Die Presse zum Rücktritt von Köhler:"Der Bundespräsident ist kein Luxusposten"

Von "beleidigt" bis "verantwortungslos": Die internationale Presse kritisiert Köhlers Rücktritt. Die Kommentatoren sind sich einig, dass die Reaktion überzogen war.

Spiegel Online: "Das Amt und Horst Köhler passten nicht zusammen. Sie waren nicht füreinander gemacht. Er hat das gemerkt, schon lange vor diesem Montag. Deshalb war er ein unglücklicher Präsident, deshalb hat ihn die Kritik an seinen Afghanistan-Äußerungen aus der vorigen Woche zu dieser Reaktion gebracht. Deshalb muss es ihn so gekränkt haben, dass niemand aus dem eigenen Lager von Union und FDP ihm danach wirklich zur Hilfe eilte, ihn unterstützte, verteidigte. Auch Angela Merkel nicht."

Horst Koehler

Die Kritik hätte er aushalten müssen, finden deutsche Zeitungen. Köhlers Rückzug war überstürzt, sind sich die Kommentatoren einig.

(Foto: AP)

Focus: "Er suchte sich keine Felder, auf denen er Zeichen setzte. Er trat in Zeiten der ersten großen Finanzkrise nicht als der Mutmacher und Erklärer auf, den sich viele ersehnten. Er gab der Republik nicht das Gefühl, er wache darüber, dass das, was geschieht, zum Besten laufe. Im Gegenteil: Der Mann, der als ehemaliger Direktor des Internationalen Währungsfonds das internationale Finanzwesen besser kannte als die meisten in der Regierung, schürte noch die Angst vor dem schwer Nachvollziehbaren an den internationalen Börsen, indem er die Banken als 'Monster' bezeichnete."

Welt: "Diesem Bundespräsidenten, so kann man jetzt erkennen, wäre es besser bekommen, er hätte auf eine zweite Amtszeit verzichtet. Mit der ersten hatte er sich verausgabt, hatte sein Themenfeld abgesteckt. Sein größtes Problem bestand in einem inneren Widerspruch seines Amtsverständnisses. Er war der höchste Repräsentant des Landes, und als solcher hatte er sein Amt nicht direkt dem Souverän, sondern der politischen Klasse zu verdanken. Horst Köhler wollte aber ein Volkspräsident sein, und dieses Anliegen bekam schon ziemlich bald nach seinem Amtsantritt einen Drall ins Volkstümliche, ja ins Anti-Politische. Es passt aber nicht, wenn der Präsident mit der Rolle des Gegenpapstes spielt. Mit der Rolle dessen auch, der sich im Geiste mit dem Souverän gegen Politik und Wirtschaft zusammentut."

"Die Kritik hätte er leicht aussitzen können"

Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Der Bundespräsident ist kein Luxusposten, dessen Etat man jetzt etwa zugunsten Griechenlands einsparen könnte. Gerade in Zeiten wie diesen wird ein Staatsoberhaupt gebraucht, das jenseits des Parteienstreits und einer noch so präsidial amtierenden Bundeskanzlerin den Bürgern mehr Führung und Orientierung bieten kann als mit der ohnehin schon von allen betriebenen Geißelung der 'Monster' des Finanzmarkts. Möglicherweise kam Köhler selbst zu dem Schluss, dass ihm das nicht in ausreichendem und ihn selbst zufriedenstellendem Maße gelang. Mit einem Weltökonomen an der Spitze schien Deutschland für eine Weltwirtschaftskrise bestens gerüstet zu sein. Doch auch das erwies sich als Illusion."

Bundespraesident Koehler tritt zurueck

Köhlers Rücktritt sorgt nicht nur für düstere Stimmung auf Schloss Bellevue, sondern verstört das ganze politische Berlin.

(Foto: ddp)

Taz: "Mit seiner Einlassung zu Militäreinsätzen und wirtschaftlichen Interessen Deutschlands vertrat Köhler eine Linie, die im vom Parlament beschlossenen Weißbuch zur Sicherheitspolitik steht. Man kann sie mit Recht für verwerflich halten. Köhler aber beging auf dem verminten Feld von Krieg und Auslandseinsätzen lediglich den Fehler, auszusprechen, was politischer Konsens ist - was sich aber niemand zu sagen traut. Kritik hätte er leicht aussitzen oder eben offensiv kontern können."

Frankfurter Rundschau: "Kaum einer ist so privilegiert wie ein Bundespräsident oder ein Ministerpräsident und kann mir nichts, dir nichts davonlaufen - in ein 'Leben jenseits der Politik', wie Koch das so anheimelnd formuliert hat. Dass es in beiden Fällen ausgerechnet Männer des konservativen Lagers sind, die derart wenig Gespür für die Symbolik politischer Ämter an den Tag legen, ist weit mehr als eine Nebensächlichkeit. Es zeigt vielmehr, dass die Union die Wertedebatte, die sie so gern herbeiredet, endlich einmal führen muss - als Selbstfindungsprozess."

Financial Times Deutschland: "Seit seiner Wiederwahl vor einem Jahr hat der Präsident nicht mehr den richtigen Ton gefunden. Erst war monatelang gar nichts mehr von ihm zu hören. Zu Euro-Krise und Schuldendilemma fiel ihm erst Ende April etwas ein. Als ehemaliger Direktor des Internationalen Währungsfonds verfügt er eigentlich über die notwendige Expertise. Doch statt tumbem Chauvinismus entgegenzutreten, kam nur ein hilfloser Appell für die Griechenland-Hilfe heraus."

Handelsblatt: "Merkel und Westerwelle müssen nun schon wieder realisieren, dass ihre eigentlich auf Wahlverwandtschaft und Zuneigung beruhende Zusammenarbeit ins Mark getroffen ist, nachdem auch alle Illusionen über die schwarz-gelbe Koalition verflogen sind. Die Zeiten sind hart. Vor kurzem noch hätte man Schäuble ins Schloss Bellevue und Koch in die Wilhelmstraße, in das Finanzministerium, einziehen sehen. Für diese Lösung kommt Köhlers Rücktritt ein paar Tage zu spät. Wenn nun Merkel nicht den gordischen Knoten ihrer Selbstfesselung durchschlägt und einen überzeugenden Neustart, politisch und personell, hinlegt, wird die Union sie demontieren. Der Kanzlerinnenwahlverein stünde dann vor seiner Auflösung. Entzaubert ist Merkel ohnehin schon."

Tagesspiegel: "Kein Politiker von Gewicht hat dem Staatsoberhaupt unterstellt, er wolle unsere Verfassung vergewaltigen. Er habe mal wieder, wie schon öfter, ungeschickt formuliert - ja, das war der Kern der Kritik. Aber einen solchen Vorwurf muss man aushalten. Wer davor in die Knie geht, ist entweder zu weich für das Amt oder er sucht einen Vorwand."

Bild: "Das war kein Rücktritt. Da hat einer beleidigt die Brocken hingeschmissen. Während die EU bebt, dem Bürger der Euro um die Ohren zu fliegen droht und Deutschland in tiefer Krise steckt, verlässt der Bundespräsident fluchtartig sein Amt. 'Verantwortungslos' würde man einem normalen Arbeitnehmer bei solchem Verhalten ins Zeugnis schreiben."

Auslandspresse: Köhler als "Schlossgespenst"

Bundespraesident Koehler tritt zurueck

"Horst...wer?" war bei den Bürgern beliebt, galt als volksnah. Dass er auf die jüngste Kritik mit einem Rücktritt reagierte, können viele nicht verstehen.

(Foto: ddp)

Köhler abgetreten? In den US-amerikanischen Medien war gestern darüber kaum etwas zu lesen. Die europäische Presse nahm dagegen sehr wohl Notiz vom Rücktritt des deutschen Staatsoberhaupts. Sie wertete Köhlers Kapitulation vor allem auch als schweren Rückschlag für Kanzlerin Merkel.

Wie hierzulande kritisierten auch ausländische Kommentatoren teilweise Köhlers "Dünnhäutigkeit". "Eine schlechte Nachricht für die Kanzlerin, die bereits mit sinkenden Popularitätswerten und einem wenig umgänglichen Koalitionspartner konfrontiert ist", meint die französische Tageszeitung Le Figaro. Der Parisien bezeichnete den Rücktritt ebenfalls als "harten Schlag" für Merkel. Der Rücktritt Köhlers werde den Führungsanspruch Merkels weiter schwächen und eine neue Debatte über den Afghanistan-Einsatz in Deutschland auslösen. "In weniger als einer Woche verliert Merkel einen wichtigen konservativen Verbündeten. Am vergangenen Dienstag war es der einflussreiche Ministerpräsident der Region Hessen, Roland Koch, der das Handtuch warf", schreibt die Brüsseler Tageszeitung Le Soir.

Die Aufgabe, einen neuen Präsidenten zu finden, werde Merkel "riesige Anstrengungen kosten", meint die konservative britische Zeitung The Times. Die linksliberale Zeitung The Guardian sieht nun die CDU-Kanzlerin in einem politischen Vakuum. Drastischer kommentiert El Mundo in Madrid: "Der Rücktritt Köhlers hat ein politisches Erdbeben in Berlin ausgelöst."

Rücktritt als Bedrohung für Europa

Einige Medien sehen gar die Stabilität Europas gefährdet. Die linksliberale römische Tageszeitung La Repubblica schreibt von einer "ernste institutionellen Krise" in Deutschland - mehr noch: "Das Herz Europas ist durch politische Instabilität gefährdet - im schlechtesten Moment für alle".

Für seinen überraschenden Rücktritt wird Köhler auch von der Auslandsrpresse angegriffen: "Ein schwacher Abgang", hieß es in Schweizer Medien, und die spanische El Periódico de Catalunya schreibt: "Köhler hat immer gesagt, er wolle ein unbequemer Präsident sein. Anscheinend war er aber nicht auf die Konsequenzen vorbereitet." "Zu viel Dünnhäutigkeit" meint auch die Wiener Zeitung Die Presse: "Nein, Horst Köhler ist kein Mann des Wortes. Und so war sein Abtritt symptomatisch für die sechs Jahre, die er versucht hatte, sich im Amt des deutschen Staatsoberhaupts zurechtzufinden."

Die polnische Tageszeitung Rzeczpospolita kommentiert fast ungehalten: "Horst Köhler hat die vernichtende Kritik nicht ausgehalten. (...) Er hat das Amt in einer Zeit verlassen, in der sich das Schicksal des Euro und die Zukunft der Währungsunion entscheidet (...). Köhlers Ziel war es, das höchste Staatsamt würdig auszuüben. Das ist aber keine Aufgabe für Überempfindliche." "Auch ein deutscher Bundespräsident agiert nicht im politikfreien Raum. Sein Amt ist eine Verpflichtung, und wer dieser nicht mit einem Mindestmaß an Resonanz nachkommt, wird sich nicht wundern müssen, wenn er mit der Zeit in das Räderwerk des parteipolitischen Dauerstreits gerät", meint die Neue Zürcher Zeitung. "Schade um die Person. Aber auch schade um das Amt."

Deutschlands nordische Nachbarn schlagen mitleidige Töne an. Die Berlingske Tidene aus Kopenhagen titelt: "Horst Köhler bleibt als ehrlicher Mensch in Erinnerung, nicht aber als erfolgreiches Staatsoberhaupt." Weiter schreiben die Dänen: Als Präsident mangelte es ihm an einem klar definierten Projekt. Zum Schluss war er, wie ein führender Historiker unlängst sagte, ein Schlossgespenst. Gestern hat er selber einen Schlusspunkt hinter seine Karriere gesetzt. Das ist schmerzhaft, aber die Art und Weise passt zu ihm."

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