Die neue CDU:Angies Welt

Kanzlerin Angela Merkel amerikanisiert ihren Wahlkampf und führt die CDU ganz anders als Helmut Kohl, ihr Vorvorgänger und politischer Lehrmeister.

Stefan Braun

Die Bundeskanzlerin steht nicht am Pult, sie sitzt bei den Leuten. Während Kanzleramtschef Thomas de Maizière die Besucher mit ein paar launigen Worten begrüßt, hat Angela Merkel sich mitten hinein platziert zwischen ihre gut einhundert Gäste. Sozialarbeiter aus ganz Deutschland sind ins Kanzleramt gekommen, es ist ein entspannter Nachmittag im Frühjahr dieses Superwahljahres, die Regierungschefin möchte mit den Sozialarbeitern über ihre Arbeit, Nöte, Bedürfnisse sprechen.

Die neue CDU: Angela Merkels Führungsstil unterscheidet sich immer mehr von dem ihres politischen Ziehvaters Helmut Kohl.

Angela Merkels Führungsstil unterscheidet sich immer mehr von dem ihres politischen Ziehvaters Helmut Kohl.

(Foto: Foto: dpa (Archiv))

Zur Einleitung der anderthalb Stunden erzählt Merkel, dass sie in unmittelbarer Nachbarschaft eines Behindertenheims aufgewachsen sei, dass Schulfreunde deshalb manchmal Scheu gehabt hätten, sie zu besuchen. Merkel will signalisieren, dass sie die Arbeit ihrer Besucher ein bisschen kennt und sich dennoch kein abschließendes Urteil erlauben wird. Merkel, die Volkskanzlerin, nahbar, aufgeschlossen und manchmal sogar frech.

Als ihre Gäste davon sprechen, bei schweren Krisen in Familien auch mal Mitarbeiter des Jugendamtes loszuschicken, zeigt sie Sympathie, fügt aber an, dass die Privatsphäre geschützt bleiben müsse - "nicht dass es wieder heißt, die Frau aus dem Osten will überall erstmal die Türen aufreißen". Merkel schmunzelt, und die Leute lachen. Zum Abschied gibt es Beifall. Die Kanzlerin hat viel genickt, aber nicht viel versprochen. Trotzdem sind die Gäste zufrieden. Merkel sei da, höre zu, kümmere sich, lautet das Urteil.

Auftritte wie diese sind es, die Merkel in diesen Wochen vor allem absolviert. In der Regel steht bei den Auftritten kaum irgendwo CDU drauf, dafür aber überall Angela Merkel. Der Bundestagswahlkampf fängt erst an, und vermutlich würden sie es in Merkels Bundespresseamt ablehnen, derlei als Wahlkampfauftritte zu verbuchen. Trotzdem sind sie das. Sie entsprechen exakt dem, was die CDU-Vorsitzende anstrebt für die Zeit bis zum Wahltag Ende September.

Internet-Wahlkampf, in Häppchen und leicht verdaubar

Merkel präsentiert sich selbst, und das auf so vielen Kanälen wie möglich. Sie zeigt sich in allen Fernseh-Talk-Shows; sie trifft sich wie jüngst in Stuttgart mit achtzig Frauen, die für sie kämpfen möchten; sie speist im dortigen Edelrestaurant "Speisemeisterei" mit Unternehmerfreunden, die sie unterstützen könnten. Sie trifft Schüler, Einwanderer, Milchbäuerinnen. Und sie hat bei all dem eine so umfangreiche Internetbegleitung, dass ihre Auftritte inzwischen jederzeit abrufbar sind auf der Website der Bundesregierung. Merkels Visitenkarte besteht in diesem Wahlkampf aus gut sortierten Fernseh-Ausschnitten, im Internet anklickbar, in kurze Häppchen geteilt und leicht verdaubar.

Damit nähert sich der Wahlkampf der Kanzlerin immer stärker dem eines US-Präsidenten. Der mitschwingende Schlachtruf lautet: Wir sind für Merkel. Die Partei ist mit dabei, aber steht längst nicht mehr im Zentrum. Stolz verweist ihre Wahlkampfmannschaft auf eine Internetgefolgschaft von mehr als 40 000 Unterstützern, die nicht unbedingt der CDU angehören, aber Merkel für die Zeit des Wahlkampfs Hilfe versprechen. So steuert die CDU auf die Umkehrung alter Zeiten zu. Merkel kämpft um die Mitte der Gesellschaft, Helmut Kohl kämpfte stets um die Mitte seiner Partei, er interessierte sich für das Bauchgefühl der Christdemokraten. Merkel will das nicht ignorieren, aber sich nicht an ihm ausrichten.

Bis heute ist Merkel Kanzlerin ohne Mandat

Das hat mehrere Ursachen. Merkel ist längst zum wichtigsten Zugpferd der Union für den Wahlkampf geworden. Die Kanzlerin der Mitte, die Politikerin des Ausgleichs, die Parteivorsitzende mit den guten persönlichen Umfragewerten, an ihr soll alles ausgerichtet werden. Außerdem ist diese Wahl für Merkel die wichtigste ihrer Karriere. "Sie ist bis heute eine Kanzlerin ohne eigenes Mandat durch den Wähler", sagt einer ihrer Vertrauten mit Blick auf das knappe Wahlergebnis vor dreieinhalb Jahren.

"Sie will und muss beweisen, dass sie gewinnen kann für die Christdemokraten", sagt ein Zweiter aus ihrer unmittelbaren Umgebung. Erst wenn ihr das gelinge, könne sie sich als Siegerin fühlen. Deshalb will allein sie entscheiden, niemand soll ihr reinpfuschen.

Und dann ist da auch noch das Geld. Die CDU muss heute mit dem gleichen Budget auskommen wie vor zehn Jahren. Sie muss bei Preissteigerungen von bis zu 40 Prozent im vergangenen Jahrzehnt eine massive Beschneidung ihrer Möglichkeiten verkraften. In Helmut Kohls Parteizentrale arbeiteten einst zweihundert Menschen, unter Merkel sind es noch etwas mehr als die Hälfte. Die Frage, wie viel Merkel und wie viel CDU gemacht wird, stellt sich deshalb noch schärfer. Fernsehauftritte kosten kaum Geld, Parteiauftritte auf Marktplätzen oder Hallen dagegen sind teuer. Auch deshalb setzt Merkel auf Präsenz in den Medien. Das kann sie am besten mit viel Kanzleramt und wenig Parteizentrale erreichen.

Dabei wird deutlich, wie fundamental sich Angela Merkels Weg von dem Helmut Kohls unterscheidet. Für Merkel ist die CDU ein wichtiger Hilfsmotor im Wahlkampf, für Kohl war und ist die CDU sein Leben gewesen. Wo Merkel sich um die Menschen auch jenseits der CDU kümmert, hat Kohl davon gelebt, seine Partei zu pflegen. Während Merkel mit einer liberalen, pragmatischen Politik die Mitte der Gesellschaft für sich gewinnen möchte, kümmerte sich Kohl um die Mitte der CDU. Sein Augenmerk galt in erster Linie jener mittleren Funktionärsschicht in Kreis- und Ortsverbänden, die gemeinhin das Bauchgefühl einer Partei prägen.

Lesen sie auf der nächsten Seite, wie Helmut Kohl seine Entscheidungen in der Partei durchdrückte.

Wenn die Zeit nicht reichte, gab es Pfeffer von Kohl

Kohls Mann im Hintergrund

Die neue CDU: Lehrjahre der Kanzlerin: Helmut Kohl und Angela Merkel 1992.

Lehrjahre der Kanzlerin: Helmut Kohl und Angela Merkel 1992.

(Foto: Foto: dpa (Archiv))

Um den Unterschied zu verstehen, lohnt ein Gespräch mit Anton Pfeifer. Er ist Kohls Mann für diese Funktionärsschicht gewesen. Der 72-jährige ist bis heute eng mit dem Altkanzler befreundet und hatte ein Jahrzehnt lang eine Aufgabe, die es bei Merkel bis heute nicht gibt. Er hatte für Kohl seine Hand am Puls der Christdemokraten. Von den einen gefürchtet, von den anderen geschätzt, saß Pfeifer in fast jedem Gremium dabei und roch Entwicklungen, noch bevor sie eintraten.

"Wir hatten einen guten Überblick über die Stimmungslage in Fraktion und Partei", erzählt Pfeifer. ,,Wir wussten oft schon sehr früh, wo sich Probleme entwickelten, die wir ernst nehmen mussten." Als Staatsminister im Kanzleramt hielt er sich im Hintergrund und war doch präsent. Kaum eine Telefonschaltkonferenz der Staatskanzleichefs, zu der er nicht zugeschaltet war, kaum eine Fraktionsvorsitzendenkonferenz, an der er nicht teilnahm, keine Sitzung des Bundesrats, die er nicht von der ersten bis zur letzten Minute absaß. Nichts sollte Kohl verborgen bleiben. Pfeifer war Ohr und Machtinstrument gleichermaßen. "Ich habe Wert darauf gelegt, dass ich nicht zuviel in der Öffentlichkeit stand. Diskretion war sehr wichtig, wenn man erfolgreich arbeiten wollte."

Kohl war tief in der CDU verankert

Spricht man mit Pfeifer, hört man freilich kein schlechtes Wort über Angela Merkel. Pfeifer weiß um die veränderten Verhältnisse in einer großen Koalition. Er will sich auch raushalten aus dem, was die CDU heute umtreibt. Aber er schildert eindrücklich, wie tief Helmut Kohl in der CDU verankert war, wie wichtig ihm diese Beheimatung war, welchen Aufwand er dafür betrieb und welchen Einfluss er dadurch hatte, um in der CDU auch schwierige Entscheidungen durchzukämpfen.

"Sein bestimmender Einfluss auf die Partei hing sehr eng mit dem tiefen Grundvertrauen in ihn zusammen." Er habe immer ,,nach Gelegenheiten gesucht und Gelegenheiten herbei geführt", um das Verständnis zu verbessern. Und wenn die Zeit nicht reichte? Dann gab es Pfeifer.

Angela Merkel hat bis heute niemanden, den man mit Pfeifer vergleichen könnte. Sie will es nicht, und sie hält es nicht für nötig. "Diese Angela Merkel", sagt einer, der auch unter Kohl der Parteiführung angehörte, "verändert die CDU mehr, als alle bisher gemerkt haben."

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