Von Peer Steinbrück machen sich viele Menschen ein ziemlich falsches Bild, unter ihnen auch etliche Sozialdemokraten. Sie halten ihn für einen begnadeten Strategen, auch und insbesondere in eigener Sache. Sie glauben, der Ex-Finanzminister habe seit 2010 seinen Wiederaufstieg sorgsam orchestriert, sich nun mit seinen Vorschlägen zur Bankenregulierung an die Spitze der Kanzlerkandidaten-Troika durchgebissen.
Alles Mumpitz. Ins Dreigestirn der Vielleicht-Kandidaten wurde Peer Steinbrück von Parteichef Sigmar Gabriel geschubst. Und den Auftrag für ein Konzept zur Zähmung der Finanzmärkte erhielt er von Frank-Walter Steinmeier, dem Fraktionsvorsitzenden; zu einer Zeit übrigens, als man sich einen Herausforderer Steinbrück noch gar nicht vorstellen konnte.
Inzwischen ist der 65-Jährige tatsächlich der Favorit für die Kanzlerkandidatur. Gabriel würde ihn allzu gern vorschlagen und Steinmeier hätte nichts dagegen. Die Troika, erfunden von Gabriel als Notlösung in der Auseinandersetzung mit der unheimlich populären Kanzlerin, hat ihre Aufgabe erfüllt, vorbildlich sogar. Den dreien ist es bislang gelungen, ohne größere Verwerfungen und unter Wahrung der Würde der jeweils anderen die Personalentscheidung auf den Weg zu bringen. Jetzt noch im November der Kompromiss in der Rentenfrage, und Steinbrück könnte als Spitzenkandidat ausgerufen werden.
Er ist der aussichtsreichste Kandidat - weil er gewinnen möchte und wenig zu verlieren hat. Weil er von internationaler Finanz- und Wirtschaftspolitik viel versteht, was in Zeiten der Euro-Krise Grundvoraussetzung für einen Regierungschef in spe ist. Weil er weit über seine Partei hinaus Ansehen und Vertrauen genießt, wenngleich nicht unbedingt im linken Lager. Und weil er inzwischen bereit zu sein scheint, seine Partei nicht als lästiges Anhängsel am Hosenbein zu betrachten, sondern für Kompromisse offen ist, übrigens auch beim Thema Altersarmut.
In der SPD gibt es bekanntlich Vorbehalte gegen alle drei möglichen Kandidaten; die stärksten allerdings gegen Steinbrück. Zahlreiche Linke, aber beileibe nicht alle, finden ihn unmöglich, manche von rechten Flügel allerdings auch. Es zählt offenbar zum sozialdemokratischen Wesen, über Kanzler, aber auch über Kandidaten zu meckern und ihnen Leben und Arbeit schwer-, manchmal sogar unmöglich zu machen.
Der SPD-Kanzlerkandidat braucht die Unterstützung der Partei
Der 1. Oktober ist nicht nur der 30. Jahrestag der Wahl von Helmut Kohl zum Kanzler. Es jährt sich auch das Ende der Regierungszeit des vorletzten sozialdemokratischen Kanzlers Helmut Schmidt. Dieses hatte vor allem die FDP aktiv herbeigeführt. Maßgeblich daran beteiligt war aber Schmidts eigene Partei, die ihm in der Außen-, aber auch in der Wirtschaftspolitik die Gefolgschaft verweigert hatte. Inzwischen wird Schmidt von den Seinen so gefeiert wie die Queen beim Thronjubiläum von den Ihren. Sozialdemokraten brauchen manchmal drei Jahrzehnte, um Irrtümer einzugestehen.
Der nächste SPD-Kanzlerkandidat braucht die volle Unterstützung seiner Partei im schweren Wahlkampf, ob er nun Steinbrück heißt oder nicht. Allen in der SPD, die mäkeln, sei empfohlen, sich die CDU als Beispiel zu nehmen. Viele Christdemokraten waren 2002 entsetzt bei dem Gedanken, für Edmund Stoiber, den Chef der Christsozialen, in den Wahlkampf zu ziehen. Merkel, die damalige Verliererin im Kandidatenrennen, motivierte ihre Leute, sich für den Bayern ins Zeug zu legen. Und die Union verbesserte sich immerhin von 35,1 auf 38,5 Prozent.
Die Rolle, die einst Merkel in der CDU spielte, obliegt in der SPD nun Gabriel. Der Parteivorsitzende ist bekanntlich ein impulsiver Mann. Aber in der Kandidatenfrage legt er eine respektable Stetigkeit an den Tag. Bereits 2010 bat er Steinbrück, damals auf dem SPD-Parteitag zu sprechen; mit Hintergedanken, versteht sich. Gabriel würde, wenn der Ex-Finanzminister absagen oder ausfallen sollte, sicher auch Steinmeier stützen. Der ist noch immer der Favorit vielleicht der meisten Sozialdemokraten. Aber mit dem Tag seiner Nominierung, so viel ist sicher, kämen auch die Klagen über seinen Hang zu trockenen Details wieder hoch. Die Unzufriedenen würden greinen, es fehle der Budenzauber, den Steinbrück zu veranstalten vermag.
Mit der Kür ist die Troika nicht Geschichte. Die drei werden, wenn sie wirklich gewinnen wollen, den Wahlkampf gemeinsam bestreiten müssen. Einer allein wird es mit Merkel nicht aufnehmen können. Und wenn es im September 2013 tatsächlich reichen sollte für ein rotes Wunder, müssen vor allem diese drei gewährleisten, dass die nächste Koalition bessere Arbeit leistet als die gegenwärtige.