Die Niederlande und die EU-Verfassung:Die Elite gegen das Volk

In Den Haag herrscht unterdrückte Panik, denn Umfragen sagen voraus, dass mehr als 55 Prozent der Niederländer "Nee" zur EU-Verfassung sagen werden. Doch es ist noch immer nicht klar, ob die Regierung das Referendum überhaupt für bindend hält.

Von Michael Kläsgen

Schon in den vergangenen Tagen waren in holländischen Zeitungen Karikaturen zu sehen wie diese:

Nein zur EU-Verfassung

Ein niederländischer Bauer legt Poster mit der Aufschrift "EU Grondwet - Boe!" (EU-Verfassung - Muh!) über seine Kühe.

(Foto: Foto: dpa)

Da stößt ein kugeliger Schnauzbart mit Baskenmütze auf dem Kopf und Trikolore am Hintern einen Dominostein um und am Ende, tack, tack, tack, bricht die ganze schöne EU-Verfassung zusammen. Eine Horror-Vorstellung für die politische Klasse in den Niederlanden.

Inzwischen ist der erste Dominostein gefallen, die Franzosen stimmten gegen den Verfassungsvertrag, und der zweite wankt.

Am Mittwoch dürfen die Niederländer ihr Kreuzchen machen. Und weil Umfragen voraussagen, dass mehr als 55 Prozent der Niederländer "Nee" sagen werden, herrscht in Den Haag unterdrückte Panik.

Denn alle drei Regierungsparteien und sogar die oppositionelle Arbeitspartei haben sich dezidiert für die Verfassung ausgesprochen. Leitartikler bewog das zu demokratietheoretischen Ausführungen rund um die Frage: Was tun, wenn "die politische Elite gegen das Volk" handelt?

Premierminister Jan Peter Balkenende antwortete auf diese Diskrepanz mit seiner ganz eigenen Logik. Nach dem Nein der Franzosen müssten seine Landsleute gerade jetzt mit Ja stimmen. Als Gründungsmitglied der EU stehe man sonst "blöde" da. Und erst der Imageschaden im Ausland!

Egal, was das Ausland denkt

Vielen Niederländern scheint jedoch egal zu sein, was man im Ausland über sie denkt. Seit Jahren läuft ihre Wirtschaft schlecht, die Arbeitslosigkeit steigt, seriöse Zeitungen rechnen vor, dass mit dem Euro vieles teurer geworden ist.

Und zu all dem mischt sich das Gefühl, dass die Integration zu schnell gelaufen ist. Gerade zehn Länder aufgenommen, da klopft schon die Türkei an die Tür.

In Rotterdam-Süd wollen deshalb ganze Straßenzüge gegen den "Europese Grondwet" votieren. "Die Politik muss doch hören, was die Menschen denken", sagt Annika van Grevenbeek, die in einer dieser Straßen wohnt. Doch die Politik hört nicht.

Noch immer ist nicht klar, ob die Regierung das Referendum für bindend hält. "Ein Nein ist ein Nein", sagte Balkenende zwar einmal, fügte aber später hinzu, dass mindestens jeder Dritte zur Wahl gehen und am Ende ein klares Votum von mehr als 60 Prozent stehen müsse, bevor die Regierung Volkes Stimme beachtet.

Die in Balkenendes Koalition mitregierende Partei VVD hingegen will sich dem Votum in jedem Fall anschließen. Die oppositionelle Arbeitspartei stattdessen würde die Wähler bei einem "Nee" gleich nochmal an die Urnen schicken.

Offenbar gilt Volkes Stimme nicht viel. Die zwölf Millionen Wähler mussten sogar herbe Beschimpfungen über sich ergehen lassen. "Da wird ein Referendum über etwas abgehalten, von dem die Bevölkerung nichts weiß", sagte zum Beispiel der Wirtschaftsminister, und das war noch glimpflich.

Wenig Wissen über die Verfassung

Umfragen belegen in der Tat, dass 60 Prozent der Wähler so gut wie nichts über die Verfassung wissen.

Aber ist das ihr Fehler? Noch bis vor einem Monat wurde über die Verfassung kaum geredet. Dann schlug die Regierung eine 3,5 Millionen Euro schwere Ja-Kampagne los und verteilte Faltblätter an alle Haushalte. Doch nur wenige wollen das Info-Material erhalten oder gelesen haben.

Als letzte Geheimwaffe will die Regierung jetzt Kronprinz Willem Alexander nutzen. Er will am Mittwoch wählen gehen, obwohl sich die Königsfamilie doch sonst politisch zurückhält. Ob auch Königin Beatrix das erste Mal in ihrem Leben ein Kreuzchen machen wird? Dann wäre diese Wahl wirklich wichtig gewesen.

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