Die Vertreibung der Rohingya:Vom Opfer zur Verteidigerin der Generäle

Court hearings in case against Myanmar on alleged genocide of Rohingya, at the ICJ in The Hague

Suu Kyi spricht von einem "internen bewaffneten Konflikt", der von der Rohingya-Armee begonnen wurde.

(Foto: Yves Herman/Reuters)

Wie Myanmars De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi vor dem höchsten UN-Gericht bestreitet, dass das Militär an der muslimischen Minderheit Völkermord verübt habe.

Von Arne Perras, Singapur

Versteckt hat sie sich nicht. Aung San Suu Kyi hätte einen Vertreter nach Den Haag schicken können, aber sie wollte selber sprechen vor der obersten Weltjustiz, dem Internationalen Gerichtshof. Und so trat sie denn um zehn Uhr morgens ans Pult, um 20 Minuten lang eine Verteidigungsrede für ihr Land Myanmar zu halten. Genauer gesagt war es ihre Aufgabe, den Staat und insbesondere die Streitkräfte gegen den Vorwurf des Völkermordes zu verteidigen.

Sollte die 74-Jährige eine innere Unruhe verspürt haben in diesen Minuten, dann ließ sie sich davon nichts anmerken, so wie sie in den vergangenen Jahren überhaupt nur selten Emotionen bei öffentlichen Auftritten zeigte. In aller Welt konnten Zuschauer ihren Auftritt im Livestream aus dem Gerichtssaal verfolgen, zu sehen war eine Frau, die ruhig und gefasst sprach, in geschliffenem Englisch, sie brachte wohlformulierte Sätze, flüssig und klar.

So kennt man das von ihr, und doch musste der Auftritt für jene, die früher zu den Bewunderern der Menschenrechtsikone Aung San Suu Kyi gehörten, etwas Gespenstisches gehabt haben. Denn hier trat eine Frau mit der Absicht an, das Militär ihres Landes gegen den Vorwurf schlimmster Verbrechen abzuschirmen, sie sollte also ausgerechnet jene Kräfte verteidigen, unter denen sie selbst, als sie noch für Freiheit und Menschenrechte einstand, schwer gelitten hat. Es dürfte nur wenige Menschen geben, die eine so große Wende vollziehen und dabei so gelassen und unberührt wirken wie Suu Kyi an diesem 11. Dezember 2019 in Den Haag.

Das Wort Rohingya nimmt Suu Kyi nicht in den Mund. Es ist verhasst unter Birmanen

Der afrikanische Staat Gambia hat Klage gegen Myanmar wegen Völkermordes erhoben, er hat das oberste UN-Gericht angerufen, damit es feststellen soll, ob die Armee einen Genozid an der muslimischen Minderheit, den Rohingya, verübt hat. In einer ersten Anhörung muss das Gericht auf Antrag Gambias nun feststellen, ob die Rohingya durch umgehende Schritte vor Bedrohungen geschützt werden müssen.

Aung San Suu Kyi, die einen traditionellen Wickelrock trägt, dunklen Blazer und weißen Schal, verfolgt eine Strategie, die im Kern aus zwei Teilen besteht: Erstens entwickelt sie ein Bild, wonach die Armee eher abwehrend agierte, indem sie auf Angriffe von Terroristen geantwortet habe. Sie spricht von den bewaffneten Rebellen der Organisation Arsa, die sich selbst als Befreiungsbewegung der Rohingya betrachtet. Arsa also habe koordinierte Attacken begonnen. "Tragischerweise führte dieser bewaffnete Konflikt zum Exodus mehrerer Hunderttausend Muslime", sagt die Außenministerin. Das Wort Rohingya nimmt sie nicht in den Mund. Es ist verhasst unter Birmanen, und auch Suu Kyi benutzt es nie.

Auf Vorwürfe der Kläger, die tags zuvor aus UN-Untersuchungen zitierten und den Richtern Zeugenaussagen über Gräueltaten an Frauen und Kindern vortrugen, geht die 74-Jährige nicht weiter ein. Immerhin räumt sie aber ein: Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass Angehörige des Militärs unverhältnismäßige Gewalt angewendet hätten; oder dass sie nicht ausreichend zwischen Arsa-Kämpfern und Zivilisten unterschieden hätten. Doch sie leitet dann schnell über zu internen Untersuchungen, welche die Armee selbst angestrengt habe. Suu Kyi will das Gericht davon überzeugen, dass ihre heimische Justiz schon alles im Griff habe. "Es wird keine Toleranz von Menschrechtsverletzungen geben", verspricht sie, ein Satz, der doch einen seltsamen Klang hat angesichts der vielen schon dokumentierten Gräueltaten, die kaum noch zu leugnen sind.

Aber ist es Völkermord? Die regierende Staatsrätin formuliert die Frage auf ihre eigene Weise: "Kann ein Staat die Absicht zum Völkermord haben, der aktiv gegen Soldaten und Offiziere ermittelt, denen Fehlverhalten vorgeworfen wird, der sie vor Gericht bringt und bestraft?" Gut möglich, dass die heimische Justiz aber nicht das stärkste Argument sein wird, das Myanmar vorbringen kann. Die wenigen Soldaten, die wegen der Massaker von einem Militärtribunal verurteilt wurden, kamen bald wieder begnadigt frei.

Suu Kyi sieht weitgehend davon ab, juristische Argumente vorzutragen, dafür hat sie Anwälte, die nach ihr sprechen. Sie versuchen darzulegen, dass juristisch nur dann ein Völkermord nachgewiesen werden könne, wenn es gelingt, Taten eindeutig aus einer "genozidalen Absicht" herzuleiten. Myanmar beruft sich dabei auf Rechtsprechungen in früheren Fällen, etwa bei Vertreibungen während der Balkankriege. Sollte es für Gewalttaten auch andere mögliche Erklärungen geben, so könne ein Völkermord gar nicht gerichtlich festgestellt werden.

Ob diese Argumentation reicht, um den Vorwurf des Völkermordes gegen Myanmar abzuschütteln? Man weiß es noch nicht. Aber sie passt zu einer Bemerkung von Aung San Suu Kyi, die einmal mit professoraler Stimme sagt: "Ganz sicher kann genozidale Absicht nicht die einzige Hypothese sein."

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