Süddeutsche Zeitung

Die SPD und der Kompromiss mit Thilo Sarrazin:Am Anfang war der Fehler

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SPD-Generalsekretärin Nahles will die Diskussion um den österlichen Kompromiss mit Sarrazin am liebsten sofort beenden. Dabei hätte die SPD-Spitze von Anfang an wissen können, dass die Hürden für einen Rauswurf viel zu hoch sind.

Susanne Höll

Selbst wer kein Freund von Parteiausschlüssen ist, muss sich über manche Facetten im Fall Thilo Sarrazin sehr wundern. Dazu gehört die jüngste Forderung der Generalsekretärin Andrea Nahles an die Adresse empörter und enttäuschter Genossen, die Diskussion über den unterbliebenen Rauswurf des früheren Berliner Finanzsenators unverzüglich zu beenden. Die nun Empörten und Enttäuschten in der SPD haben nach dem Ende des vom Schiedsgericht verhängten österlichen Schweigegebots ein Recht darauf, den Grund dieses Zickzackkurses zu erfahren. Und die Führung hat die Pflicht, ihn zu erklären. Notfalls auch mehrfach. Denn die Sache ist tatsächlich nicht leicht zu verstehen.

Vor einem guten halben Jahr beschloss der Vorstand der Bundes-SPD auf Vorschlag des Vorsitzenden Sigmar Gabriel, dass für einen Mann mit eigentümlichem sozialdarwinistischen Gedankengut kein Platz mehr in der Partei sein soll. Und nun darf eben dieser Mann bleiben, obwohl er von seinen wirren Thesen über Intelligenz und gesellschaftliches Zusammenleben kein einziges Wort zurücknehmen muss. Dass mancher in der SPD da nicht mehr mitkommt, gar sein Parteibuch zurückgibt, dass wieder einmal großes Tohuwabohu herrscht bei den Sozialdemokraten, ist deshalb kein Wunder.

Klarheit über die wahren Gründe des Kurswechsels aber bringen weder die Beschwichtigungsversuche der Führung ("Sarrazin hat eingelenkt") noch die Verschwörungstheoretiker, die hinter der Einigung vom Gründonnerstag finstere Rücksichtnahme auf ausländerfeindliche SPD-Wähler wähnen.

Klarheit brächte nur die Wahrheit, kurzum das Eingeständnis der gesamten Spitze, dass man mit dem Ausschlussverfahren einen kapitalen politischen Fehler begangen hat. Denn wer sich mit Schiedsgerichten auskennt, hätte wissen können, dass die Hürden für einen Rauswurf Sarrazins viel zu hoch sein würden. Diesen Fehler aber wollen oder können Gabriel und seine Mannschaft nicht zugeben, was dazu führen wird, dass das Gezeter in der Partei so schnell nicht aufhören wird, und die Generalsekretärin ihre erste Feuerprobe im Amt erlebt.

Andrea Nahles kann man zwar ihre Forderung nach Stopp der Diskussion vorhalten, ihr aber sonst kaum einen Vorwurf machen. Sie gehörte von Anfang an zu denen, die vor den Risiken eines Ausschlussbegehrens gewarnt hatten, auch wenn sie dem Verfahren letztlich zustimmte. Mit dem Verzicht auf den Weg durch die SPD-Schiedsinstanzen hat sie ihrer Partei allerdings keinen Schaden zugefügt, sondern einen Gefallen getan. Vielleicht begreifen die Eiferer in der SPD nun, dass man Andersdenkende nicht einfach aus einer Partei werfen kann, auch wenn sie ziemlich krude Ideen hegen.

Demokratische Organisationen müssen es ertragen, dass einige ihrer Mitglieder einen Vogel haben. Und die Führungen müssen es ertragen, wenn man sich an der Basis über die Leute mit dem Vogel heftig streitet.

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Quelle:
SZ vom 31.12.2012
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