Die Union und die Atomdebatte:Spaltung im Kern

Der Union entgleitet die Debatte über die Kernkraft, die Parteistrategen erliegen dramatischen Fehleinschätzungen - zum Schaden des ganzen Landes. Wenn Machtfragen Sachfragen überlagern, wird es in der Politik gefährlich.

Michael Bauchmüller

Der Union ergeht es bei der Kernkraft so ähnlich wie dem Kühlwasser im Reaktor. Es fließt hinein und erhitzt sich. Wann immer die Rede auf die Kernkraft kommt, kochen die Emotionen in der Partei hoch. Längst sollte ein großes Konzept für die Energie der Zukunft auch über die AKWs entscheiden. Ein solches Konzept ist längst in den Hintergrund getreten. Stattdessen dominieren Machtkämpfe: zwischen dem grün angehauchten und dem konservativen Teil der Union, zwischen den Bundesländern, zwischen der Unionsfraktion und dem Umweltminister aus den eigenen Reihen. An der Kernkraft kristallisiert sich weit mehr heraus als nur unterschiedliche Positionen zu einer umstrittenen Technologie.

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Ein Kühlturm des Kernkraftwerkes in Gundremmingen: Längst sollte ein großes Konzept für die Energie der Zukunft auch über die AKWs entscheiden.

(Foto: ddp)

Wenn Machtfragen Sachfragen überlagern, wird es in der Politik gefährlich; es wird die Vernunft verdrängt. Wo Sieg oder Niederlage, Aufstieg oder Fall wichtiger sind als Sinn oder Unsinn, sind gute Kompromisse fern. Nirgends ist das für die Union derzeit so bedrohlich wie in der Kernkraft. Denn die Parteistrategen erliegen dramatischen Fehleinschätzungen: Sie überschätzen das Thema. Und sie unterschätzen es zur gleichen Zeit.

Nur so ist zu erklären, dass die Atomdebatte derartig das geplante Energiekonzept der Bundesregierung überlagern kann. Dabei gibt es wichtigere Fragen als jene, ob Reaktoren nun sechs, zwölf oder 20 Jahre länger laufen können. Etwa, wie sich boomende Öko-Energien ins Stromnetz einfügen lassen. Oder wie es gelingen soll, langfristig nicht nur auf AKWs, sondern auch auf Kohlekraftwerke zu verzichten. Die Kernkraft hat einen Stellenwert erlangt, der durch die Wirklichkeit der deutschen Stromversorgung längst nicht mehr gedeckt ist.

Gleichzeitig aber unterschätzen insbesondere Befürworter der Atomenergie deren gesellschaftliche Relevanz. Vielen Deutschen mag egal sein, woher der Strom kommt; Hauptsache, er fließt. Jenes Klientel aber, das auf Atomstrom gern verzichtet, ist längst nicht mehr nur bei den Grünen zu Hause. Es hat die SPD erobert und findet sich auch in der Union. Massiv längere Laufzeiten lassen sich deshalb nicht mal eben so abhaken, wirtschaftliche Interessen hin oder her.

Erste Kompromisslinien zeichnen sich ab, sie könnten auf eine Umverteilung von Laufzeiten hinauslaufen. Ältere Reaktoren könnten rasch vom Netz gehen - das beruhigt jene, die Zweifel an deren Sicherheit hegen. Jüngere Anlagen könnten weit länger laufen als geplant - ein Zugeständnis an Freunde der Kernkraft. Für die Union wäre dies der eleganteste Ausweg aus ihrem Kernkraft-Dilemma: Sie könnte ein für alle Mal die überschätzte Frage der Kernkraft klären. Und hätte dabei sogar Aussicht auf Akzeptanz.

Das aber setzt voraus, dass auch die Union zur Debatte über die Sache zurückkehrt. Bleiben Machtfragen im Vordergrund, wird das Energiekonzept scheitern. Dann bleibt die Zukunft der Kernkraft die große ungeklärte Frage dieses Landes, dann wird seine Modernisierung stocken. Keinem wäre damit gedient.

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