Die Türkei und das Ausland:Auf gute Nachbarschaft

Die Türkei stimmt gegen die neuen Iran-Sanktionen - Premier Erdogan bestreitet aber vehement, er wende sich vom Westen ab.

Kai Strittmatter

Wendet sich die Türkei nun vom Westen ab? Der türkische Premier Tayyip Erdogan bezeichnete solche Vorwürfe am Donnerstag als "schmutzige Propaganda". Sein Land bleibe auf Europakurs. Bei einem türkisch-arabischen Kooperationsforum in Istanbul erklärte Erdogan, warum die Türkei am Mittwoch "Nein" zu den neuen UN-Sanktionen gegen Iran gesagt habe: Erst im Mai hatten die Türkei und Brasilien mit Iran ein Abkommen über Uran-Tausch ausgehandelt, um Sanktionen abzuwenden. Jetzt zu den Strafmaßnahmen "Ja" zu sagen, "wäre unehrenhaft gewesen", sagte Erdogan. "Wir stehen zu unserer Unterschrift."

Zweitägige Sicherheitskonferenz in der Türkei

Der türkische Premier Tayyip Erdogan nennt Irans Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad seinen "guten Freund".

(Foto: dpa)

Der türkisch-brasilianische Kompromissvorschlag war bei den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats auf schwere Bedenken gestoßen. Deshalb votierte dieser am Mittwoch mit 12 von 15 Stimmen für neue Sanktionen, einzig Brasilien und die Türkei waren dagegen, der Libanon enthielt sich. Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva nannte die Mehrheit "halsstarrig".

Das "Nein" der Türkei überraschte auch die türkische Öffentlichkeit. Viele hatten mit einer Enthaltung gerechnet. Regierungskritische Zeitungen warfen Erdogan vor, in der Welt Zweifel an der Orientierung des Landes zu säen. "Der Westen diskutiert über die Türkei", war die Schlagzeile der Milliyet. Anlass zu dieser Debatte böten die türkischen Bande zu Iran ebenso wie die Reaktion Ankaras auf Israels Angriff auf den Gaza-Hilfskonvoi.

US-Verteidigungsminister Robert Gates gab am Mittwoch den Türkeiskeptikern in der Europäischen Union Mitschuld an der zunehmend eigensinnigen Außenpolitik Ankaras: "Ich persönlich denke, wenn denn etwas dran sein sollte an der Idee, dass die Türkei sich nach Osten bewegt, dann tut sie das vor allem deshalb, weil sie gestoßen und gestoßen wurde von manchen in Europa, die sich weigern, der Türkei die organische Verbindung zum Westen zu gewähren, die sie verlangte", sagte Gates in London.

Führende Politiker der regierenden AKP verneinten einen Kurswechsel. "Wir sind nicht nach Osten gerückt", sagte Suat Kiniklioglu, Vizevorsitzender des außenpolitischen Ausschusses der AKP: "Der Beitritt zur EU hat strategische Priorität für uns." Das Nato-Mitglied folgte während des Kalten Krieges treu den USA. Die Regierung von Tayyip Erdogan hatte aber schon bei ihrem Amtsantritt 2002 klargemacht, dass sie eine eigenständige Außenpolitik verfolgen werde. Chefarchitekt dieser Politik war der Politikprofessor Ahmet Davutoglu, der seit letztem Jahr Außenminister ist. Unter dem Schlagwort "Null Probleme" verordnete er der Türkei eine Öffnung zu allen Nachbarn. Das bedeutete eine Annäherung an Armenien, Griechenland und die Kurden des Nordirak. Das wurde vom Westen beklatscht. Aber auch neue Bande zu Syrien und dem alten Rivalen Iran sollten geknüpft werden. Das beäugt der Westen misstrauisch, vor allem seit Premier Erdogan Irans Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad seinen "guten Freund" nennt.

Mit einer neu entdeckten islamischen Bruderschaft, wie sie von manchen genannt wird, hat die Kooperation nichts zu tun: Im religiösen Bereich haben sich die schiitischen Perser und die sunnitischen Türken nie vertragen. Ankara argumentiert mit der Stabilität in der Region. "Wir sind nun mal Nachbarn, ob es uns gefällt oder nicht", sagt Suat Kiniklioglu. Herzstück der neuen Außenpolitik ist die Entwicklung von Wirtschaftsbeziehungen. Das betonte Außenminister Davutoglu im Interview mit der New York Times: "Ökonomische Verflechtung ist der beste Weg, um Frieden zu erlangen." Die AKP wird von anatolischen Geschäftsleuten unterstützt, die in der Region schon reiche Ernte eingefahren haben. Die türkischen Exporte nach Iran haben sich versechsfacht seit 2002.

Eines hebt Iran hervor: Sein Gasreichtum. Die Türkei ist auf Energieimporte angewiesen, Iran liefert zwanzig Prozent des türkischen Erdgases. "Die Türkei war bemüht, Sanktionen zu verhindern, die ihr selbst schaden würden", schreibt der Kolumnist Cengiz Aktar in Vatan. Dass die Türkei kein Interesse an einem nuklear bewaffneten Nachbarn haben kann, bestreitet keiner. Kritiker werfen Ankara jedoch vor, Teheran gegenüber zu naiv zu agieren. Premier Erdogan entgegnet, erstens herrsche unter seinen Kritikern eine Doppelmoral, weil keiner die geheimen Atomwaffen Israels zum Thema mache; und zweitens hätten Sanktionen noch nie geholfen, es brauche "Diplomatie, Diplomatie, Diplomatie". Vatan kritisiert, Erdogan spiele "zwei Glücksspiele auf einmal": Er riskiere, in den Augen der USA als Beschützer der Hamas und der Beschützer Irans dazustehen. Das Verhältnis zu den USA war allerdings schon einmal schlechter: 2003, als das türkische Parlament den US-Truppen den Durchmarsch in den Irak verweigerte, damals gegen den Willen von Erdogan.

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