Die verunsicherten Deutschen (1):"Aber es ist doch mein Leben"

Die Alleinerziehende: Wie eine erfolgreiche junge Frau die Freiheit genießen wollte, den Anschluss verlor und nun um ihren Platz in der Gesellschaft kämpft.

H. Graupner

Deutschland vor der Bundestagswahl: Die Republik ist verunsichert wie schon lange nicht mehr - vor allem wegen der Wirtschaftskrise, die viel heftiger ausfällt als frühere Rezessionen. Die Süddeutsche Zeitung beschreibt in einer vierteiligen Serie, wie sich die neue Unsicherheit bei Unternehmern, Abiturienten, Rentnern und Alleinerziehenden politisch auswirkt - und welche Rezepte die Parteien anbieten.

Die verunsicherten Deutschen (1): Ende 30, hübsch und gepflegt, aber ohne Perspektive: Karin Schober, frühere Bankangestellte, schreibt fleißig Bewerbungen, wird aber nicht einmal zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Ihr Kind wurde inzwischen in einem Heim untergebracht.

Ende 30, hübsch und gepflegt, aber ohne Perspektive: Karin Schober, frühere Bankangestellte, schreibt fleißig Bewerbungen, wird aber nicht einmal zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Ihr Kind wurde inzwischen in einem Heim untergebracht.

(Foto: Foto: Alessandra Schellnegger)

Allein entscheiden darf sie nicht, viele reden mit, wenn Karin Schober Pläne für ein neues, ein drittes Leben macht. Eine zierliche und gepflegte Frau von Ende dreißig ist sie, hübsch, mit offenem Blick und einem gewinnenden Lachen. Sie hat einen Sohn, den sie allein aufzieht, und sie hat keinen Job, seit Jahren nicht mehr. Karin Schober und ihr Sohn Tom, die beide anders heißen, leben vom Arbeitslosengeld II und sie gehören zu den Sorgenfällen der Arge, der Arbeitsgemeinschaft für Beschäftigung München, zu der sich Stadt und Arbeitsagentur zusammengeschlossen haben.

"Ich war so blöd damals", sagt Karin Schober. Damals, das war 2001, als sie dachte, ihr könne nichts geschehen, "ich konnte jeden Job haben." Den Realschulabschluss hatte sie mit 1,2 gemacht, bei einer Bank gelernt und als Sachbearbeiterin gearbeitet. Ihre Zeugnisse waren hervorragend, sie verdiente gut. Sie kaufte sich ein altes Auto, ein fuchsfarbenes Pferd und ein Motorrad. Als sie dreißig wurde, fand sie es an der Zeit, sich eine Auszeit zu nehmen von der Büroarbeit, "die Freiheit zu genießen". Sie kündigte ihre Stellung, jobbte hin und wieder und sie wurde schwanger. "Es war ein Wunschkind."

2002 kam Tom auf die Welt und alles war anders. Die Beziehung zerbrach, Unterhalt konnte der Vater nicht zahlen, und Karin Schober musste zum Sozialamt gehen. "Ich bin gleich in die Sozialhilfe gerutscht, da ich keine feste Anstellung mehr hatte." Bevor sie vom Staat Geld bekam, musste sie ihren Besitz verbrauchen: Das kleine Pferd gab sie in gute Hände, das Motorrad verkaufte sie, Lebens- und Sterbeversicherung löste sie auf, das alte Auto wurde verschrottet. Und wenn Union und SPD derzeit von höherem Schonvermögen für Hartz-IV-Empfänger reden, dann interessiert sie das nicht.

Was sie besaß, ist aufgezehrt. "Ich habe alles verloren, es ist eine andere Welt geworden. Ich wusste ja nicht, wie gut es mir gegangen ist mit einem festen Job." Etwa 40 Prozent der 1,57 Millionen Alleinerziehenden beziehen Hartz IV, das sind fast 19 Prozent aller Arbeitslosen und es sind vor allem Frauen. Viele haben eine gute Ausbildung und wollen arbeiten, auch Karin Schober. Viele sind besonders lange arbeitslos, sie bekommen keinen Job, auch Karin Schober nicht. "Einen freien Krippenplatz gab es nicht und im Kindergarten konnte ich Tom nur halbtags unterbringen, ich hätte ja keine Arbeit, hieß es." Doch ohne den Nachweis der Kinderbetreuung bekam sie keine Arbeit, ein verhängnisvoller Kreislauf, den erst jetzt der geplante Ausbau der Kindertagesstätten durchbrechen soll.

Nach der Statistik des Deutschen Landkreistags leben etwa 6,8 Millionen Menschen von Hartz IV, unter ihnen fast zwei Millionen Kinder - obwohl trotz der Krise die Arbeitslosenzahlen noch nicht dramatisch gestiegen sind. Karin Schober glaubte immer weniger daran, dass sie einen Bürojob finden werde, auch nicht mit einem Betreuungsplatz für Tom. Sie überlegte sich eine Alternative und kämpfte um eine Ausbildung zur Altenpflegehelferin. "Ich dachte, als Altenpflegerin werde ich nie wieder arbeitslos." Das Seniorenheim, in dem sie ihr Praktikum machte, hätte sie übernommen. Nur beim Schichtdienst könne man ihr nicht entgegenkommen, sagte man, den müsse sie machen. Auch kein anderes Heim kam ihr entgegen. Schichtdienst mit einem kleinen Kind? Sie gab auf. "Das war bitter, ich bin ratlos."

Sie redet nie von Armut

Um Politik kümmert sich Karin Schober nicht mehr, sie geht auch nicht mehr zur Wahl, "ich sitze zu Hause und zähle meine Silberlinge." Anfang Juli wurde der Regelsatz für Erwachsene automatisch zusammen mit den Renten angehoben, sie erhält jetzt 359 Euro, acht Euro mehr als bisher. Beim siebenjährigen Tom stieg der Satz von 211 auf 251 Euro, und er bekommt 100 Euro im Jahr für Schulsachen, eine Erhöhung, die mit dem zweiten Konjunkturpaket beschlossen wurde und die der Mutter hilft. Ob dies ausreicht, muss sich zeigen.

Das Sozialgeld für Kinder hat das Bundessozialgericht im Januar für verfassungswidrig erklärt. Strom- oder Warmwasserrechnungen lässt Karin Schober abbuchen, "Geld, das ich nicht in der Hand habe, kann ich nicht ausgeben." Sie hat zu viel ausgegeben und 4000 Euro Schulden gemacht, um Versandware macht sie seither einen Bogen. Nach Abzug aller Fixkosten bleiben für sie 289 Euro im Monat zum Leben. Toms Sozialgeld hat bisher nicht ausgereicht. "Wenn ein Kind in die Schule kommt, dann wird es richtig teuer." Und die anderen Kinder haben blinkende Absätze an den Schuhen und neue Schulranzen, und wer das nicht hat, wer Kleider vom Flohmarkt trägt, steht am Rand. "Ich hätte nicht gedacht, dass Kleider schon in der ersten Klasse eine solche Rolle spielen."

Sie redet nie von Armut. Schnäppchenjäger sei sie geworden, sagt sie, Stunden sucht sie auf Flohmärkten und in Discountern nach Billigware, nach Gemüse und Obst. Der alten Sozialhilfe trauert sie nach, weil sie vor 2005 neue Kleidung oder einen neuen Kühlschrank beim Sozialamt beantragen konnte, damals sei sie mit dem Geld besser ausgekommen.

"Ich interessiere nicht mehr"

Heute muss sie alle Anschaffungen vom Regelsatz bezahlen oder darauf verzichten. Und sie verzichtet auf vieles, auch Tom muss lernen zu verzichten. Und es fällt ihr schwer, dem Kind zu sagen, "nein, das geht nicht, das ist zu teuer". Sie gebe ihm so viel wie möglich, sagt sie, "er kann doch nicht ständig verzichten, und ich kann das auch nicht. Ich muss mir doch mal ein Croissant für einen Euro leisten dürfen."

Nach wie vor schreibt sie Bewerbungen, "doch ich werde nicht einmal zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, ich interessiere nicht mehr". Allein zu Hause zu sitzen, das Geld umzudrehen und Probleme zu wälzen, das ist ihr nicht bekommen. Vielen bekommt das nicht. Sie begann zu trinken und sie ließ sich eine Zeit lang mit einem Mann ein. Alkohol rührt sie heute nicht mehr an, "nie wieder werde ich trinken und nie wieder in eine Gesellschaft gehen, wo Leute gern trinken." Der Mann hat sie das gelehrt, der sie, betrunken und vermutlich eifersüchtig, mit einem Küchenmesser verletzte. Sie wäre fast gestorben.

Tom war an diesem Tag bei Freunden und er wurde, als die Mutter ins Krankenhaus kam, in ein Heim gebracht. Dort lebt er seither und die Mutter besucht ihn, so oft sie kann. Eine Therapie soll sie machen, um das Geschehen zu verarbeiten und um zu beweisen, dass sie vom Alkohol nichts mehr wissen will. In einem Punkt aber ist sie sich sicher: "Es ist ein geschenktes Leben, das ich habe und ich will neu anfangen."

Das Kind will sie nach Hause holen, einen Arbeitsplatz finden und es ist ihr mittlerweile fast gleichgültig, ob in einem Büro oder in einer Bäckerei. Und sie sucht eine Wohnung. In der alten, die sie liebte und in der sie so schwer verletzt wurde, will sie nicht bleiben. Im Wohnungsamt hat man ihr gesagt, was ihr nach dem Hartz-IV-Gesetz zusteht: Solange das Kind im Heim ist, eine Ein-Zimmer-Wohnung; erst wenn das Kind nach Hause darf, Zwei Zimmer, bis zu 60 Quadratmetern und mit einer Nettokaltmiete von höchstens 562,59 Euro.

Wann das Kind nach Hause darf, entscheidet das Jugendamt. "Doch je länger ich mit der Wohnung brauche, desto länger bleibt der Kleine im Heim." Wieder ist sie ratlos. Wie das Geflecht der Bedingungen lösen, die man nicht ändern kann? "Aber es ist doch mein Leben und es ist mein Kind."

Die nächste Folge: Zwei Rentner und ihre Perspektiven

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