seiner vielseitigen Verwendungsmöglichkeiten für die US-Streitkräfte nützlich. Von hier aus können US-Langstreckenbomber starten, aber auch Atom-U-Boote und Flugzeugträger andocken. Die Anlagen auf Diego Garcia eignen sich als logistische Versorgungsstation, fernab der amerikanischen Küsten, und sie wären für eine global operierende Marine wie die der USA logistisch nur schwer zu ersetzen.

Kurzum: Für die USA ist das Atoll Diego Garcia eine geopolitische Perle. Wenn auch eine, um deren rechtmäßige Kontrolle seit vielen Jahrzehnten heftig gestritten wird. Das liegt im Wesentlichen am Kurs der einstigen Imperialmacht Großbritannien, die das Atoll Diego Garcia als Teil ihres früheren Kolonialreichs immer noch verwaltet und so schon seit Jahrzehnten für den großen Verbündeten USA militärisch zugänglich macht. De facto haben sowieso die USA das Sagen auf dem Atoll, ohne Zustimmung aus Washington geschieht hier fast nichts.

99 weitere Jahre dürfen die USA ihre Basis behalten

Nun aber vollzieht London eine viel beachtete Wende: Die Labour-Regierung hat zugesagt, nach jahrelangen zähen Verhandlungen die Chagos-Inseln, zu denen Diego Garcia im Grunde gehört, an den benachbarten Inselstaat Mauritius zu übergeben. Demnach löst sich Großbritannien von seinem letzten Relikt afrikanischer Kolonialbesitzungen. Für Diego Garcia allerdings wurde ein Extradeal gefunden: Mindestens 99 Jahre lang können die USA die Basis weiter nutzen, müssen nun allerdings Pacht an Mauritius zahlen; über die Summe wurde zunächst nichts bekannt.

Jenseits der Aussicht, dass einst vertriebene Bewohner der Inselgruppe Chagos und womöglich ihre Nachkommen in ihre verlorene Heimat zurückkehren könnten, wirft das Abkommen wichtige Fragen auf: Wird der Rückzug der Briten ein Einfallstor öffnen für eine Expansion Chinas? Und kann Peking Vorteile daraus ziehen, etwa indem es, wie in anderen armen Staaten der Region schon geschehen, mit Hilfen und Krediten seinen Einfluss ausbaut? Was, wenn Mauritius, das Verbindungen nach Peking pflegt, sogar über Möglichkeiten einer maritimen Kooperation in Chagos verhandelte? Das wäre für die USA sicherlich ein sehr ungünstiges Szenario, in unmittelbarer Nähe zu ihrem Stützpunkt Diego Garcia. 

US-Präsident Joe Biden hat die Vereinbarung mit Mauritius allerdings erst einmal begrüßt. Er lobte den Wert von „Diplomatie und Partnerschaft“, die es ermöglicht hätten, „historische Herausforderungen“ zu bewältigen. Aus US-Sicht nimmt der Deal über die weitere Nutzung von Diego Garcia Druck aus dem Kessel und verschafft Planbarkeit. Und sollte Indien jemals Beistand in einem potenziellen Krieg mit China benötigen, wäre der Stützpunkt aus US-Sicht von größtem Wert. Schon während der Golfkriege und der Einsätze gegen al-Qaida und die Taliban in Afghanistan waren US-Regierungen stark auf Diego Garcia angewiesen.

Die Bewohner wurden grausam entwurzelt

Der Streit um die Chagos-Inseln, mit ihrer britischen Verwaltung und einer starken militärischen US-Präsenz, hat viele Facetten. Eine davon ist sehr finster: die Zwangsumsiedlung und Entrechtung seiner fast 2000 Bewohner in den 70er-Jahren. Die Familien wurden damals teils nach Mauritius, teils auf die Seychellen verschifft, sie waren einem entwürdigenden Streit um Entschädigung ausgesetzt, der noch immer nicht beigelegt ist. Die Entwurzelung der Bewohner war ein grausames Verbrechen, das bis heute nicht richtig aufgearbeitet ist. Tausende Nachkommen wohnen heute auf mehrere Staaten der Welt verstreut, viele in Großbritannien selbst.

Das Drama für die Chagossianer nahm einst seinen Lauf, nachdem die USA sich sicher waren, dass sie das südlichste Atoll der Chagos-Inseln als Militärbasis gewinnen wollten. Zuvor war Indien gerade in einem Krieg gegen China unterlegen, einem Konflikt, der den USA vor Augen führte, dass sie im Kalten Krieg womöglich auch einen Stützpunkt im Indischen Ozean brauchten, wollten sie sich in der Ost-West-Konfrontation behaupten. Und diese Basis entdeckten sie in einem 30 Quadratkilometer großen Ring aus Korallen: Diego Garcia. Grob betrachtet liegt das Atoll etwa auf halbem Weg zwischen Indien und Mauritius.

Großbritannien engagierte sich damals als eilfertiger Helfer der USA. London trennte die Verwaltung der Chagos-Inseln 1965 von ihrem Kolonialgebiet Mauritius, das drei Jahre später in die Unabhängigkeit entlassen wurde. Chagos wurde zum British Indian Ocean Territory, kurz BIOT, verblieb unter britischer Souveränität. Das Gelände für die Militäranlagen auf Diego Garcia verpachteten die Briten schließlich an die USA.

Jetzt also übergibt London die Inseln – mit Ausnahme von Diego Garcia. Der Druck war zuletzt stetig gewachsen. Mit überwältigender Mehrheit hatte die UN-Generalversammlung 2019 London aufgefordert, die Inselgruppe an Mauritius zurückzugeben. Ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) hält fest, dass Großbritannien „so schnell wie möglich“ die Dekolonisierung ermöglichen müsse.

Allerdings entzündet sich an der Entscheidung der Labour-Regierung auch innenpolitischer Streit in London. Konservative Kreise erheben den Vorwurf, das Land habe sich zu einem Ausverkauf strategischer Interessen hinreißen lassen. Das Empire loszulassen, fällt manchen Briten immer noch schwer.

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