Neue BND-Affäre:Wie aus dem Kampf gegen den Terror Wirtschaftsspionage wurde

Datensaugmaschine Bad Aibling

Eigentlich sollte die Abhörstation in Bad Aibling nur zur Terrorabwehr genutzt werden.

(Foto: Stephan Jansen/dpa)
  • Der BND hat offenbar dabei zugesehen, wie die NSA im Rahmen einer Geheimdienstkooperation deutsche und französische Firmen ausspionierte.
  • Eigentlich sollte das Programm der Terror-Bekämpfung dienen. Der US-Geheimdienst leitet die Namen von Personen und Institutionen an den BND weiter und erhält die abgefangene Kommunikation.
  • Dem BND war bereits seit längerer Zeit aufgefallen, dass sich darunter Firmen wie EADS und Eurocopter befanden. Doch weder das Bundeskanzleramt noch der Bundestag erfuhren davon.
  • Auch vor dem NSA-Untersuchungsausschuss verschwiegen die BND-Mitarbeiter das Vorgehen der Amerikaner. Diese Verschleierungstaktik könnte BND-Präsident Gerhard Schindler den Job kosten.

Von Georg Mascolo

Im Büro des für die Geheimdienste zuständigen Staatssekretärs im Bundeskanzleramt brannten die Lichter in den vergangenen Wochen bis spät in die Nacht. Klaus-Dieter Fritsche bemühte sich darum, das Ausmaß der jüngsten Volte der NSA-Spähaffäre zu begreifen. Und wie gefährlich sie für die Bundesregierung und den BND werden kann. Kanzleramtsminister Peter Altmaier ließ sich ständig informieren.

Es geht um die Frage, in welchem Umfang die NSA gegen deutsche und europäische Interessen operiert hat und ob der deutsche BND ihr dabei auch noch behilflich war. Den Verdacht gibt es bereits seit längerer Zeit. Im vergangenen Oktober berichteten Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR über die Kooperation zwischen NSA und BND.

NSA ließ europäische Firmen abhören

Vom US-Geheimdienst kommen sogenannte Selektoren, sie sind die Software des weltweiten Überwachungssystems: Namen von Firmen, Personen, Telefonnummern oder IP-Adressen, deren Kommunikation möglichst lückenlos erfasst werden soll. Der BND gibt sie in seine Computer ein und lässt seine Abhörstationen nach ihnen suchen. Weiter hieß es in dem Bericht, dass beim BND bereits 2005 auffiel, dass die NSA auch ausgerechnet nach den Firmen EADS und Eurocopter suchte - und nach französischen Behörden. Ein hässlicher Verdacht war öffentlich geworden.

Seither spielt dieser Vorgang auch immer wieder in den Sitzungen des Untersuchungsausschusses eine Rolle, und Abgeordnete wie der Grüne Konstantin von Notz wunderten sich darüber, wie lässig die damals zuständigen BND-Mitarbeiter mit dem Verdacht umgingen.

Sein Parteifreund Hans-Christian Ströbele etwa fragte General Dieter Urmann, den inzwischen pensionierten Abteilungsteiler der technischen Aufklärung des BND: Ob man mit der NSA mal ein "ernstes Wort" geredet habe, "so in dem Sinne, seid ihr verrückt?" Urmann wiegelte sofort ab: "Ja, das ist doch am Ende erfolglos. Da kommt doch die übliche Aussage dann: Das war ein Fehler, ein Bürofehler oder sonst was."

Völlig unklar ist, wie viele Suchbegriffe die NSA dem BND eigentlich liefert

Mit einem Bürofehler werden weder NSA noch BND diesen Teil der Affäre nun erklären können. EADS, Eurocopter und französische Behörden waren eben kein Einzelfall, wie die Regierung am Mittwoch gegenüber den Obleuten des Untersuchungsausschuss und dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages zugeben mussten. Danach wurden zwischen 2008 und 2013 Tausende Selektoren, die von der NSA kamen, aussortiert. Sie richteten sich gegen deutsche und europäische Interessen. Eine neue Suche nach dem Beginn der Snowden-Enthüllungen förderte im Jahr 2013 weitere 2000 zutage.

Unklar ist bisher auch, wie viele solcher Selektoren die NSA dem BND eigentlich anliefert. Manche Quellen berichten davon, es seien mehr als eine Million Suchbegriffe, täglich würden die Amerikaner sie abändern und ergänzen. Der BND lade sie automatisch herunter und speise sie in seine eigenen Computer ein - eine Kontrolle sei deshalb kaum möglich.

Im Bundeskanzleramt herrscht Entsetzen über den eigenen Geheimdienst

Mit den Deutschen verfährt die NSA nicht anders als mit vielen anderen Partnern, etwa den Briten: Sie liefert Technik und Suchbegriffe, eben diese sogenannten Selektoren. Befreundete Geheimdienste überall auf der Welt stellen sie in ihre Systeme ein und teilen die abgehörten Ergebnisse mit den Amerikanern.

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Im Kanzleramt ist man indes entsetzt über das Vorgehen der Amerikaner. Entsetzt aber offenkundig auch über den eigenen Geheimdienst. Über Regierungssprecher Steffen Seibert ließ das Kanzleramt mitteilen, dass man "im Rahmen der Dienst- und Fachaufsicht technische und organisatorische Defizite beim BND identifiziert" habe. Eine Ohrfeige allein schon das. Und dann noch dieser Satz: "Das Bundeskanzleramt hat unverzüglich Weisung erteilt, diese Defizite zu beheben."

Amerikaner sollen Vertrag systematisch gebrochen haben

Alles geht zurück auf ein "Memorandum of Agreement", das der frühere NSA-Chef Michael Hayden und der damalige BND-Präsident August Hanning im April 2002 unterzeichnet hatten. Mit Hilfe der Abhörstation in Bad Aibling sollte nach Taliban und al-Qaida-Kämpfern gesucht werden, auch die Krisenregionen Nordafrikas wollten die beiden Geheimdienste von Bayern aus im Blick behalten. Versprochen war, sich an deutsches Recht zu halten und die Station für die Bekämpfung des Terrorismus zu nutzen. Die Amerikaner, so nun der böse Verdacht, haben diesen Vertrag systematisch gebrochen.

Wer davon wusste, ist bis heute unklar. Das Kanzleramt will erst im März unterrichtet worden sein. Beim BND scheint es möglich zu sein, dass die zuständige Abteilung ihre Hausspitze viel zu lange nicht über ihre brisanten Erkenntnisse unterrichtete. Mancher dort spricht von "grober Fahrlässigkeit". Allerdings bleibt die Frage, was BND-Präsident Gerhard Schindler tat oder eben nicht tat, nachdem im Herbst 2013 das Ergebnis der internen Überprüfung vorlag.

NSA-Ausschuss will nun die Selektoren sehen - auch gegen den Willen der USA

Erst als der misstrauisch gewordene Untersuchungsausschuss Aufklärung verlangte, war das böse Foul der NSA nicht länger geheim zu halten. In einem von der Opposition beantragten Beweisbeschluss verlangte das Gremium Auskunft über die Selektoren des US-Geheimdienstes und inwiefern sie sich "gegen deutsche Ziele und deutsche Interessen" aber auch gegen "Menschen in Deutschland oder der EU" richteten oder auch gegen europäische Dienststellen oder Unternehmen. Dem BND wurde klar, dass er sein Geheimnis nicht länger für sich behalten konnte.

Gern pflegt die US-Regierung das Bild von einem guten Nachbarn, der seine NSA nur einsetzt, um nach Terroristen zu suchen. Die Selektoren aber erzählen die wahre Geschichte, wofür sich der US-Geheimdienst im Auftrag seiner Regierung so alles interessiert. Der Ausschuss will sie nun sehen. Staatssekretär Fritsche sagte am Donnerstag zu, die Amerikaner um Genehmigung zu bitten. Andernfalls, so heißt es, werde die Regierung überlegen, sie auch ohne Zustimmung dem Ausschuss vorzulegen. Der hat inzwischen sein lange geplantes Programm über den Haufen geworfen. Bereits in der kommenden Woche sollen BND-Beamte zu den neuesten Ereignissen vernommen werden. Dieser Teil der Affäre steht erst an ihrem Anfang, ihre Konsequenzen sind noch nicht zu übersehen.

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