Süddeutsche Zeitung

Union:Wo der Ball jetzt liegt

Auch in CDU und CSU gibt es viele, die der Koalition überdrüssig sind. Aber an ihnen soll es in keinem Fall liegen, sollte das Regierungsbündnis scheitern.

Von Daniel Brössler und Robert Roßmann, Pristina/Berlin

Am Tag danach lacht für Annegret Kramp-Karrenbauer die Sonne. Da sei ja gutes Wetter bestellt worden, freut sich die Verteidigungsministerin, als sie einem olivgrünen Airbus der Luftwaffe entsteigt, der auf den Namen Kurt Schumacher getauft ist. Was ja kein schlechter Zufall ist. Schumacher bekleidete von 1946 bis 1952 jenes Amt, das nach dem Willen der SPD-Mitglieder nun Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans übernehmen sollen. "Extra für Sie", sagt Christian Heldt, deutscher Botschafter in Kosovo, als er am Sonntag die Verteidigungsministerin in Pristina an der Gangway in Empfang nimmt. Kramp-Karrenbauer strahlt. Des Wetters wegen. Und wohl auch, damit nichts hineingeheimnisst wird in ihr Mienenspiel.

Den Willen, der neuen SPD-Spitze entgegen zu kommen, lässt die CDU-Chefin nicht erkennen

Bei einem Zwischenstopp in Split in Kroatien hatte Kramp-Karrenbauer keine anderthalb Minuten gebraucht, um zu Protokoll zu geben, was sie an Optimismus aufzubieten hat nach einem Votum der SPD-Basis, von dem ihr natürlich klar ist, dass es den Anfang vom Ende der Koalition bedeuten kann. Die CDU-Chefin wusste bereits ein paar Minuten vor der Bekanntgabe Bescheid, die geschäftsführende SPD-Vorsitzende Malu Dreyer war so nett, sie vorzuwarnen. Was den Schreck nicht wirklich gemindert haben dürfte. Auf dem Flughafen in Split, die Triebwerke der Kurt Schumacher laufen schon, ringt sich Kramp-Karrenbauer einen Glückwunsch an die neuen SPD-Chefs ab. Dann sagt sie die entscheidenden Sätze: "Für die CDU ist ganz klar: Wir stehen zu dieser Koalition. Wir stehen zu dieser Koalition auf der Grundlage, die verhandelt ist." Und dass man doch zur "Sacharbeit" zurückkehren möge. Damit ist eigentlich die ganze Linie abgesteckt. Von sich aus will die CDU-Chefin die Koalition nicht aufkündigen. Wesentlichen Spielraum aber, der neuen SPD-Führung bei Forderungen entgegenzukommen, die über den Koalitionsvertrag hinausgehen, lässt sie keinen erkennen.

Die andere Botschaft ergibt sich auf so einer Reise gewissermaßen von selbst. Kroatien übernehme im Januar die EU-Ratspräsidentschaft, sagt etwa der kroatische Verteidigungsminister Damir Krstičević. Mit Deutschland, das dann im Juli an der Reihe ist, habe man viel gemeinsam vor. "Das nächste Jahr ist eine große Chance, dass wir in der Abfolge der Präsidentschaften von Kroatien auf Deutschland ein Jahr der Kontinuität haben", erwidert Kramp-Karrenbauer. Kontinuität also. Kramp-Karrenbauers Gastgeber auf dieser Reise sind so freundlich, da nicht genauer nachzufragen. Jedenfalls nicht öffentlich.

Die Spitzen von CDU und CSU hatten sich gleich nach Bekanntgabe des SPD-Ergebnisses am Samstag in einer Telefonkonferenz abgesprochen. An der Konferenz, die um 18.30 Uhr begann, nahm auch die Bundeskanzlerin teil. Das Gespräch dauerte nicht lange, weil CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak bereits für 19 Uhr ein öffentliches Statement angekündigt hatte. In der Runde war man sich angeblich einig, dass die Union jetzt keinesfalls die Koalition infrage stellen dürfe. Der Ball liege bei der SPD. Und man wolle abwarten, wie die neue SPD-Spitze nun agieren, der SPD-Parteitag ablaufen und die SPD-Bundestagsfraktion reagieren werde. Keinesfalls wolle man aber Verhandlungen über einen neuen Koalitionsvertrag führen. Und nötige Anpassungen, etwa wegen der sich eintrübenden Konjunktur, seien übliches Regierungshandeln - dafür bedürfe es keines neuen Vertrages.

Es gibt zwar auch in der CDU viele, die der großen Koalition überdrüssig sind. Aber die Parteispitze weiß, dass es ihre Wähler nicht goutieren würden, wenn wegen der Union eine CDU-geführte Regierung mit einer immer noch angesehenen Kanzlerin scheitern würde. Wenn die Regierung platzt, soll deshalb klar sein, dass es an der SPD gelegen hat.

Aber wie geht es jetzt weiter? In dieser Woche ist Kramp-Karrenbauer noch bis Mittwochabend auf ihrer Auslandsreise. Dann beginnt der SPD-Parteitag. Am Montag danach wird das CDU-Präsidium zusammenkommen, um über die Lage zu beraten. Und nach der Sitzung der SPD-Fraktion am Dienstag will man dann - vielleicht schon am Mittwoch - in einem Koalitionsausschuss mit der neuen SPD-Spitze über das weitere Vorgehen reden.

Eine Neuwahl kann es ohne Zutun der Kanzlerin nicht geben

Was die Bundeskanzlerin will, hat sie bereits vergangene Woche deutlich gemacht. In der Generaldebatte des Bundestags sagte Merkel: "Wir sollten die Legislaturperiode lang weiterarbeiten. Ich bin dabei - schön, wenn Sie es auch sind." Die Kanzlerin ist dabei wegen der Regelungen des Grundgesetzes in einer starken Position. Sie kann nur dann vorzeitig abgewählt werden, wenn jemand anderes in einem konstruktiven Misstrauensvotum mindestens 50 Prozent aller Abgeordneten hinter sich bringt. So jemanden gibt es derzeit aber nicht. Auch Neuwahlen kann es ohne Zutun der Kanzlerin nicht geben. Und wenn die SPD die Koalition verlassen würde, könnte Merkel als Chefin einer Minderheitsregierung einfach weiterregieren. Just am vergangenen Freitag hat der Bundestag den neuen Haushalt beschlossen. Eine reine Unionsregierung käme also auch finanziell erst einmal problemlos über die Runden.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, Gesundheitsminister Jens Spahn und andere hatten bereits in der Vergangenheit ihre Sympathie für eine Minderheitsregierung kundgetan. Merkel hält von derlei aber nicht viel. In einer Minderheitsregierung müsste die Union zwar keine Kompromisse mit der SPD mehr machen, aber Mehrheiten für eigene Projekte müsste sie ja weiterhin finden. Gleichzeitig müsste die Union befürchten, von den anderen Fraktionen überstimmt zu werden. Für eine Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibungen würde sich zum Beispiel sofort eine Mehrheit finden. Auch in Bereichen wie dem Datenschutz, der Gesellschaftspolitik oder dem Wahlrecht wäre die Übereinstimmung zwischen SPD, Grünen, FDP und Linken groß - zu Lasten der Union. Und eine EU-Ratspräsidentschaft als Minderheitsregierung zu bestreiten, das kann sich in der CDU sowieso niemand von Rang vorstellen. Und so wird eine Minderheitsregierung am Ende wohl doch in einer vorzeitigen Neuwahl enden.

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SZ vom 02.12.2019
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