Die SPD und der Koalitionsvertrag:Gabriels Versteckspiel

Ich bin ein Anhänger der großen Koalition. Trotzdem werde ich beim SPD-Mitgliedervotum gegen den Koalitionsvertrag stimmen. Aus guten Gründen.

Ein Gastbeitrag von Patrick Horst

Sehr geehrter Herr Gabriel, ein persönliches Bekenntnis vorweg: Ich gehöre zu den passiven SPD-Mitgliedern, von denen Andrea Nahles, Sie und manch ein anderer in der SPD-Führung so gern wüssten, wie sie in den kommenden Tagen über den Koalitionsvertrag abstimmen werden. Ich werde gegen den Koalitionsvertrag stimmen - aber nicht, weil ich gegen den Koalitionsvertrag oder die große Koalition bin, sondern weil ich mich nicht gerne instrumentalisieren lasse.

Sie, lieber Herr Gabriel, behaupten mit den Worten Willy Brandts, Sie wollten "mehr Demokratie wagen" - und dann lassen Sie uns Mitglieder nicht über die Aufteilung und Besetzung der Ressorts mitentscheiden. Das ist nicht mehr Demokratie, das ist gar keine Demokratie. Ich frage mich schon, warum die anderen Mitglieder im Parteivorstand dieses unwürdige Spiel mitmachen. Die Glaubwürdigkeit der SPD wird dadurch nicht gerade erhöht.

Sie behaupten, ein wenig fürsorglich und von oben herab, den Mitgliedern der SPD gehe es um Inhalte. Die Mitglieder wehrten sich gegen das Postengeschachere der Parteiführer. Deshalb hätten Sie in den Koalitionsverhandlungen noch nicht abschließend über die Ressort- und Personalverteilung gesprochen.

Versteckspiel um die Postenbesetzung

Warum aber pfeifen es dann die Spatzen von den Dächern, dass Wolfgang Schäuble Finanzminister bleiben soll? Eine übrigens gute Entscheidung für Deutschland und die Koalition, zu der auch ein Sozialdemokrat stehen kann. Und warum heißt es im Koalitionsvertrag, dass mit der "Bekanntgabe" der Ressortverteilung zwischen CDU, CSU und SPD bis nach dem Mitgliederentscheid gewartet wird?

In Wahrheit steht die Ressortverteilung also schon fest, sie wird nur noch geheim gehalten. Einzig die Vergabe der sechs Ministerposten in der SPD scheint noch ungeklärt zu sein; drei Frauen aber sollen es werden. Mit diesem Versteckspiel leisten Sie dem Vorwurf der Kungelei (bestenfalls) oder des autokratischen Führungsstils (schlimmstenfalls) Vorschub. Solange mir die entscheidenden Informationen vorenthalten werden, kann ich aber als verantwortliches Parteimitglied dem ausgehandelten Ergebnis nicht zustimmen.

Für mich ist dies deshalb besonders schade, weil ich ein Anhänger der großen Koalition und der von ihr geformten Kanzlerin bin. Angela Merkel macht ihre Sache hervorragend. Das hat sie nicht nur auf europäischem Parkett und in der Euro-Krise gezeigt, sondern auch durch ihre innenpolitischen Kurskorrekturen, mit denen sie auf die Stimmungslage der Bevölkerung und die Einwände der Opposition reagierte.

Ihre Fähigkeit zur Korrektur erkannter Irrtümer und ihr nüchterner, erfolgsorientierter Arbeitsstil schaffen Vertrauen und machen ihre besondere Glaubwürdigkeit aus. Das ist, um die ehemalige Bundesministerin für Verbraucherschutz und heutige bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner zu zitieren, "moderne politische Führung".

Personen und Inhalte gehören zusammen

Auch die inhaltlichen Erfolge der SPD im Koalitionsvertrag stellen unter Beweis, dass die Kanzlerin flexibel, kompromissbereit und ganz uneitel am Wohl Deutschlands ausgerichtet ist. Weil die Sachinhalte aber mehrdeutig und interpretierbar, oft auch mit Vorbehalten und "Prüfaufträgen" versehen sind, bleibt es bei der alten Erkenntnis: Die wichtigsten Inhalte eines Koalitionsvertrags sind die Personalien. Personen und Inhalte gehören zusammen.

Wie sehr es darauf ankommt, dass Personen und Inhalte stimmig sind, zeigte sich im Wahlkampf: Bei der SPD passte beides nicht zusammen. Dem Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, einem glaubwürdigen Exponenten einer großen Koalition, wurde ein derart linkes Programm mit auf den Weg gegeben, dass seine Kandidatur zum Scheitern verurteilt war.

Ohne Verschwörungstheorien in die Welt setzen zu wollen, wäre es im Nachhinein schon interessant zu wissen, wer eigentlich hinter den Kulissen so alles an der medialen Zerstörung des Kandidaten Steinbrück beteiligt war. Auch die einigermaßen skurrile und plötzliche Findung des Kanzlerkandidaten im September 2012 sollte vielleicht beizeiten noch einmal aufgeklärt werden.

An diese unschönen Ereignisse muss hier noch einmal erinnert werden, weil der tiefe Graben zur Union im Wahlkampf unnötigerweise erst geschaufelt wurde, um ihn anschließend mit vereinten Kräften wieder zuzuschütten. Der elend lange Prozess der Koalitionsverhandlungen und die Mitgliederbefragung der SPD sind überhaupt erst durch die falschen Weichenstellungen im Wahlkampf heraufbeschworen worden.

Schon 2009 hätte sich die SPD bereits im Wahlkampf für eine Fortsetzung der großen Koalition aussprechen sollen. Stattdessen setzte sie wie dieses Jahr wieder auf eine völlig realitätsfremde rot-grüne Koalition. Anhänger der großen Koalition mussten ihre Stimme splitten: Zweitstimme Merkel, Erststimme SPD. Auch dies hat, zu Recht, zu den katastrophalen Wahlergebnissen der SPD 2009 und 2013 beigetragen. Bleibt nur zu hoffen, dass die Partei bis 2017 nicht die angekündigte Öffnung zur Linken wahr macht.

Nicht die Katze im Sack kaufen

Wäre die SPD-Parteiführung - und damit an vorderster Front Sie, lieber Herr Gabriel - Ihrer Führungsverantwortung früher nachgekommen, dann hätte sie sich die Mitgliederbefragung sparen können. Nicht dass ich diese Veranstaltung für verfassungswidrig hielte; sie ist aber von der Sache her für einen so komplexen Gegenstand wie Koalitionsverhandlungen prinzipiell schlecht geeignet.

Dass die Mitgliederbefragung aufgrund ihres großen Erfolgs Schule machen wird, steht langfristig eher zu bezweifeln. Wenn aber eine Mitgliederbefragung durchgeführt wird, dann sollte sie erstens verbindlich sein - was sie ist, weil sich 20 Prozent sicher beteiligen werden - und zweitens ernst machen mit der Beteiligung. Das bedeutet: Alle Informationen müssen auf den Tisch, auch die Namen der Minister.

Als verantwortliches Mitglied, das, so Ihre Worte, Herr Gabriel, dieselbe Verantwortung wie der Parteivorsitzende trägt, kann ich es nicht akzeptieren, dass ich die Katze im Sack kaufen soll. Das wäre unverantwortlich gegenüber meiner Partei, wichtiger aber noch: verantwortungslos gegenüber meinem Land. Deshalb muss ich leider dem Koalitionsvertrag die Zustimmung verweigern.

Dieses Nein ist vor allem ein persönliches Misstrauensvotum gegen meinen Parteivorsitzenden, von dem ich mich nicht gerne für dumm verkaufen lasse. Also, lieber Herr Gabriel, ändern Sie Ihren Kurs und legen Sie die Ressortverteilung und die Postenvergabe offen! Ermöglichen Sie auch mir eine Kursänderung und - im Falle eines überzeugenden Personaltableaus - die Zustimmung zum Koalitionsvertrag!

Patrick Horst, 49, ist (passives) SPD-Mitglied seit 1991. Er lebt in Hamburg und unterrichtet am Lehrstuhl für Politikwissenschaft der Universität Passau.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: