Süddeutsche Zeitung

Die Professoren:Man muss fordern statt betütteln

Erika Steinert hat was gegen das Betütteln. Als sie im Ruhestand zurück in ihr Dorf in der Pfalz zog, kam ihr eine Idee.

"Es ist wichtig, Hilfebedürftige aus ihrer Lage rauszubekommen. Zu meiner Freude gab es in Rockenhausen schon einen großen Helferkreis und einen Treff für Flüchtlinge. Ältere Damen haben sie mit Kaffee und Kuchen bewirtet. Eine schöne Willkommenskultur, aber sie genügt nicht. So kam mir die Idee mit der Helferbörse, damit die Flüchtlinge raus kommen aus ihrer Flüchtlingsblase. Einige junge Syrer waren gleich dabei. Wir wollen der Gesellschaft, die uns so hilft, was zurückgeben, haben sie gesagt. Im Ort gab es aber auch Bedenken: Die sollen erst mal Deutsch lernen, hieß es; einer hat gefragt, was die denn überhaupt helfen können. Als wir trotzdem anfingen mit der 'Börse Nachbarschaftshilfe', waren sechs Flüchtlinge dabei, jetzt sind es um die 20. Ohne Bezahlung helfen sie im Haus und im Garten, machen Brennholz, putzen die Wohnung, mähen Wiesen, schleifen das Garagentor. Es ist teilweise entstanden, was wir uns wünschen: längerfristige Beziehungen zwischen Einheimischen und Flüchtlingen. Dabei verbessern sie ihre Sprachkenntnisse, und sei es, dass sie Pfälzisch lernen.

Insgesamt halte ich einen Perspektivenwechsel für nötig, hin zu einer ressourcenorientierten Integrationspolitik, bei der die Kompetenzen der Migranten im Mittelpunkt stehen. Wir müssen die Flüchtlinge stärker einbeziehen, um zu vermeiden, dass sie in eine Liegestuhl-Depression fallen. Statt sie zu betütteln, müssen wir sie fordern."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3646518
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 31.08.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.