Die Rückkehr des Hungers:Zum Leben zu wenig

Weizen ist so teuer wie nie, und das hat dramatische Folgen: Die Vereinten Nationen rechnen damit, dass Millionen Menschen von Hunger bedroht sind, weil sie Getreide nicht mehr bezahlen können.

Janek Schmidt

Der Preisanstieg ist extrem, und seine Wucht trifft vor allem die Ärmsten. Um 22 Prozent ist der Preis für Weizen an der Minneapolis Grain Exchange, der wichtigsten Getreidebörse der Welt, zum Wochenbeginn in die Höhe geschnellt. Schon im vergangenen Jahr waren Nahrungsmittel sehr viel teurer geworden, aber seit Januar sind die Preise für einen Scheffel Weizen von rund 10 Dollar auf fast 24 Dollar gestiegen.

Die Rückkehr des Hungers: Ein Kind in Angola wartet auf eine Mahlzeit. Vor allem Länder in Afrika trifft der steigende Getreidepreis.

Ein Kind in Angola wartet auf eine Mahlzeit. Vor allem Länder in Afrika trifft der steigende Getreidepreis.

(Foto: Foto: AP)

Es ist eine Entwicklung mit verheerenden Folgen, da Weizen in vielen armen Ländern der Welt das Grundnahrungsmittel ist. Das heißt: Wer sich Weizen nicht mehr leisten kann, muss hungern.

Und dieses neue Hungerproblem erfasst viele Länder rund um den Globus. Während einige wenige Getreide-Exporteure wie Argentinien von der Lage profitieren, leiden arme Importeure wie Ägypten besonders.

Die Organisation für Ernährung und Landwirtschaft der Vereinten Nationen zählt zu den Leidtragenden 82 Länder, mehr als die Hälfte davon aus Afrika. Deren Importkosten für Getreide werden 2008 wie schon im Vorjahr um mehr als ein Drittel steigen - mit dramatischen Auswirkungen. Agrarforscher von der University of Minnesota schätzen, dass die Verteuerung von Grundnahrungsmitteln um ein Prozent die Zahl der Hungernden auf der Welt um 16 Millionen vergrößert.

Die Produktion von Biosprit treibt den Mais-Preis an

So sieht sich die Direktorin des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen zu einer Warnung veranlasst. "Wir erkennen ein neues Gesicht des Hungers, weil mehr Länder und viel mehr Menschen davon betroffen sind", sagt Josette Sheeran. Die Ursache für diese Entwicklung beschreibt Sheeran mit dramatischen Worten. "Wir erleben gerade den perfekten Sturm", sagt sie, denn mehrere Faktoren verstärkten sich gegenseitig. Es gibt eine große Nachfrage nach Fleisch in China und Indien, die den Getreidebedarf in der Viehzucht erhöht.

Hinzu kommt der hohe Ölpreis, der die Kosten für Dünger und Transport steigen lässt. Und der Ölpreis führt auch dazu, dass immer mehr Getreide für die Produktion von Biokraftstoff genutzt wird. Darüber ist die Welthungerhilfe so besorgt, dass sie fordert: "Erst der Teller, dann der Tank!"

Doch der Trend geht in die andere Richtung. Das International Food Policy Research Institute in Washington erklärt, dass die Produktion von Biosprit den Mais-Preis bis zum Jahr 2020 um weitere 25 Prozent anheben wird. Die Situation wird sich also verschlechtern, doch schon heute treiben die hohen Lebensmittelpreise viele Menschen in den Hunger. In Afghanistan ist die Lage so bedrohlich, dass die Regierung einen Notruf an das Welternährungsprogramm sandte.

Da afghanische Haushalte mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben, und Weizenmehl innerhalb eines Jahres um 57 Prozent teurer wurde, sind weitere 2,5 Millionen Menschen vom Hunger bedroht. Ähnlich bedrohlich ist die Lage in Tadschikistan. Nach neuerlichen Preisanstiegen warnten die Vereinten Nationen vergangene Woche, dass die Ernährung von zehn Prozent der Landbevölkerung nicht gesichert sei.

Auch für Regierungen können diese Entwicklungen bedrohlich werden. Als vor einem Jahr in Mexiko Tortillas teurer wurden, demonstrierten Zehntausende Menschen für billigeres Essen. In Indonesien wiederholten sich Massenproteste im Januar.

Beide Länder bezeichnen die Vereinten Nationen neuerdings ebenfalls als vom Hunger gefährdet. Schon jetzt hat der Weizenpreis auch Auswirkungen auf die Notvorräte weltweit. Vor einigen Tagen erklärten die Vereinten Nationen, dass die Getreide-Reserven in diesem Jahr auf 400 Tonnen fallen werden - auf den niedrigsten Stand seit 26 Jahren.

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